Bernhardscher Redeschwall
Norbert Gstrein ironisiert die Mechanismen des Literaturbetriebs.
Norbert Gstrein ironisiert die Mechanismen des Literaturbetriebs.
Ein Wettlesen und ein Selbstmord. Zwei Ereignisse von unterschiedlicher Bedeutsamkeit, völlig unproportional ins Bild gerückt. Dieses ungewöhnliche Szenario gibt den äußeren Rahmen ab für Norbert Gsteins jüngstes Buch, in dem er den Leser in verworrene und windungsreiche Seelenfluchten eines gekränkten Schriftstellers führt. Was am Bahnsteig bei dessen Rückkehr aus Wien beginnt, drückt sich schwer in die Seiten, dominiert jene fünf Tage, auf die Gstrein die Handlung seines Buches reduziert hat. Dabei hat die Geschichte mehrere Gesichter: eine Chronik von Ressentiments, das sukzessive Eintreten eines Beziehungstodes, die spöttische Reflexion der Literaturszene mit ihren politischen und medialen Verstrebungen.
Max war bei der Verleihung des "Mitteleuropäischen Literaturpreises" kein Erfolg beschieden. Was zunächst als zynisches Resümee des Ereignises beginnt, artet schließlich in eine groteske Selbstdarstellung aus, gepaart mit permanentem Angriffsblick auf die literarische Arena. In schier obsessiven Verbaleskapaden walkt er das Geschehen aus, die aufgegriffenen Schlammpatzen schleudert er seiner Zuhörerin entgegen. Sie, die namenlose Erzählerin dieses Geschehens, eine Ärztin, die Gravierendes, nämlich den Selbstmord einer Patientin zu verarbeiten und mitzuteilen hat, kann dabei nur stumm wie eine Tote bleiben.
In dem kurzen Text wächst Gstrein ganz locker die bissige Zunge Thomas Bernhards zu. Nach dessen Manier bestückt er seinen Text mit vulkanartigen Ausbrüchen des Protagonisten, mit kunstvoll hervordonnernden Wortwasserfällen, die sich ins Detail verrinnen. Dabei wird auch Unwesentliches wesentlich und Lächerliches aufgeblasen, kreist alles in ewig gleichen Schleifen durch den Redewust.
In Wien hat man Maxens Stimmung auf Halbmast gesetzt. Und so fallen seine Geschosse auf Kritiker, Schriftstellerkollegen und einzelne Facetten des Literaturapparates. Wir lesen von Ladurner, dem "Schwerenöter ... Hohepriester und Schamanen, der über Leichen geht, um seine Veilchen zu pflücken". Neben der "Operettenfigur" des Konsuls tauchen "verkrachte Journalisten, Redeschreiber und Gewerkschafter" auf, "Allerweltopportunisten", "Ja-sager und Adabeis".
Angetippt werden Altbürgermeisterempfänge, Parteimitgliedschaften oder diffuse Geldvergaben.Gstrein begibt sich überhaupt in den Schneideraum des Kulturbetriebs und schnipselt an den literarischen Traditionen herum. In einem Interview mit dem Standard resümiert er: "Ein Teil Thomas Bernhard, ein Teil William Gaddis, ein Teil Robert Pinget, und drei Teile würde ich dann in einem Anfall von übertriebenem Selbstbewußtsein für mich selber verbuchen."
Der Reiz dieses Buches besteht in der besonderen erzählerischen Kunstfertigkeit Norbert Gstreins, aber vor allem auch in der geschickten Integration diffiziler kultureller Wahrnehmungsbilder, die sich plötzlich hinter dem Wörter-Nebel konkretisieren. Zum Beispiel der Gedankenblock "Exil", das österreichische Vorgehen, wenn es vergessenen Autoren zu begegnen gilt. Ihr Schicksal hat sich kurzerhand in "parfümierte Wörter" gehüllt. Nichts als "Elende Romantik" mit spätem Wiedergutmachungskarneval". Bleiben noch "Toleranzspektakel und Lichtermeer".
Mit großer Souveränität malt Norbert Gstrein das Porträt eines gereizten, aufgeblasenen Wichtigtuers, lächerlich gezeichnet in seiner abgrundtiefen Sinnkrise. Übrig bleiben die Auszackungen eines brüchig gewordenen Selbstverständnisses, Ausdünstungen einer hybriden Identität, die zu selbstverliebten Klagen kondensieren. Gstrein ist mit diesem Text eine ironische Verdichtung par excellence geglückt, "man wünscht sich ein glückliches Leben und es ist doch das unglückliche Leben, das einen anzieht."
Selbstportrait mit einer Toten. Von Norbert Gstrein.. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000 öS 204,-/e 14,83