Berufen für ein Leben in Gemeinschaft

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Die radikale Verfügbarkeit für Gott verwirklicht sich im gemeinschaftlichen Leben. Ein qualifizierter Ort dafür sind Familie und Ordensgemeinschaften. Papst Franziskus schafft in diesem Sinn eine besondere Sensibilität für den gelebten Glauben. Ein Denkanstoß.

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Die radikale Verfügbarkeit für Gott verwirklicht sich im gemeinschaftlichen Leben. Ein qualifizierter Ort dafür sind Familie und Ordensgemeinschaften. Papst Franziskus schafft in diesem Sinn eine besondere Sensibilität für den gelebten Glauben. Ein Denkanstoß.

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Die Logik der Nächstenliebe besteht darin, dass man bereit ist, alles für ein Leben in Gemeinschaft und Liebe aufzugeben."(Papst Franziskus, ClickToPray, 19. Mai 2017; www.clicktopray.org). Gelebter Glaube ist kein Spiel. Kein Regenschirm, den man sich zulegt für den Fall, dass es einmal regnen sollte und man nicht nass werden will. Er ist kein kostbares Gewand, das man ersteht, um an manchen Tagen alle zu überstrahlen. Er ist auch kein wohlduftendes Ölbad, das man sich gönnt, um einmal die Seele baumeln zu lassen.

Nein, gelebter Glaube ist ernst, bitterernst. Er schmeckt nach Anstrengung, Konzentration, Disziplin. Er fordert viel, eigentlich alles, er fordert die ganze Existenz und ist ein verbindliches Ja mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Vergegenwärtigt man sich diese Tatsache, dann wird der Respekt vor einem Leben im Glauben gehörig groß. Denn solch ein Glaube ist radikal, und das ganz unabhängig von der jeweiligen Lebensform, die man gewählt hat.

Familie -kein Leben zweiter Wahl

Nach wie vor gibt es jedoch Zweifel, ob gelebter Glaube in und für die Welt ohne Weihe zum Priester, zu Ordensfrau/-mann oder geweihter Jungfrau wirklich radikal und entschieden sein kann. Ist das Familienleben in dieser Hinsicht nicht degradiert durch die niederschmetternde Definition eines Lebens zweiter Wahl, weil man den Weg der Berufung zu Gehorsam und Ehelosigkeit nicht geschafft hat und stattdessen ein Leben der Selbstbestimmtheit und der partnerschaftlichen Beziehungen aufgenommen hat?

Ein Blick auf Jesus zeigt etwas anderes, wenn er wie in Mt 22,37-39 das Sch'ma Israel anzitiert, wo es heißt: "Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst sie sprechen, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst."(Dtn 6,4-7).

Jesus verbindet dementsprechend die Gottes-und Nächstenliebe, und das bedeutet nichts Geringeres als dies, den Glauben in Gemeinschaft zu leben und auch weiterzugeben an die nachfolgende Generation. Mit anderen Worten: Der Ort, wo man die Gottesund Nächstenliebe leben soll, ist der Ort, wo Gemeinschaft entsteht und direkt gelebt wird, also vor allem die Familie. Sie ist damit eine mindestens gleichwertige Nachfolgeform gegenüber sogenannten geweihten Lebensformen. Sie ist ein Lebensstil der Einheit von Gottesund direkter Nächstenliebe. Diese direkte, unmittelbare Hingabe an den Mitmenschen kann gewiss in Ordensgemeinschaften gelebt werden und wird es wohl auch, allerdings birgt diese Lebensform auch die Möglichkeit, dass man sich die Verbindlichkeiten der unmittelbaren Nächstenliebe erspart.

Man bleibt auf Abstand, in Distanz. Man taucht bereitwillig ein in das Elend der Welt, man unterstützt die Gescheiterten, man gibt den Hoffnungslosen neuen Mut, man versorgt und verbindet Wunden aller Art, man ist verfügbar. Aber man bleibt auf Distanz, unmittelbar anfordernde Nächstenliebe wie in der Familie muss nicht ausgelebt werden. Man leidet wohl mit, wird aber nicht so unmittelbar hineingezogen in Leiden und Freuden der unvergleichlich Nächsten, wie sie in einer Familie alltäglich da sind.

Blickt man auf die derzeitige Leitung der katholischen Kirche, so scheint es, als schaffe sich da eine besondere Sensibilität für den gelebten Glauben in und für die Welt einen mutigen, weiten, offenen Raum. Gleichzeitig kann man deutliche Bestrebungen von höchster kirchlicher Stelle wahrnehmen, die das Leben als Priester und in Ordensgemeinschaften - und nicht zu vergessen als geweihte Jungfrau -als wichtig und erstrebenswert für die Kirche und für die Welt hervorstreichen.

Radikale Verfügbarkeit für Gott

Es ist wahr: Solche Menschen sind bedeutend für die Kirche und die Gesellschaft, damals wie heute. Das jedoch ist nicht die Frage. Die Frage ist vielmehr, inwieweit ich bereit bin -so Jorge Bergoglio -, "alles für ein Leben in Gemeinschaft und Liebe aufzugeben", wirklich alles, also auch den Schutz vor einer möglichen, intimen Kontamination mit allem Dunklen und Grauenhaften der menschlichen Existenz, das jeder gern von sich weisen möchte.

Der Schlüssel zu einem Leben in christlicher Nachfolge und in unmittelbarer Verfügbarkeit für Gott und die Welt liegt in der tiefempfundenen und ebenso tiefgelebten Bereitschaft, in unausweichlicher Gemeinschaft mit den anderen zu sein. Ein einsames Leben, in dem man sich ganz und gar Gott widmet, geistig wie körperlich, ist kein Leben, das dem massiven Anspruch der Nächstenliebe und der Gottesliebe entspricht.

Eine singuläre, zölibatäre Existenz ist entweder messianischapokalyptisch bestimmt -oder wertlose Flucht aus der Verbindlichkeit. Die radikale Verfügbarkeit für Gott verwirklicht sich im gemeinschaftlichen Leben, qualifizierter Ort dafür sind Familie und Orden. Hier wird Zeugnis gegeben und gelebt, echtes, wenn auch gebrechliches und zerbrechliches - und gewiss Zeugnis, das von selbst in die Welt wirkt.

| Die Autorin ist Ärztin und Theologin, verheiratet und hat zwei Kinder |

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