Besinnliche Töne in stillen Zeiten und atemlosen Nächten

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"Stille Nacht, heilige Nacht" - wer kennt diesen Liedanfang nicht, wer hat ihn nicht zumindest im Ohr, bisweilen aber auch auf den Lippen? Dieses Musikstück mit seinen ursprünglich sechs Strophen ist zu Weihnachten buchstäblich in aller Munde. Das wäre auch ohne das Jubiläum so, das heuer gefeiert wird: Im Jahr 1818, vor genau 200 Jahren, wurde dieses Lied in Oberndorf bei Salzburg erstmals gesungen, seither ist es auf der ganzen Welt in unzähligen Sprachen und Versionen populär geworden.

Fast jeder Gesangsstar der klassischen Musik oder des Pop-Business nahm "Stille Nacht" in sein Repertoire auf. In der ewigen Verkaufsbestenliste von Pop-Singles scheint "Silent Night" an dritter Stelle auf. Die Aufnahme von Bing Crosby aus dem Jahr 1937, die später in weiteren Versionen eingespielt wurde, verkaufte sich 30 Millionen Mal, nur übertroffen von Elton Johns Song "Candle in the Wind" und einem anderen Weihnachtshit aus der Kehle Bing Crosbys: "White Christmas".

Alles Wissenswerte über "Stille Nacht" enthält der heuer erschienene Band "Stille Nacht. Das Buch zum Lied", herausgegeben von Thomas Hochradner, Musikwissenschafter an der Salzburger Universität Mozarteum, und Michael Neureiter, Präsident der Oberndorfer Stille-Nacht-Gesellschaft. Mehr als 30 Autorinnen und Autoren widmen sich diesem Lied, insbesondere auch dessen Schöpfern und den Orten, an denen diese gewirkt haben.

Still und ergreifend

"Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht nur das traute, heilige Paar " - ganz leise kommt Gottes Sohn in die Welt, nicht im Königspalast von Jerusalem. Nur zwei Menschen nehmen ihn zunächst wahr in dieser Nacht, "die der Welt Heil gebracht".

Gerade unserer Gesellschaft, die sich nicht nur hektisch durch den Tag, sondern auch wie Helene Fischer "atemlos durch die Nacht" bewegt, wohnt vermutlich insgeheim eine tiefe Sehnsucht nach Stille und Trost inne. Die schlichte Botschaft dieses Liedes kann auch heute noch im wahrsten Sinn "still und ergreifend" wirken -wenn es selten und in der passenden Atmosphäre erklingt, sicher nicht, wenn es aus Kaufhauslautsprechern schallt.

"Stille Nacht" gehört zum weihnachtlichen Brauchtum wie die Krippe oder der Christbaum. Die Krippe geht auf Franz von Assisi zurück. Einen der ersten Christbäume in Österreich stellte die mit dem Habsburger Erzherzog Carl verheiratete protestantische Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg auf, die den Brauch, unter einem Lichterbaum Weihnachten zu feiern, aus ihrer Heimat nach Wien brachte. Man schrieb das Jahr 1816, das berühmte "Jahr ohne Sommer", in dem, wie man erst viel später herausfand, ein Vulkanausbruch im heutigen Indonesien in Europa für ständiges Schlechtwetter sorgte. Zu den literarischen Kreationen dieses Jahres zählen nicht nur Mary Shelleys "Frankenstein", sondern auch der Text von "Stille Nacht". Der junge Priester Joseph Mohr (1792-1848), als uneheliches Kind in Salzburg geboren, brachte ihn 1816 in Mariapfarr im Lungau zu Papier und ließ ihn zwei Jahre später in Oberndorf vertonen.

Es waren keine stillen, sondern unruhige Zeiten. Die Napoleonischen Kriege hatten ihre Spuren hinterlassen, das geistliche Fürstentum Salzburg war von der Landkarte verschwunden. Als Joseph Mohr im August 1817 als Kooperator nach Oberndorf kam, lag dieser Ort an einer neuen Grenze, die Salzach trennte nun Österreich von Bayern. Still war diese Epoche nur insofern, dass sich die Menschen ins Private zurückzogen, in das sogenannte Biedermeier, das sich aber -siehe die spätere Benennung dieser Zeit mit Vormärz -als "Ruhe vor dem Sturm" erwies.

Es gibt viele Spekulationen und Legenden um die Entstehung und Verbreitung von "Stille Nacht". Die Forschung stützt sich vor allem auf ein Schreiben des Komponisten Franz Xaver Gruber (1787-1863) vom 30. Dezember 1854. Anlass dafür war eine Anfrage der Königlichen Hofmusikkapelle in Berlin an das Salzburger Stift St. Peter, wer der Komponist des Liedes "Stille Nacht" sei. Über seinen Sohn Felix, damals Sängerknabe in St. Peter, erfuhr der in Hallein als Chorregent und Organist tätige Gruber davon und formulierte eine "Authentische Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes ,Stille Nacht, heilige Nacht!'"

Aus Grubers Text geht hervor, dass der Hilfspriester Joseph Mohr ihm am 24. Dezember 1818 ein Gedicht überreichte und ihn bat, eine dazu passende Melodie für zwei Solostimmen samt Chor mit Gitarrenbegleitung zu schreiben. Gruber, damals Lehrer im nahen Arnsdorf und Aushilfsorganist an der Kirche St. Nicola in Oberndorf, lieferte die Komposition noch am gleichen Abend, sie wurde nach der Christmette erfolgreich aufgeführt. Joseph Mohr sang die Tenorstimme und spielte die Gitarre, Gruber übernahm die Bassstimme. Die Barockkirche St. Nicola wurde übrigens 1910 wegen irreparabler Hochwasserschäden abgetragen, auf ihrem Platz entstand zwischen 1930 und 1936 die heutige Stille-Nacht-Kapelle.

Für Volk und Wirtshaustisch

Das Lied galt lange als Tiroler Lied, denn es wurde vor allem durch Zillertaler Sängerfamilien binnen kurzer Zeit im ganzen deutschen Sprachraum und darüber hinaus verbreitet. Am 25. Dezember 1839 soll es das erste Mal in New York erklungen sein. Frühe Drucke und Abschriften enthalten keine Hinweise auf die Autoren und weichen oft in der Tonart (ursprünglich D-Dur) und bestimmten Details von der Urfassung ab, die sich aufgrund von Autographen von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber rekonstruieren lässt. Das "hochheilige" Paar ist zum Beispiel das Ergebnis einer Bearbeitung. Die Reihenfolge der Strophen wurde verändert, jene mit den Hirten und Engeln war zunächst die sechste und letzte.

Das sind aber harmlose Eingriffe, verglichen mit den Politisierungen des Liedes im 20. Jahrhundert, die zu Auswüchsen wie "Alles schläft, einsam wacht /Adolf Hitler für Deutschlands Geschick" in der NS-Zeit oder um 1970 zu gesellschaftskritischen Texten wie "Wilde Nacht, streikende Nacht!" führten.

"Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn, o wie lacht / Liebʼ aus deinem göttlichen Mund " Sagt dieser Text nicht auf schlichte Art, dass Gott Humor hat? Vielleicht lacht man im Himmel auch über den Witz, in dem der Religionslehrer nach dem Namen des Gottessohns fragt und von einem kleinen Buben -mit Verweis auf diese Liedzeile - "Owi" zur Antwort bekommt. Mit Humor sollte man auch Verfilmungen zur "Stille Nacht"-Entstehung betrachten, die zwecks Dramatik Joseph Mohr als Sozialrevolutionär im Priestergewand darstellen. Faktum ist, dass Mohr, vor seinem Tod über ein Jahrzehnt Vikar in Wagrain, in jungen Jahren oft von Pfarre zu Pfarre versetzt wurde und ihm eine in dieser Zeit für einen Priester unübliche Nähe zum Volk, auch am Wirtshaustisch, nachgesagt wurde. Seinen Platz in der Geschichte hat er aber als Textdichter eines der schönsten Weihnachtslieder aller Zeiten.

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