Besondere Bärte – Muslime im österreichischen Bundesheer

Werbung
Werbung
Werbung

Die steigende Zahl von Muslimen mit österreichischer Staatsbürgerschaft wirft Fragen auf: Wie gehen Institutionen des säkularen Staates mit Religiösen um? Ein Fallbeispiel.

„Wir wollten den muslimischen Grundwehrdienern einfach die Möglichkeit geben, ihren Glauben auch im Dienst zu praktizieren“, sagt Atila Külcü. Er ist dafür verantwortlich, dass die Wiener Maria-Theresien-Kaserne seit fünf Jahren etwas Besonderes ist. Im Februar 2004 wurde hier der europaweit erste Gebetsraum für Muslime in einer Kaserne eröffnet. Muslimische Rekruten hatten zwar schon davor das Recht, ihre fünf täglichen Gebete und auch das Freitagsgebet zu verrichten. Nachdem Letzteres aber nur in Anwesenheit eines Vorbeters geschehen kann und es keine Moschee in unmittelbarer Nähe gibt, entstand eine logistische Herausforderung. Külcü, einer der wenigen muslimischen Vertragsbediensteten des österreichischen Bundesheers, wollte sich dieser Herausforderung stellen.

Als die muslimischen Grundwehrdiener immer mehr und der Transport zur Moschee immer aufwändiger wurde, hatte Külcü die Idee eines eigenen Gebetsraums in der Kaserne. Ein leerstehendes Gebäude wurde zur Verfügung gestellt und mit Hilfe von Freiwilligen und Sachspenden renoviert. Heute steht es den muslimischen Soldaten zum Gebet zur Verfügung. Zumindest jenen, die das auch wollen.

Das Bundesheer teilt Muslime in drei Gruppen ein: „Nicht-Praktizierende“, „Strenggläubige“ und „Besonders Strenggläubige“, wobei diese Begriffe höchst missverständlich sind. Auf der Homepage der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) ist zu lesen, dass „strenggläubig“ eher dem alltagssprachlichen „praktizierend“ entspreche. In den Augen des Bundesheers ist jeder Muslim „strenggläubig“, der sich zu seinem Glauben bekennt und die damit verbundenen Gebote und Regeln befolgt. Anders ausgedrückt: Jeder Muslim, der während seiner Zeit im Bundesheer auf die Ausübung seines Glaubens besteht, muss sich als „strenggläubig“ deklarieren.

Laut Karl-Reinhard Trauner tun das inzwischen fast alle muslimischen Grundwehrdiener. Trauner ist stellvertretender Leiter der evangelischen Militärseelsorge und Experte für die rechtliche Lage religiöser Minderheiten im österreichischen Bundesheer. Laut Erlass, erklärt er, sollten eigentlich alle „strenggläubigen“ Muslime in die Maria-Theresien-Kaserne einrücken, weil dort die Voraussetzungen zum Praktizieren des Glaubens durch den Gebetsraum am besten seien. Mittlerweile ist das aber nicht mehr möglich, weil die Zahl der muslimischen Grundwehrdiener stetig zunimmt, etwa 1500 werden jedes Jahr einberufen, während in den Bundesländern ein Mangel an Präsenzdienern herrscht. Die „Strenggläubigen“ werden also in ganz Österreich eingesetzt. „Es wird allerdings darauf Rücksicht genommen, dass richtige Verpflegung und der Besuch einer Moschee möglich ist“, sagt Trauner.

„Der Gebetsraum wird momentan von durchschnittlich 20 bis 30 Muslimen genutzt“, erzählt Külcü. Er selbst ist mittlerweile nicht mehr in der Maria-Theresien-Kaserne tätig, sondern als Verwalter des Offizierskasinos im 15. Bezirk. Trotzdem engagiert er sich weiterhin freiwillig als Ansprechpartner für alles, was Muslime im Bundesheer betrifft, und sorgt für die Instandhaltung des Gebetsraums. Jeden Freitag ist ein Vorbeter zum Freitagsgebet zu Gast, den Külcü über den türkisch-islamischen Dachverband ATIB organisiert. Ursprünglich war in Wien und Salzburg die Bestellung von je einem Militär-Imam vorgesehen, allerdings wurden die diesbezüglichen Verhandlungen 2008 eingestellt. Die personellen Vorschläge der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) wurden vom Ministerium wegen angeblicher fundamentalistischen Hintergründe abgelehnt. Eine Wiederaufnahme der Verhandlungen nach der Wahl des neuen Vorstands der IGGiÖ im Herbst steht aber im Raum.

Blüten der Gesetzgebung

Eine besonders kuriose Blüte der Gesetzgebung in diesem Bereich ist allerdings der Status der „besonderen Strenggläubigkeit“. Der einzige Unterschied zwischen einem „strenggläubigen“ und einem „besonders strenggläubigen“ Muslim ist in der Praxis nämlich meist dessen Gesichtshaar. Und das, obwohl das Barttragen im Islam keinesfalls ein religiöses Symbol darstellt, sondern allenfalls eine kulturelle Tradition. Im betreffenden Erlass des Verteidigungsministeriums „zusätzlich zu den religiösen Vorschriften“ ist von „weiteren besonderen Verhaltensnormen“ die Rede. Welche besonderen Normen das sind, wird nicht näher erläutert. Festgehalten ist nur, dass mit einer Sondergenehmigung das Barttragen möglich ist.

Der Anlass für diese Regelung hat mit einer anderen Religion zu tun: Als in den 90er Jahren die ersten Sikhs ins Bundesheer kamen, wollten auch diese im Dienst ihre religiösen Pflichten nicht vernachlässigen. In ihrem Fall umfasst das beispielsweise den charakteristischen Turban, aber eben auch das ungeschnittene Haupt- und Gesichtshaar. Bei Sikhs gehört das Barttragen also zur „Strenggläubigkeit“. Das Bundesheer verlässt sich in derartigen Fragen allein auf das Urteil der jeweiligen Glaubensgemeinschaft, die natürlich kein Interesse daran hat, ihren Schützlingen Steine in den Weg zu legen. Die IGGiÖ meint also quasi: Wenn jemand sich als Muslim zum Barttragen verpflichtet fühlt, dann soll ihm das nicht verboten werden.

Abgesehen von all diesen Regelungen gelten in der Praxis ohnehin andere Gesetze. So ist beispielsweise die Frage der schweinefleischlosen Kost inzwischen insofern geregelt, als in allen Kasernen Österreichs drei verschiedene Menüs angeboten werden, aus denen man wählen kann. Was das Beten betrifft, so der Presseoffizier Friedrich Tuma vom Militärkommando Wien, werde dies sowieso jedem Muslim gestattet, ungeachtet dessen, wie er sich bei der Stellung deklariert. An der Oberfläche scheint Integration im österreichischen Bundesheer also zu funktionieren.

Integration als „work in progress“

Doch es gibt auch Sprünge in dieser Oberfläche. Laut den vorläufigen Ergebnissen einer Studie des Politikwissenschaftlers Peter Fußl, die vom Bundesheer selbst in Auftrag gegeben wurde, sehen etwa 46 Prozent der Muslime eine Gleichbehandlung mit ihren „alt-österreichischen“ Kollegen als nicht gegeben. Mehr als ein Drittel beurteilt die Haltung der Vorgesetzten ihnen gegenüber als negativ. Außerdem, so Fußl, wüssten viele muslimische Soldaten überhaupt nichts von den Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stünden. Und selbst wenn, würden sie oft vom Gebet absehen, um nicht als „anders“ abgestempelt zu werden. Auch Atila Külcü berichtet von Grundwehrdienern, die Probleme mit ihren Kameraden hatten, weil sie „Extrawürste“ in Anspruch nahmen.

Insgesamt ergibt sich also ein wirres Bild von Erlässen aus dem Ministerium, ihrer Umsetzung in der Praxis und einander widersprechenden Aussagen. Dass dem Bundesheer selbst etwas an der Integration liegt, zeigen die zahlreichen Bestimmungen und vor allem die grundsätzliche Zustimmung zur Bestellung von zwei Militär-Imamen recht deutlich. Jedoch bleiben Zweifel, ob diese Maßnahmen sich auch wirklich in der Praxis niederschlagen. Wie auch an so vielen anderen Orten, ist auch hier die Integration ein work in progress.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung