Besorgt und betroffen

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Anmerkungen zur politischen Streitkultur.

Friedrich Heer war der letzte Intellektuelle, der ernsthaft und glaubwürdig an der rechten Kultur Österreichs litt. Und zwar so richtig litt. Mit Herzblut, Geist und katholisch-bürgerlicher Gesinnung. Heer konnte und wollte noch verzweifeln an dieser Tradition, von der er nur allzu genau wusste, wie sehr sie nicht nur bei den damaligen Nationalen, Großdeutschen und alten Nazis beheimatet war, sondern ebenso tief ins bürgerlich-katholische Lager hineinreichte. Seine Verzweiflung, seine Zerrissenheit spürt man bis heute, wenn man seine Bücher, etwa jenes über den "Glauben des Adolf Hitler", liest. Es ist eine Verzweiflung, die sich aus seiner lebensernsten Bereitschaft zum Glauben-Wollen wie auch aus dem historischen Wissen um dessen Verfänglichkeit und Pervertierung speist. Wo würde Heer gegenwärtig stehen? Es ist anzunehmen, dass er wieder mittendrin, quer zu den vorgezeichneten Konfliktlinien der Debatten stünde.

Heute leidet niemand mehr an den Rechten. Die Fronten sind geklärt, das Feld ist sauber aufgeräumt. Dort stehen die "Rechten", da die "besorgten Bürger". Dazwischen spannt sich die Leere. Diesen zweifelhaften "Erfolg" dürfen die Politstrategen jeglicher Couleur für sich verbuchen. Das Resultat der Eindeutigkeit ist, dass Frau und Herrn Österreicher zeitgerecht ein Jahr vor der nächsten Nationalratswahl Politik wieder als Fußballmatch vorgeführt wird. Das Spiel heißt, wie zu erwarten, Schwarz-Blau gegen Rot-Grün. Allein der Ausgang ist noch ungewiss. Nicht mehr aber die Form der Auseinandersetzung, die weit weniger von individuellen Positionen, als von Meinungschören beherrscht wird.

Fußballniveau

Aber: Ist es denn wirklich so schlimm, dass die österreichische Debattenkultur kaum über Fußballniveau hinauskommt? Mit Verlaub: Ja, das ist es, weil unsere Polit-Liga nicht mehr in der Lage ist, dem Wandel und den damit einhergehenden Problemen auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Grundlegende Vorhaltungen sind hier zu allererst vielen heimischen Medien, inklusive ORF, zu machen, die es in all den Jahren nicht geschafft haben, ihre Rolle als kritisch-intellektuelle Instanz wahrzunehmen - was ja bedeutet hätte, der Öffentlichkeit Problemfelder abgesetzt von der Parteipolitik vorzustellen. Viel ist zwar bei Enqueten und Tagungen von der vierten unverzichtbaren (Kontroll-) Macht der Medien die Rede, im Alltag schwindelt man sich aber nur allzu gerne darüber hinweg, bringt schlussendlich doch lieber den O-Ton und das Bild eines Politikers, vertraut mehr auf den vorgefertigten Pressetext als auf eine andere, eigenständigere Perspektive.

Rückblickend ist man meist klüger. Rückblickend darf daher auch festgestellt werden, dass Österreich die knapp ein Jahrzehnt lang bestehende Möglichkeit, sich in eine medial aufgeklärtere Gesellschaft zu verwandeln, bislang ungenützt verstreichen hat lassen. Wer redet heute etwa noch von einer möglichen Koalition zwischen ÖVP und Grünen? Unsere Denktraditionen leiden noch immer an einem innenpolitischen Córdoba-Syndrom, die grundsätzliche Zweiteilung unseres Landes wie auch die Befindlichkeiten von SPÖ und ÖVP gelten als conditio sine qua non allen Politikgeschehens. Der Nachteil: Diese Muster sind allesamt nicht gegenwartstauglich weil zu behäbig. Sie nehmen unsere gesellschaftliche Vielfalt und Widersprüchlichkeit nicht ernst. Fürs Abhalten des nächsten Fußballspiels wird es jedoch noch einmal reichen.

"Gespräch der Feinde"

Es sind aber nicht nur die Medien, denen wir unsere politische Kultur zu verdanken haben. Es sind auch die intellektuellen Beiträge und Kommentare, die die staatsbürgerliche Phantasie meist genauso wenig anregen, wie sie analytische Tiefenschärfe bieten. Eher erinnern sie an die Moderation eines laufenden Fußballspiels. Dass sich dabei Stellungnahmen etwa von Robert Menasse, Karl-Markus Gauß oder Rudolf Burger angenehm abheben, ändert am Grundtenor kaum etwas. Und dass wir Friedrich Heers Bemühen um das zwingend notwendige "Gespräch der Feinde" dem sonntagabendlich ausgestrahlten Betrifft überlassen, sollte uns wöchentlich beschämen. Es war schon einmal besser um das Gespräch zwischen Intellektuellen bestellt.

Das Anrufen eigenwilliger Alter, wie etwa Kardinal König oder auch Günther Nenning, oder posthum noch störrisch wirkender Toter, wie Friedrich Heer oder Otto Schulmeister, ist zwar immer ein wenig fragwürdig, zielt aber auf etwas ab, was den meisten Intellektuellen heute fehlt: Charisma, Überzeugung, Begeisterung, Eigenständigkeit. Wem wollten wir solches noch zusprechen? Das einzige, was wir uns in diesen Zeiten des ironischen Kalküls gegenseitig zugestehen, ist "Besorgnis" und "Betroffenheit". Hübsche, ja poetische Wörter, welche aber viel an Ausstrahlungskraft eingebüßt haben, eigentlich längst schon in die parteipolitische PR-Sprache eingegangen sind.

Aktionismus

Kann es sein, dass wir die klassische, in Schriftform geführte intellektuelle Debatte überbewerten? Dass wir darüber neue Formen der Auseinandersetzung übersehen? Etwa den Aktionismus des regierungskritischen Pfeiferl-Blasens, des Ansteckens von Anti-ÖVP/FPÖ-Buttons, die Unzahl kritischer Internet-Chats? Das Interesse an diesen neuen Formen politischer Beteiligung darf nicht über die damit einhergehenden Schwächen hinwegtäuschen. Und eine eklatante Schwäche des neuen Protests, der zweifelsohne engagierten Einmischung ist deren schriftliches Unvermögen, mehr noch: deren provokant gesetzte Verweigerung nachvollziehbarer Argumente. Es ist eben kein Fortschritt darin zu sehen, dass im politischen Aktionismus dem Wort nur als Parole, als plakativem Schlagwort Platz eingeräumt wird. Die sprachliche wie schriftliche Verengung auf das Konzentrat führt eben gerade nicht zu einer besseren Nachvollziehbarkeit und Klarheit, sondern ganz umgekehrt zu einer neuen Form an Unklarheit und Beliebigkeit.

Pausbäckigkeit

"Besorgt" darf heute jeder sein. Dass diese Form der öffentlichen Einmischung noch von Teilen der FPÖ, der SPÖ und der Grünen unterstützt wird, ist bedauerlich, da wir uns dadurch Schritt für Schritt von einer bürgerlichen Debattenkultur entfernen, deren unbestrittene Vorzüge gerade in der Nachvollziehbarkeit der Argumente und der durch die Schriftlichkeit erzwungenen Reflexion liegen. Dass mit der parteipolitischen Adelung des Aktionismus ein Verlust an Seriosität einhergeht, ist so betrachtet kein Fortschritt, sondern ein Rückfall in eine politische Streitkultur, die wir zwischenzeitlich überwunden geglaubt hatten.

Noch etwas kommt hinzu: Mit der dauerhaften Nutzung des Aktionismus als eines zulässigen politischen Instruments verschiebt sich das mögliche Niveau nach unten. Nicht ohne Grund beschleicht uns häufig das Gefühl, dass die Debatten immer kindischer werden, ihnen immer häufiger etwas Pausbäckiges innewohnt, etwas von "roten Ohren" und "erhitzten Wangen", was wir eigentlich nur von unseren Kindern her kennen. Die damit einhergehende Abhalfterung der reifen, erwachsenen Persönlichkeit will uns jedoch nicht als Verlust erscheinen.

Dass wir uns diesen kindlichen Umgangston trotzdem leisten, zeigt zweierlei auf: Erstens, dass die heutige politische Debattenkultur weit weniger um redliche Zustimmung unter der Bevölkerung bemüht ist, als vielmehr selbstreferentiell wirkt. Und zweitens, dass wir uns angewöhnt haben, die Steuerbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen immer mehr außerhalb des Politischen zu vermuten. Punkt eins findet seine äußerliche Erklärung in der Professionalisierung des Politischen, während es inhaltlich eine Blamage bleibt. Punkt zwei hat zwar viel für sich - Stichwort: Internationaler Wettbewerb und Globalisierung -, für eine demokratische Gesinnung bleibt dieser Zustand aber schlichtweg unzumutbar.

Wie soll es anders werden? Um im Fußball-Jargon zu bleiben: Keine Nachspielzeiten mehr zulassen, die Einwechselspieler sofort abziehen und das aktuelle Spiel auslaufen lassen. Und dann? Verdachtsmomente gegen die umfassende Professionalisierung unserer Gesellschaft sammeln, Gerüchte über deren inhaltliche Hohlheit ausstreuen, den Argwohn gegenüber jedweder Inszenierung schüren. Vielleicht hilft's für die Zukunft.

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