Bestattungsritus als Solidaritätsakt

Werbung
Werbung
Werbung

Für die Menschen im Mittelalter war es wichtig, zwischen Lebenden und Toten zu trennen. Die Mittelalterforscherin Christa Tuczay über das Todesverständnis früherer Jahrhunderte. Das Gespräch führte Sandra Nigischer

Wie gingen Europäer früherer Jahrhunderte mit Sterben und Tod um? Ein Gespräch mit Christa Tuczay Germanistin und Mittelalterforscherin an der Universität Wien .

Die Furche: Wurden Menschen im Mittelalter anders als heute bestattet?

Christa Tuczay: Die Bestattungskultur, wie wir sie kennen, hat sich erst entwickelt. Viele Riten haben wir aus der römischen Kultur übernommen. Es wurde der ganze Körper bestattet, denn die Feuerbestattung, die schon die Germanen kannten, hat man komplett abgelehnt, da man der Ansicht war, der irdische Körper gehe in den Auferstehungskörper ein und solle daher nicht zerstört werden. Die Gräber lagen außerhalb der Siedlung, denn es war wichtig, zwischen den Lebenden und den Toten zu trennen. Für Märtyrer hat man sogar Kirchen gebaut. Ihren Gräbern sprach man besondere Heilkraft zu.

Die Furche: Welchen Grund hatte die Trennung zwischen den Lebenden und Toten?

Tuczay: Angst vor Krankheitsübertragung war ein Grund, außerdem war die Berührung von Toten für heidnische Völker ein Tabu. Anders bei den Christen: Tod und Leben gehörten zusammen. Die Bestattungsrituale waren und sind Solidaritätskundgebungen. Das Totenmahl etwa ist nicht unbedingt christlich, das hatte schon die griechisch-römische Antike. In der etruskisch-römischen Tradition dachte man, der Tote sitzt am Tisch, man hat ihm sogar einen Sessel hingestellt. Manchmal ging es sehr fröhlich zu, es kam zu Ausschreitungen. Man ließ den Toten hochleben.

Die Furche: Wie stellte man sich den Tod vor?

Tuczay: Bei der Seelenreise wandert die Seele aus dem Körper aufs Jenseits zu, Engel und Dämonen streiten sich um sie. War man ein frommer Mensch, hatte die Seele auf Bildern eine Vogelgestalt, ähnlich einer weißen Taube. Bei sündigen Menschen entwich die schwarze, fledermausartige Seele gleich aus dem Magen. Buße zu tun, war sehr wichtig: Man musste etwa eine Fußwallfahrt nach Rom machen. Wenn man seine Buße nicht mehr tun konnte, hat man sich Hilfsmittelchen bedient: So sollte eine Mönchskutte, die man im Sterbebett trägt, Dämonen abhalten. Oder Angehörige mussten für den Verstorbenen Buße tun.

Die Furche: Spielte Pietät bei der Beisetzung auch im Mittelalter eine Rolle?

Tuczay: Ganz sicher. Man hatte sogar einen Sterbebeistand, der die Reise erleichtern sollte. Das Sterben war genau ritualisiert. Der Begleiter war meistens kein Verwandter, weil man damals schon angenommen hatte, die Verwandten würden erbschleichen und einen unter Umständen schneller zu Tode bringen wollen. Der Theologe Jean Gerson schrieb die Ars moriendi, also Anleitungen zum vorbereiteten Sterben. Ein schöner Übergang war wichtig, sodass man nicht vom Grauen des Todes geschüttelt werden konnte.

Die Furche: Wurde durch diese Vorbereitung das Sterben annehmlicher?

Tuczay: Der Schrecken war wie bei uns vorhanden. In der Vorauer Novelle (13. Jh., Anm.) etwa sind wir mit Nahtoderlebnissen konfrontiert: Zwei Mönche kommen aus dem Kloster, beide führen ein weltliches Leben. Der eine ist fromm, der andere gibt sich dem Laster hin. Dann stirbt der Lasterhafte und kommt in der Nacht noch einmal zurück und sagt: „Du bist glücklich, dass du so fromm lebst. In der Hölle ist es ja noch schlimmer, als ich dachte.“ Wir haben hier eine Warnung vor der Hölle. Auf der anderen Seite gibt es die Trostsprüche, die Angst nehmen sollen.

Die Furche: Nicht alle können sich aber auf den Tod vorbereiten.

Tuczay: Es war wichtig, ordentlich zu bestatten, denn auch im Christentum hatte man Angst vor Wiedergängern, also Toten, die bestimmte letzte Dinge noch nicht vollbracht hatten. Bei Mord etwa konnte der Täter verdammt werden, Buße für das Opfer zu tun und Seelenmessen lesen zu lassen. Denn man glaubte, ein Wiedergänger könne aus Rache die ganze Gemeinde ausrotten. Die Germanen hatten noch konkretere Vorstellungen: Wiedergänger sahen aus wie Menschen und suchten die Lebenden gewalttätig heim.

Die Furche: Welche Menschen hatten keine Hoffnung auf eine würdige Bestattung?

Tuczay: Selbstmörder wurden im Mittelalter irgendwo verscharrt. Bei Mördern war es anders, da spielte tätige Reue eine Rolle. Wir sehen im Christentum, dass Jesus die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Es hat durchaus Sünden gegeben, die man sühnen konnte, obwohl sich die Auffassung darüber im Mittelalter verändert hat. Zu Beginn gab es noch kein Fegefeuer, diese Vorstellung kommt erst im 12. Jahrhundert auf. Das heißt, Mord war davor ebenso der direkte Weg in die Hölle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung