Bestialität porträtiert

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Das Künstlerhaus Wien zeigt überzeugende Arbeiten von Lisa Huber und Barbara Kohler-Heilingsetzer.

Im Jahr 1235 "veröffentlichte" Villard de Honnecourt seine Schrift Livre de portraiture, ein Anleitungsbuch zur Übertragung der so genannten Natur in bildnerische Werke. Ganz selbstverständlich stand dort der Begriff "Porträt" im umfassenden Sinn für jede Form des Bildermachens. Daran erinnert man sich beim Betreten der Ausstellung von Lisa Huber und Margret Kohler-Heilingsetzer, und an den Ausspruch von Rembrandt, er habe eigentlich nur Porträts gemalt, wenngleich viele seiner Arbeiten Geschichten erzählen.

Die beiden Künstlerinnen, die vor zehn Jahren noch das gemeinsame Produktionswerkzeug, nämlich die Druckgrafik verband, ergänzen sich in dieser Schau auf eine eindrucksvolle submediale Weise. Lisa Huber "porträtiert" mit ihren Papierschnitten wilde, nicht zähmbare Tiere, vom Nashorn bis zum Löwen. Margret Kohler-Heilingsetzer "porträtiert" Menschen, die als boat-people zwischen einer abgeschnittenen Herkunft und einer unerreichbaren Zukunft im Niemandsland der weiten Meere dahingetrieben werden. Tierische und menschliche Bestialität wird hier porträtiert, ohne dass diese anwesend wäre. Indem die beiden Künstlerinnen die abwesende Bestialität zum ins Bild gebrachten Bekenntnis zwingen, wird eine humane und animalische Perspektive von Lebensermöglichung aufgetan.

Lisa Huber verwendet für ihre Porträts hellbeiges Wachspapier, das sie in mehreren Schichten auf eine grellweiße, aus Papierstücken zusammengesetzte Grundfläche appliziert. Die unterschiedlich beschnittenen Wachspapiere ergeben in ihren Überlagerungen, die geschickt eingesetzte Durchblicke auf darunter liegende Schichten gewähren und durch ihre Transparenz hellere und dunklere Bereiche erzeugen, Tierkörper, die zugleich, nicht zuletzt durch ihre Größe, vor Kraft sprühen und durch das zarte Material von einer unglaublichen Zerbrechlichkeit sind. Flauschige Bestien, stets für den Angriff unserer Streicheleinheiten gewappnet.

Margret Kohler-Heilingsetzer baute für ihre Tonköpfe ein Schiff, einerseits als Erinnerung an die unzulänglichen Boote, mit denen sich viele Flüchtlinge auf die hohe See wagen, andererseits ob seiner Wuchtigkeit mehr als ein Vorgriff auf ein zukünftige Arche Noah.

Auf diesem Schiff versammeln sich alle Rassen und Nationen, ausgeführt als Porträts oder als Charakterköpfe. Aus verschiedenfarbigen Tonerden zusammengefügt erwecken sie einen archaischen Eindruck, so als wären sie schon ewig auf ihrem Schiff unterwegs; dann aber entdeckt man an der Wand dahinter ein breites Fotoband, das die Konterfeis eben dieser Köpfe zeigt. Wer steht eigentlich hier wem Modell, fragt man sich. Eine beklemmende Frage angesichts der Migrationsströme, die die Welt schon derzeit bewegen und noch mehr bewegen werden. Noch mehr fragt man sich: Bin ich nicht auch einer von ihnen, porträtiert als einer der irdenen Menschköpfe oder der papierenen Tierkörper?

Tonschnitt

Lisa Huber und

Margret Kohler-Heilingsetzer

Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien

Bis 29. 10. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr

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