Bibliothek der Assoziationen

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Bei "Coup Fatal", das zu Deutsch so viel wie "Todesstoß" heißt, handelt es sich eigentlich um ein Konzert. Gemeinsam mit seinem Landsmann, dem Jazz-Saxophonisten und Komponisten Fabrizio Cassol, und dem kongolesischen Countertenor Serge Kakudji aus Kinshasa (mit dem Alain Platel schon in "pitié!" zusammengearbeitet hat) hat der international gefeierte belgische Theatermacher, Gründer und Kopf der Truppe mit dem schönen Namen "les ballets C de la B" "Coup Fatal" erarbeitet.

Ausgangspunkt des Stücks war, wie Kakudji im Programmheft erklärt, eine künstlerische "Anklage gegen die Störung des Friedens" in seinem Heimatland, der Demokratischen Republik Kongo. Das Verblüffende ist allerdings, dass von der schmutzigen Realität des seit Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg und Korruption heimgesuchten Land weder etwas zu hören, noch viel zu sehen ist. Nur die Bühne, die der über Kinshasa hinaus für seine riesigen Metallskulpturen aus alten Gabeln, kaputten Handys oder rostigen Macheten bekannte Künstler Freddy Tsimba für die Uraufführung auf der Bühne des Wiener Burgtheaters ersonnen hat, gibt eine vage Vorstellung von der Realität des Landes: Er hat im Hintergrund über die ganze Breite der Bühne einen riesigen Vorhang, bestehend aus unzähligen leeren Patronenhülsen, gehängt.

Neue Art des Protests

Was sich aber sonst auf der Bühne ereignet, ist eine ganz neue Art des Protestes. Statt einer Rebellion gegen Gewalt, Krieg und Armut erklingen barocke Töne aus Händel, Gluck, Monteverdi, Vivaldi. Allerdings hat Cassol die bekannten Arien nicht für klassische Instrumente arrangiert, sondern für Gitarre, Xylophon, Balafon und Percussion. Was wir hören, ist grandiose Barockmusik à l'africaine! Was der Countertenor Serge Kakudji zusammen mit den 13 phantastischen Musikern aus Kinshasa, dirigiert vom sensationellen E-Gitarristen Rodriguez Vangama, während knapp zwei Stunden vorlebt, ist, wie man sich durch Lebensfreude dem Elend widersetzt. Sie agieren wenig 'platelisch' - überhaupt beschränkte sich Alain Platels Rolle auf die eines Kollegen, wie er selber sagt. Er gab den Musikern den Rat, sich aus den Sesseln zu erheben, mit dem Resultat, dass wir nicht nur grandiose Musiker, sondern auch fantastische Tänzer bewundern können, die ein ganz anderes Bild von Afrika zeichnen. Inspiriert von den "Sapeurs"(das kommt von S.A.P.E., der in Kinshasa beheimateten "Société des Ambianceurs et des Personnes Elégantes" (Gesellschaft für Unterhalter und elegante Personen) posieren sie und geben sich als "bejarts", eine andere Abkürzung aus der pulsierenden Kulturstadt, die für "beaux éloquents jeunes artistes" steht. Coup Fatal, das sind ungewohnte Nachrichten aus Afrika: Freude als politische Botschaft!

Naturgemäß ganz anders war das Erlebnis der Winterreise, die Auseinandersetzung des südafrikanischen Künstlers William Kentridge mit Franz Schuberts Vertonung von 24 Gedichten von Wilhelm Müller, gesungen vom deutschen Bariton Matthias Goerne, der von Markus Hinterhäuser am Klavier begleitet wurde.

Diese Winterreise ist ein heikles Unterfangen, verlangt es vom Zuschauer doch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Die Gedichte Müllers sind für sich in ihrem Sinn recht einfach zu verstehen. Kombiniert mit der Musik von Franz Schubert wird es schon komplizierter. Denn Schuberts Komposition ist nicht einfach eine Transformation des Textes in Musik. Er beschreibt, komponiert nicht einfach, wovon in den Gedichten die Rede ist, sondern 'verpackt' in seiner unvergleichlichen Musik seinen Schrecken über die Welt. Häufig spielen Gesang und Klavier zusammen, unisono. Dann aber löst sich (häufig bei Wiederholungen) die Klavierbegleitung vom Gesang und wird zum dramatischen inneren Monolog. Das Lied ist stets mehr als der Text. Nun hat Kentridge für die Winterreise Bilder erschaffen und Bilder aus seinem immensen zeichnerischen Werk aufgefunden, wie etwa die berühmten Landschaftszeichnungen, der radelnde Briefträger auf der sich drehenden Erdkugel, Animationsfilme, in denen er selber auftritt als Wanderer von Buchseite zu Buchseite oder vor dem Rasierspiegel oder die Animationen mit schwarzen Papierschnipseln, die sich zu einem Gesicht einer Frau formen etc.

Seine Grammatik von Bild und Musik dürfte für so manchen Zuschauer nicht selten den Tatbestand der Überforderung bedeutet haben. Denn einerseits sollte er der Eindeutigkeit der Worte lauschen, sich andererseits der kaum weniger eindeutigen, aber schwer zu bestimmenden Bedeutung der Musik, dem Gesang wie der Klavierbegleitung, aussetzen und dazu noch dem Strom von Kentridges wunderbaren Bildern folgen.

Sinnliche Ähnlichkeiten

Aber Kentridge ist sich als sensibler und kenntnisreicher Zeitgenosse der Schwierigkeit seines Vorhabens durchaus bewusst. So verhalten sich seine Bilder zu Schuberts Musik wie dessen Vertonung zu Müllers Text. Mal sind sie illustrativ, dann erscheint ein Baum, wenn von Baum gesungen wird, aber wie die Musik kippt das Bild jäh in etwas anderes, wenn etwa der Lindenbaum, von dem Müller spricht und der als Symbol einer intakten Welt gelesen werden kann, bei Kentridge zum Galgen mutiert, an dem Menschen hängen. Oder die gefror'nen Tränen, von denen im dritten Lied die Rede ist, als gestanzte Musik einer Notenrolle für ein Pianola langsam über die Leinwand rollt. Stets gibt es zwischen der Musik Schuberts und den Bildern von Kentridge Naheverhältnisse, sinnliche Ähnlichkeiten, die aber kein Abschließen gegen einen eindeutigen Sinn zulassen, sondern Raum geben für eigene Assoziationen. Die lose Verbindung von Text, Musik und Bild ist im besten Sinne eine konstitutive Lücke.

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