Bierdosen und Fußball, dazwischen Gläubige

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Grundsätzlich stehen Gotteshäuser allen Menschen offen. Gerade in Zeiten des Massentourismus ergeben sich daraus jedoch auch Probleme.

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Grundsätzlich stehen Gotteshäuser allen Menschen offen. Gerade in Zeiten des Massentourismus ergeben sich daraus jedoch auch Probleme.

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In Italien zahlen Urlauber für den Besuch von Kirchen. Die Erzdiözese Wien lehnt eine solche Maßnahme ab. Sie arbeitet an einem Tourismuskonzept für die Besucher des Stephansdoms.

Der Wiener Stephansdom ist Österreichs beliebtestes Touristenziel. Für Tausende Urlauber ist es unvorstellbar, nach Wien zu kommen, ohne das Wahrzeichen der Stadt zu besichtigen. Doch der Gegensatz zwischen Gläubigen und Touristen ist nur schwer zu überbrücken. Thomas Steigerwald, einer der Dommesner, ist verzweifelt. "Die Leute essen im Stephansdom ihr Frühstück, kommen mit dem Hund herein, hören laute Radiomusik oder schlecken ungeniert an ihrem Eis. Von einer angemessenen Kleidung ganz zu schweigen."

Neuerdings werde mit Handys telefoniert, auch während des Gottedienstes. Fußbälle, Rollerblades und sogar Fahrräder seien in der Kirche keine Seltenheit. "Zwischen dem überbevölkerten Stephansplatz und dem Inneren des Domes gibt es keinen Unterschied mehr."

Großes Kopfzerbrechen bereitet dem Mesner auch die wachsende Zahl von Randalierern. "Schon jeden zweiten Tag gibt es Zwischenfälle. Besucher werden beschimpft und angepöbelt oder Bierflaschen quer durchs Kirchenschiff geschleudert." Auch Diebstähle stehen an der Tagesordnung. Vor allem Taschendiebe nutzen tagsüber das dichte Gedränge. Sie werfen die leeren Geldtaschen noch im Dom weg. Weil die Anzeigen zunehmen, beobachten die Polizisten in Zivilkleidung das nicht immer fromme Geschehen.

In Italien werden die Eingänge von großen Kirchen bewacht. Mehrere Personen achten während der Sommermonate darauf, daß niemand das Gebäude ohne T-Shirt oder Hemd betritt. Für den Dom in Florenz muß man sogar Eintritt bezahlen. Der Preis liegt bei umgerechnet zehn Schilling. Der Kardinal von Florenz, Silvano Piovanelli, äußerte sich dazu durchaus positiv: "Für diese Initiative gibt es keine wirtschaftlichen Gründe sondern unangenehme Erfahrungen mit Touristen, die bei der Sommerhitze nur einen kühlen Ort zum Ausruhen suchen." Laut Piovanelli würden so die Menschen daran erinnert werden, daß sie ein Haus betreten, in dem respektvolles Verhalten erwartet wird. Der für Gottesdienste benutzte Teil des Domes sei davon natürlich ausgenommen. Kritiker befürchten, daß man mit dieser Maßnahme genau das Gegenteil erreicht. Nach der Entrichtung eines Eintrittsgeldes glauben Touristen, noch weniger Rücksicht auf die religiösen Gefühle von Betern nehmen zu müssen.

Der Pfarrer des Wiener Stephansdoms, Anton Faber, hält nichts davon, für das Betreten einer Kirche zu bezahlen. "Man muß den Urlaubern positiv gegenüberstehen. Natürlich sind Regeln wichtig. Doch mit großen Verboten kann man dieses Problem nicht lösen," erklärt Faber. Man sollte die vielen Besucher auch als Chance sehen. "Denn viele von ihnen haben keinen Bezug zur Kirche."

Für den Dompfarrer ist es wichtig, "daß den Urlaubern ein Zugang verschafft wird, zu dem, wofür die Kirche steht". Bis nächstes Jahr will die Dompfarre ein geeignetes Konzept für Touristen ausarbeiten. Faber ist "sehr daran interessiert, daß den Besuchern nicht nur die kunsthistorischen Kostbarkeiten, sondern auch die geistlichen Schönheiten nähergebracht werden". Er kann sich vorstellen, daß sich mehrere Katholiken dazu bereit erklären, einige Stunden im Dom zu verbringen, um den Touristen gewisse Anweisungen zu geben. Aus finanziellen Gründen sollen Pensionisten und andere Freiwillige damit beauftragt werden. Derzeit achten im Stephansdom nur die Mesner darauf, daß die Beter nicht gestört werden.

Für jene, die während ihres Wien-Aufenthaltes einen Gottesdienst besuchen möchten, gibt die Erzdiözese Wien jährlich die Broschüre "Grüß Gott" heraus. Sie ist kostenlos in Hotels und vielbesuchten Kirchen erhältlich. Darin sind alle Eucharistiefeiern sowie Gesprächs- und Beichtmöglichkeiten in den verschiedensten Sprachen aufgelistet. "Da nicht alle Urlauber Katholiken sind, haben wir auch Angebote der übrigen christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde in die Broschüre aufgenommen", erläutert der Wiener Tourismusseelsorger Joseph Farrugia.

Am Schwechater Flughafen hingegen bereitet der Massenansturm von Touristen keine Probleme für die Seelsorger. Für Reisende, die dort einen Ort der Stille suchen, gibt es einen interreligiösen Andachtsraum, wo jeden Sonntag ein katholischer Gottesdienst gefeiert wird. Der Andrang hält sich aber in Grenzen. "Durchschnittlich kommen acht Menschen zur Eucharistiefeier", erzählt Pastoralassistent Wolfgang Kommer. "Etwa die Hälfte sind Fluggäste, der Rest sind Angestellte des Flughafens." Mit den Bediensteten ist der Pastoralassistent regelmäßig in Verbindung. Zu den Touristen entwickeln sich spontane Kontakte. Dabei ergibt sich meist Smalltalk, nur selten kommt es, so Kommers Erfahrung, zu tiefergehenden Gesprächen.

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