Big Brother und Brandstifter

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Igor Strawinskys "The Rake’s Progress“ wieder im Theater an der Wien, eine neue Max-Frisch-Oper im Semper-Depot: "Biedermann und die Brandstifter“ von ˇSimon Voseˇcek.

Wer sich mit dem Teufel einlässt, ist verloren. Zweimal hat sich Igor Strawinsky diesem Thema verschrieben: in seiner "Geschichte vom Soldaten“ und seinem Dreiakter "The Rake’s Progress“ nach einem Text von Wystan Hugh Auden und Chester Kallmann. Bereits 2008 war diese - die Handlung vom London des 18. Jahrhunderts in das Wien der Gegenwart verlegende - Produktion im Theater an der Wien zu sehen. Jetzt wurde sie mit einem teilweise veränderten Team wiederaufgenommen. Stand damals Nikolaus Harnoncourt am Pult der Wiener Symphoniker, leitet nunmehr Michael Boder das ORF-Radiosymphonieorchester Wien.

Müde Swinger-Club-Szenen

Boder sorgt zwar für eine stets transparente Realisierung der sehr kammermusikalisch erdachten Partitur, bleibt aber insgesamt zu verbindlich, hebt zu wenig die Kanten, die diese Musik auch bietet, hervor. Präzision und Durchsichtigkeit ist eben nur ein Ansatz, und gepaart mit meist ruhigen Tempi verliert, wie diese Premiere bewies, der Abend nach und nach an Spannung.

Wünsche lässt auch die Besetzung offen, abgesehen von der - wie schon 2008 - mit ihrer Persönlichkeit prunkenden, mit einem überdimensionalen Penis auftretenden Anne-Sophie von Otter als höchst komödiantischer Türken-Baba. Vokal blass, zuweilen angestrengt agieren Tony Spence und Bo Skovhus als Tom und Nick. Wenig eigengestalterisches Profil zeigt Manfred Hemm als Trulove. Die vokal makellose Anna Prohaska kann es mit der mitreißenden Vitalität und engelhaften Ausstrahlung der Erstbesetzung Adriana Kucerová nicht aufnehmen.

Ob das anders gewesen wäre, hätte Martin Kuˇsej diese Produktion selbst betreut und nicht durch Herbert Stöger einstudieren lassen? Obwohl erst aus 2008 stammend, entpuppt sich seine von Big Brother und sonstigen Fernsehserien inspirierte, mit müden Swinger-Club-Szenen garnierte Szenerie noch unspektakulärer als damals. Was Kuˇsej mit der Neuinszenierung vorschwebte, glückt heute noch weniger: die Macht der Medien zu geißeln. Womit sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Wiederaufnahme stellt.

Kein Moralisieren

2008 spielt auch beim längst zum Österreicher gewordenen tschechischen Komponisten ˇSimon Voseˇcek ein Rolle. In diesem Jahr erhielt er für seine Max Frisch-Oper "Biedermann und die Brandstifter“ den Förderungspreis der Republik Österreich. In der Jury war auch der Intendant der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra. Ihm ist es zu danken, dass diese (mittlerweile überarbeitete) Novität nun im Semper-Depot unter seiner Leitung und mit seinen Ensembles uraufgeführt wurde.

Kennengelernt hat der aus Prag stammende Komponist den Text übrigens erst während seiner Studien in Österreich. Eine Ironie, dass Frisch zu dieser Parabel über den scheinbar naiven Haarwasserfabrikanten durch die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei angeregt wurde. Man müsse ständig lachen und sich auf den Kopf greifen, dabei aber schleiche sich permanent Unsicherheit ein, "dass man womöglich selbst gar nicht anders handeln würde“, beschreibt Voseˇcek seinen Zugang zu diesem Text, den er als "Plädoyer für eine offene Sprache und ein Zu-sich-Stehen“ charakterisiert. Und weil ihm am Moralisieren nichts liegt, hat er die Figur des bei Frisch erst am Ende auftretenden Dr. phil. ebenso gestrichen wie - der Komponist ist hier auch sein eigener Librettist - den Epilog. So präsentiert er das Frisch-Sujet klar gegliedert in sechs Szenen, die von einem Prolog einbegleitet werden und zudem Platz für drei ebenso stimmig die Atmosphäre nachstellende Intermezzi bieten.

Ganz auf den spezifischen Tonfall von Frischs mehrbödiger Ironie ist auch Voseˇceks von einem kleinen Kammerorchester realisierte, die unterschiedlichen Situationen jeweils verdichtende Musik konzentriert, die im Amadeus-Ensemble Wien engagierte Interpreten fand. Geschickt deutet Dominique Wiesbauer mit wenigen Requisiten die jeweiligen Handlungsschauplätze an. Handwerklich präzise erwies sich die allerdings etwas konventionelle Regie von Béatrice Lachaussée. Und mit Stephan Chaundy und Barbara Zamek-Gliszczynska (als Ehepaar Biedermann) und anderen standen auch rollendeckende Protagonisten zur Verfügung.

The Rake’s Progress

Theater an der Wien

19., 21., 24., 26. September

Biedermann und die Brandstifter

Neue Oper Wien

19., 21., 22. September

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