Big Macs aus Keramik

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Die Friedensreich Hundertwasser huldigende Ausstellung "Gehasst Gebaut - Geliebt" im Kunsthaus Wien täuscht darüber hinweg, wie umstritten die "Architektur" des Künstlers in Wahrheit ist.

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Die Friedensreich Hundertwasser huldigende Ausstellung "Gehasst Gebaut - Geliebt" im Kunsthaus Wien täuscht darüber hinweg, wie umstritten die "Architektur" des Künstlers in Wahrheit ist.

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Architekten bauen verbrecherisch, menschenunwürdig oder zu Beton gewordene Schnapsideen": Vehement zog Friedensreich Hundertwasser lebenslang gegen eine Berufsgruppe ins Feld, zu der er spätestens mit seinem ersten größeren Bau, dem Hundertwasser-Haus, gezählt wird. Seitdem prägte er unter anderem eine Kirche in Bärnbach, ein Dorfmuseum, eine Autobahnraststätte, das Kunsthaus Wien, das Fernwärmewerk Spittelau, das Thermendorf Blumau, sowie diverse Bauten in den USA, Deutschland und Japan mit seinen farbigen Formen. Im Kunsthaus Wien ist derzeit der so genannten Hundertwasser-Architektur eine huldigende Ausstellung gewidmet: "Gehasst - Gebaut - Geliebt", wo man die gesammelten baulichen Kuriositäten des am 19. Februar 2000 an Bord eines Schiffes im Pazifischen Ozean verstorbenen Friedensreich Hundertwasser bewundern oder bestaunen kann.

"Die moderne, sterile, herzlose Architektur entspricht nicht dem österreichischen Wesen, dem österreichischen Gemüt und der österreichischen Mentalität", behauptete der streitbare Künstler. Dieser ordnete der vehemente Autogegner sogar seine grüne Haltung unter: Als die österreichischen Kennzeichen 1989 fielen, entwarf er Nummerntafeln. "Das wäre ein großartiger Multiplikator gewesen, das Autokennzeichen ist ein ,Multiple' mit traumhaftem Verteilungsfaktor", sieht Architekturkritiker Friedrich Achleitner in Hundertwasser vor allem ein PR-Genie. So erklärt er sich auch die Behübschung von Tankstellen, Müllverbrennungsanlagen und Autobahnraststätten.

Obwohl Hundertwasser-Gebäude sofort als solche zu erkennen sind, liegt ihre praktische Umsetzung immer in der Hand eines Architekten. Meist ist es Peter Pelikan. Er arbeitete früher bei der Gemeinde Wien. "Mich hat die eher kalte Architektur der Moderne nie fasziniert", bekennt er. Kritik aus Kollegenkreisen beeindruckt ihn nicht: "Um Spannungen kümmere ich mich nicht." Pelikan tritt hinter dem Künstler zurück, dessen Ideen er umsetzt. Auch für Brauer und Kumpf hat er geplant Nichts Neues "Warum so herzlos mit dem Lineal hantieren, wo jeder weiß, dass die gerade Linie ein gefährliches, bequemes Trugbild ist, das uns ins Verderben führt? Architekten verehren die gerade Linie, das Gleiche und Glatte, das Vorfabrizierte. Auf dem Glatten rutscht alles aus. Auch der liebe Gott fällt hin. Die gerade Linie ist gottlos", so Hundertwasser in seinem Manifest.

Die Grundrisse der Hundertwasser-Bauten haben freilich viele gerade Linien, rechte Winkel, gewöhnliche Bäder und Gänge. "Größe und Art der Wohnungen war vorgegeben, weil das Hundertwasser-Haus ein sozialer Wohnbau ist, ich konnte dort nicht frei planen", begründet Pelikan.

Privilegien gab es trotzdem, wie sich Architekt Rob Krier erinnert: "Ich baute damals ein Haus für eine Genossenschaft. Wir hatten beide eine ähnliche Anzahl von Wohnungen, ich verarbeitete das verfügbare Geld, 27 Millionen Schilling, unter ungeheuren Kraftanstrengungen. Hundertwasser baute sein Haus um über 90 Millionen. Man warf mir vor, übertriebene Dekorationen in Grundriss und Ansichten zu verwenden. Ich wollte den Wohnbau für den täglichen Bedarf verschönern." Als Verfechter der Postmoderne gehört Krier übrigens nicht zur Glas- und Stahlfraktion.

"Wenn man Hundertwasser unter dem Aspekt der Architektur diskutierte, müsste man fragen: Was erfindet er an Konstruktivem, was an Details, was im Räumlichen? Selbst sein originalstes Werk, das Hundertwasserhaus, erfindet überhaupt nichts. Das sind Gemeindewohnungen normaler Typologie. Das heißt, er erfindet in seinem zeichnerischen, malerischen Bereich Formen, die er auf ganz gewöhnliche Bauten appliziert", beurteilt Achleitner Hundertwasser-"Architektur". Wirkt das bunte Haus mit Dachgarten auf den ersten Blick ökologisch, ist es doch aus dem Beton gebaut, gegen den der Meister so rabiat zu Felde zog. Damit man es nicht merkt, gibt es eine Ziegelverkleidung. Für Architektur, die in erster Linie Touristenattraktion ist und ihren Reiz vor allem aus Fassadengestaltung, Wand und Fußbodenornamenten bezieht, reicht das völlig. Die Bewohner von Wiens populärstem Gemeindebau freuen sich übers Grün am Dach und müssen mit der Dauerpräsenz von Reisegruppen aus aller Welt leben Etikettenschwindel 130 Jahre nach der Geburt von Adolf Loos, der in seiner Streitschrift "Ornament und Verbrechen" gegen Etikettenschwindel und überflüssigen Ballast auf den Fassaden des Späthistorismus und Jugendstils kämpfte, treten gebauchte Säulen, gebrochene Fliesen, Zwiebeltürme, Spiegelchen und andere Wesensmerkmale der Hundertwasser-Bauten ihren Siegeszug um die Welt an. Ernstzunehmendes Bauen ist ohne Loos und die Moderne seit zirka 1920 nicht mehr denkbar. Unbeirrt zog Hundertwasser dagegen ins Feld.

Das erste Werk seiner Architektographie ist der Entwurf einer Kinderrutschbahn für das Gänsehäufel. Der infantile Aspekt macht einen wesentlichen Reiz seiner Bauten aus. "Die Sehnsucht nach der kindlichen Welt ist legitim. Je unübersichtlicher und schwieriger, komplexer und problematischer die Welt wird, umso mehr ersehnt man einfache Bilder der Hoffnung", begründet Achleitner ihren Erfolg. "Der modernen Architektur wird vorgeworfen, dass sie keine Fantasie hat. Hundertwasser deckt diesen Bedarf, indem er Formen oder eine Ästhetik, die er in seinen frühen Bildern entwickelt hat, auf Architektur appliziert, oder genauer gesagt, auf Fassaden. Er hat dabei Grundformeln entwickelt, wie die bewegte Flächenornamentik, die schiefen Stützen oder diese keramischen Big Macs. Das hat für mich nichts mit Architektur oder Kunst zu tun, sondern mit PR-Strategien. Ein Fernheizwerk mit 80 Millionen zu behübschen, damit es anders aussieht, halte ich für ökologischen Zynismus."

Hundertwassers Feldzug gegen die moderne, rationale Architektur war immer von publicityträchtigen Aktionen und extrem scharfen Formulierungen geprägt. 1958 sorgte sein "Verschimmelungsmanifest" für Furore, in dem er das Lineal als Symptom von Krankheit und Verfall verteufelte, und anregte, "auf die sauberen Glaswände und Betonglätten ein Zersetzungsprodukt zu gießen,damit sich dort Schimmelpilz festsetzen kann." Was die Hassobjekte entstellt, war auf seinen Visionen erwünscht: Unkraut, Schimmel und Verwitterung sollten toleriert und gefördert werden: erst mit der richtigen Patina begann für ihn die naturhafte Schönheit einer Wand.

Bloße Dekoration Zehn Jahre später griff Hundertwasser zu drastischeren Mitteln. Die Aktion "Los von Loos" gipfelte in der Entkleidung des Künstlers vor der damaligen Kulturstadträtin Gertrude Fröhlich-Sandner und führte zu einer Anzeige. Hundertwasser focht unter Einsatz der Massenmedien weiter: Am 27. Februar 1972 trat er in der TV-Sendung "Wünsch dir was" on air für "Fensterrecht und individuelle Fassadengestaltung" ein. Drei "Gastfamilien" aus Wien, Bülach (Schweiz) und Essen verbrachten einen Tag medienlos in Düsseldorf, während Hundertwasser ihre Fassaden umgestaltete. Das Ergebnis konnten dann alle Zuseher vor den Fernsehgeräten bewundern.

"Wenn nur Hundertwasser mit seiner Begabung wieder zu einer klassischen Malerei finden könnte! Wenn er aus diesem Gestrüpp, in das er sich verfilzt hat, herauskäme!" bedauerte Krier den kreativen Stillstand des heuer verstorbenen Künstlers, der seiner Einschätzung nach vierzig Jahre stehen geblieben war. "Warum hat er nicht alles abgeräumt, damit etwas entsteht, das man nicht nur spielerisch wie im Kindergarten liest? Das Bauen ist nicht sein Gewerbe. Es ist Dilettantismus von vorne bis hinten, liebliche Intention, absolut unprofessionell umgesetzt. Er steht am absoluten Tiefpunkt emotionaler Erregung."

Dietmar Steiner, der Leiter des Architekturzentrum Wien, sieht das ähnlich: "Es handelt sich bei Hundertwasser um Dekorationen mit zerbrochenen Keramikscherben. Insofern ist sein Werk für die Architekturgeschichte nicht von Bedeutung." Den Erfolg der Bauten vergleicht er mit der gelungenen Platzierung eines neuen Joghurts auf dem Markt.

Versöhnlicher ist Friedrich Achleitner: "Der Konfliktstoff liegt nur dort, wo Hundertwassers Bauen mit Architektur verwechselt wird. Wenn man die Sachen trennen würde, wäre es einfacher. Objekte der Schaulust hat es immer gegeben, wie etwa im Prater die Kuriositätenschau. Da hat überhaupt niemand was dagegen".

Bis 25. Februar 2001

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