Bilder aus dem Abgrund

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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begegnet uns vermehrt das Unheimliche in der Kunst. Reales und Surreales treffen auf einander, Idyllen erweisen sich als bloß scheinbare.

Dunkelheit und Stille. Ein Schiff gleitet im tiefgrünen Meer sanft einer einsamen Insel entgegen. Inmitten der schroffen Felswände finden sich riesige, schwarze Zypressen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man in den Felswänden von Menschenhand geschaffene Grabkammern. Auf diese steuert ein weißer Sarg zu, der sich in dem kleinen Kahn neben einer vermummten weißen Gestalt und einem Ruderer befindet. „Das Bild muss so still sein, dass man erschrickt, wenn an die Tür geklopft wird“, so der Maler Arnold Böcklin, als er 1880 den Auftrag für dieses Gemälde bekam. Später malte Böcklin dasselbe Motiv aufgrund des ungemeinen Erfolgs noch weitere vier Mal. Wie groß die Wirkung dieses morbiden Bildes mit dem Titel „Toteninsel“ war, spiegeln die unzähligen Nachschöpfungen, auch die musikalischen und literarischen Pendants, die in Dialog mit diesem Gemälde entstanden sind – wie etwa Sergej Rachmaninows gleichnamige Komposition.

„Toteninsel“ steht exemplarisch für den Einzug des Unheimlichen in der Kunst, insbesondere durch die geheimnisvolle dunkle Wasseroberfläche, die als Symbol für das Düstere und Rätselhafte schlechthin gilt. Das Unheimliche beschäftigte seit dem 19. Jahrhundert neben dem Schweizer Böcklin Künstler aus ganz Europa – so auch die Franzosen Gustave Moreau und Odilon Redon, den Norweger Edvard Munch, den Belgier James Ensor oder den Österreicher Alfred Kubin. Was aber macht ein Bild unheimlich und warum beginnt man erst ab dem 19. Jahrhundert, verstärkt unheimliche Bilder zu malen?

Schreckhaft, angst- und grauenerregend

Erstmals hat sich Sigmund Freud 1919 in seinem legendären Aufsatz „Das Unheimliche“ mit diesem Begriff befasst. Unheimlich sei das, was „nicht vertraut, fremd, unfreundlich“ ist, meinte der Begründer der Psychoanalyse und erzählt, dass der Begriff „erst seit dem 18. Jahrhundert in Bezug auf das Gefühlsleben“ verwendet wird und eine Bedeutungserweiterung im Sinne von „schreckhaft, angst- und grauenerregend“ erhält. Auch wenn bildende Künstler das Unheimliche erst im frühen 19. Jahrhundert vermehrt in Bildern als Antwort auf biedermeierliche Idyllen oder die allzu vernunftorientierte Bilderwelt der Klassizisten festzuhalten versuchten, gab es bereits davor einzelne Künstler, die Meister des Unheimlichen waren. So etwa der Italiener Giovanni Battista Piranesi mit seinen ins Nichts führenden bedrohlichen Treppen und Kerkergebäuden – den „Carceri d’Invenzione“ (1760). Piranesis Zeichnungen sind vor allem durch ihre Ambivalenz unheimlich. Denn letztendlich ist die Bedeutung dieser rätselhaften Innenräume nicht entschlüsselbar. Diese Unentschiedenheit kommt in der Kunst bis ins 18. Jahrhundert nur selten vor, meist waren die Bilder vorheriger Epochen von einer klar definierten Bildsprache gekennzeichnet.

Auch der Spanier Francisco des Goya gilt als Wegbereiter für eine tiefenpsychologisch begründete Kunst, in der Unheimliches aus den Tiefen des Unbewussten den Weg auf die Leinwand oder das Zeichenblatt findet. Goyas Grafik „Der Schlaf/Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer“ aus der Folge der „Caprichos“ gilt als Schlüsselwerk der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Es ist eine Darstellung des an seinem Tisch schlafenden Künstlers, der von verschiedenen bedrohlich erscheinenden Tieren der Nacht – Eulen, einem Luchs und Fledermäusen – heimgesucht wird. Unklar bleibt, ob sie real sind oder bloß seinen alptraumartigen Phantasien entstammen.

Besessene Maler

Manche Künstler waren von dem Unheimlichen geradezu besessen, sie suchten bewusst die Grenze zum Wahnsinn oder sie waren aufgrund psychischer Empfindsamkeit tatsächlich zumindest phasenweise erkrankt. So begab sich Edvard Munch 1908 freiwillig zur Behandlung in eine „Nervenheilanstalt“ und auch Alfred Kubin war als Jugendlicher nach einem Nervenzusammenbruch drei Monate in einer Psychiatrie. Klemens Brosch nahm sich nach einer missglückten Entziehungskur – er litt infolge traumatischer Kriegserlebnisse an Wahnvorstellungen und wurde drogensüchtig – 1926 in einer Anstalt das Leben.

Interessant ist, dass die meisten Künstler, deren Werk vom Unheimlichen dominiert wird, in einem realistisch-gegenständlichen Stil arbeiten. Unheimliches lässt sich eben besonders gut durch das Aufeinandertreffen von Realem und Surrealem darstellen. Unheimlich wird ein Werk besonders dann, wenn Rätselhaftes oder Grausames in die scheinbare Idylle eindringen, wie der „Meister des Dämonischen“, Alfred Kubin, in dem von ihm 1908 geschriebenen und selbst illustrierten phantastischen Roman „Die andere Seite“ eindrucksvoll gezeigt hat. In der geheimnisvollen Erzählung wird ein Zeichner und Illustrator aus seinem Alltagstrott herausgerissen und von seinem ehemaligen Studienkollegen in das „Traumreich“ und seine „Traumstadt“ mit dem Namen „Perle“ eingeladen. Die im ewigen Dämmerlicht liegende Metropole mit ihren kauzigen Bewohnern fasziniert den Künstler zunächst. Allmählich begeben sich aber immer unheimlichere Ereignisse und spätestens nach dem rätselhaften Tod seiner Frau kippt die Neugier in Angst, denn die Reise entpuppt sich als Horrortrip und endet im apokalyptischen Niedergang des „Traumreiches“.

Auf welch unterschiedliche Weise Kunst Unheimliches zur Sprache bringen kann, spiegelt derzeit auch eine spannende Schau über „Edvard Munch und das Unheimliche“ im Leopold Museum. Neben dem Thematisieren von Träumen und Alpträumen wie in Goyas „Capricho“ oder Kubins „Die anderer Seite“ ließen sich Künstler gerne von Schauergeschichten, Sagen oder Geistererzählungen inspirieren wie Franz von Stuck, der in seinem Ölbild „Orest und die Erinnyen“ (1905) die Rachegöttinnen mit glühenden Augen als gleichermaßen verführerische wie unheimliche Femmes fatales dargestellt hat.

Seltene Verknüpfung mit Politik

Meist wird Unheimliches in der Kunst als allgemein menschliches Gefühl dargestellt; umso so bemerkenswerter sind jene Beispiele, wo Unheimliches mit konkreten politischen Ereignissen verknüpft wird. So malte der Italiener Aroldo Bonzagni 1911 einen Weihnachtsbaum – Symbol für Friede. Erst auf dem zweiten Blick erkennt man, dass auf diesem Weihnachtsbaum keine Christbaumkugeln hängen, sondern erhängte türkische Männer. Ein Bild, mit dem der Maler die Gräueltaten des italienisch-türkischen Krieges im Jahr 1911 anprangerte.

Nicht nur das Darstellen von toten Menschen, sondern auch Menschenleere kann unheimlich erscheinen. Dies verdeutlichen Bilder „toter Städte“ wie Egon Schiele eine Reihe von Ölbildern nannte. Inspiriert hatte Schiele dazu die verfallene kleine Stadt Krumau. Schieles ausgestorbene schwarz-braune Architekturbilder korrespondieren mit literarischen Werken der Jahrhundertwende wie Georges Rodenbachs „Das tote Brügge“. Ein Roman, in dem die menschenleere Stadt zum Symbol von unheimlicher Bedrohung und Todessehnsucht wird: „Ein Hauch des Todes weht ihn von den geschlossenen Häusern an, deren Scheiben wie im Tode gebrochene Augen starrten, von den Giebeln, deren getreppte Absätze das Wasser fast schwarz widerspiegelte. Mehr denn je empfand er die Sehnsucht nach dem Grabe.“

Edvard Munch und das Unheimliche

Leopold Museum, Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 18. 1. 2010, Mi–Mo 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr

Katalog: Christian Brandstätter Verlag Wien 2009, 304 S., e 39,90

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