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Wie die Traumfabrik Kino funktioniert, zeigt eine Ausstellung der Generali-Foundation in Wien.

Wenn die Sterne vom Himmel fallen und zu Stars oder Sternchen werden, dann ist Kino angesagt. Das meint keine Floskel, um dem Kino bloß das Niveau eines oberflächlichen Zeitvertreibs zu unterstellen. Mitnichten, die Formulierung führt zwei wesentliche Umstände klar vor Augen. Denn es heißt dort, dass das Kino "angesagt" ist, und nicht, dass damit Kino auch statt finden würde. Es ist nur die Rede über das Kino, die sich ereignet, wenn die Sterne vom Himmel plumpsen. Und das bedeutet selbstverständlich noch lange nicht, dass sich damit auch das Kino selbst ereignet. Zweitens bringt der Fall der Sterne auch mit sich, dass der Himmel immer leerer wird. Bis irgendwann alle diese himmlischen Glitzerbrocken die Erde bevölkern (werden). Die Präsentationen in der Generali Foundation schaut auf diese beiden Umstände, präzise und selbstkritisch, und stellt deren Objekte klug in den Raum. Sie bietet einen Spaziergang durch einen riesigen Schneideraum aus der Traumfabrik Kino.

Film ist nicht zitierbar

Das Reden über das Kino bliebe eine frei schwebende Waghalsigkeit, von dem man nie zeigen könnte, das es sich tatsächlich auf das Kino bezieht. Die Rede mit dem Kino klingt da schon vielversprechender, und trotzdem wehrt sich das Kino auch dagegen, verweigert sich, versteckt sich. Denn der Filmtext ist ein unauffindbarer Text, wie Raymond Bellour argumentiert. Er ist nicht zitierbar wie ein geschriebenes Textfragment, das in einem neuen Text völlig integriert ist - wie eben hier das Bellourzitat.

Das Filmzitat steht auch als Fragment seinen Film, der Film lässt sich trotz aller Zerstückelung in einzelne Sequenzen sein Filmsein nicht nehmen. Davon erzählen die gezeigten Filmausschnitte in der Ausstellung. Der Filmtext ist unauffindbar, weil er in Bewegung ist, weil er per definitionem selbst Bewegung ist. Spätestens an diesem Punkt wird klar, wie gewaltig der Beitrag von Gilles Deleuze, dem kinematographischen Philosophen, für unseren Umgang mit dem Phänomen Kino ist. "Das Kino gibt uns nicht etwa ein Bild, dem es Bewegung hinzufügt, sondern es gibt uns unmittelbar ein Bewegungs-Bild", schreibt er in seiner breit angelegten Kinoanalyse.

Das tote Standbild

Ein bewegtes Bild lässt sich nicht einfach einfrieren. Hält man es an, ändert es seinen Status völlig, es wird zu einem Standbild, zu einer Fotografie, zu einem Leichentuch der Realität. Daher macht es Sinn, die Ausstellungsfläche in einen Schneideraum zu verwandeln, ein dem Kino eigenes Instrumentarium zu verwenden, um dem Kino gerecht zu werden. Dann kann man sich auch getrost der Hoffnung hingeben, dass hier Bilder Bilder erklären. Vielleicht ergänzt durch die Unterscheidung zwischen dem Visuellen und dem Bild, wie sie der Filmkritiker Serge Daney vornimmt: "Unter dem Visuellen verstehe ich die optische Verifikation eines rein technischen Funktionierens. Das Visuelle kennt keinen Gegenschuss, ihm fehlt nichts, es ist abgeschlossen. Das Bild steht immer an der Front der Auseinandersetzung zwischen zwei Kraftfeldern, es ist dazu verdammt, eine bestimmte Andersheit zu bezeugen, und ihm fehlt immer etwas." Das Bild als Kommentar zum Bild bleibt wie der Schuster bei seinen Leisten und erklärt den Umweg über eine Begrifflichkeit für obsolet.

Nun stellt das Kino aber ein komplexes Gebilde dar, das von allen Kunstgattungen wohl am nächsten an das heranreicht, was sich ganze Künstlergenerationen unter einem Gesamtkunstwerk erträumt haben. Christian Metz hat in seiner bahnbrechenden Studie über Sprache und Film fünf Ausdrucksmaterien des Kinos benannt: Den phonetischen Laut der menschlichen Stimme, schriftliche Angaben, musikalische von Komponisten arrangierte Töne, Geräusche und fotografische bewegte Bilder. In Kombination erzeugen sie die Wirklichkeit des Kinos, folgerichtig tauchen diese Elemente auch als Baumaterialien der Ausstellung auf. Ein Grund mehr, sich im Schneideraum aufzuhalten, um das Kino mit den Mitteln des Kinos weiter zu denken.

Die Kathedrale Kino

Bleibt noch die Frage nach dem leeren Himmel. Vor einem halben Jahrhundert verglich Erwin Panofsky dem Film mit der mittelalterlichen Kathedrale, der Produzent übernimmt die Rolle des Bischofs, der Regisseur ist der leitende Architekt, der scholastische Berater wird zum Drehbuchautor, die anderen Mitarbeiter beim Film waren für die ihn die ehemaligen Mitglieder der mittelalterlichen Bauhütte. Der Philosoph Elie Faure ging 1963 sogar noch weiter: "Durch den musikalischen Charakter seines Rhythmus und durch den eindrucksvollen Gleichklang der Empfindungen, den er erfordert, kann ein schöner Film schließlich mit der Zeremonie der Messe verglichen werden."

Was bei diesen Beispielen als Einbruch eines Außen in unsere Welt mitgedacht ist, ereignet sich für Deleuze auf der Immanenzebene. Und wie sieht das im Kino wie noch nie aus? Der Tod durchzieht mit seiner Allmacht ganz offensichtlich die gesamte Kinowelt, Außerirdische bedrängen die Erde bloß durch ihren unerträglichen Anblick, aufs Tafelbild transferierte Filmstars treten wie Heiligenfiguren auf, das Telefon nimmt Kontakt mit einem Nirgendwo auf, Fenster geben fast immer einen Blick nach außen frei und Über-Bilder als Spiegel oder glänzend polierte Oberflächen verkrümmen sich in sich selbst. "Wenn ich mir sehr viel Mühe beim Putzen meiner schwarzen Schuhe gebe, spiegelt sich plötzlich die Welt außerhalb dieser Schuhe auf ihrer glatten Oberfläche. Sie selbst werden dadurch etwas weniger sichtbar. Auch wenn meinen Füßen das egal ist: Sie verschwinden ein wenig aus der sichtbaren Welt." (Ludger Blanke, Medienarbeiter) Ein ständiger Einbruch eines Außerhalb, und das innerhalb der Immanenzebene - so sieht die Traumfabrik Kino aus.

Einbruch von Außen

Die Außerirdischen treten am markantesten auf. Sie treten als etwas in Erscheinung, das außerhalb des Denkens liegt, das aber gedacht werden muss, jetzt, wo sie schon einmal da sind. Aus dem Jenseits, das es nicht gibt, taucht etwas auf, das es auch nicht gibt. Damit ist jene anstrengend herrliche Charakteristik angesprochen, die den Menschen zum Menschen macht. Der Mensch als Pendler zwischen Innen und Außen, ganz gleich, ob das Außen nun ein jenseitiger Himmel ist oder bloß das andere Ende der Telefonleitung. Der Tod spielt sich selbst aus, wie in Une chambre en ville, wo ein Mann sich umbringen will und seine Frau ihm droht, ihn zu erschießen, wenn er es wirklich macht. Ein lächerlicher Tod, trotz seiner Endgültigkeit. Oder doch ein allmächtiger Tod, wenn er im Gegensatz zum Leben, das nach Maurice Blanchot nur grenzenlose Lust bereiten kann, unendliche Befriedigung parat hält.

Traum von der Traumfabrik

In der Traumfabrik wurden die Sterne am Himmel zu Beleuchtungsanlagen umfunktioniert. Die Fabrik selbst wurde ausgeblendet. Der erste Film von Lumière aus dem Jahr 1895 zeigte noch Arbeiter, die eine Fabrik verlassen. Dann zerrann die Fabrik im Kino zur Randerscheinung. Von der Traumfabrik bleibt nur mehr der Traum. Der Traum vom Menschen. Und das ist immerhin ein hehrer Traum, der uns durchs Leben trägt.

Man kommt zum Schluss. Wir haben alle unser Heimkino. Sei es als tatsächliche Apparatur, oder sei es im Kopf als die kinematographische Struktur unseres gewöhnlichen Denkens. Daher bleibt der Slogan umzusetzen: Ständig ereignet sich Kino wie noch nie.

Kino wie noch nie

Mit Werken von Hartmut Bitomsky, Gustav Deutsch, Isabell Heimerdinger, Astrid Küver, Constanze Ruhm, Krassimir Terziev, Nadim Vardag, Klaus Wyborny, Stephen Zepke sowie Antje Ehmann und Harun Farocki.

Generali Foundation

Wiedner Hauptstraße 15, 1040 Wien

Bis 23. April Di-So und Feiertage 11-18, Do 11-20 Uhr

Katalog: Antje Ehmann, Harun Farocki (Hgg.), Kino wie noch nie - Cinema like never before. Köln 2006, 192 Seiten, e 19,90

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