Bilder persönlicher Befindlichkeiten

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Mit einer großen Personale ehrt das MUMOK in Wien die Grande Dame der österreichischen Malerei, Maria Lassnig, die heuer ihren 90. Geburtstag feiert. Im Zentrum der Ausstellung stehen 60 Gemälde, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind.

Ein erschrockenes Gesicht mit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen beherrscht den Bildraum. In den Händen hält die nackte Frau eine "Sanduhr", wie auch der Titel bestätigt. Rundherum nichts als Weiß. Das in Pastelltönen gehaltene Selbstporträt aus dem Jahr 2001 löst beim Betrachter durch seinen unmittelbaren Ausdruck Betroffenheit aus. Selten hat man in der Kunst eine derart unter die Haut gehende, malerische Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit gesehen.

Seit fünf Jahrzehnten malt Maria Lassnig ihre persönlichen Befindlichkeiten. Dabei geht es nicht um die Darstellung des Gegenstands Körper, sondern um die malerische Umsetzung von Gefühlen: "Es hat sich nunmehr seit 45 Jahren nicht geändert, dass ich beim Malen und Zeichnen von derselben Realität ausgehe: von dem physischen Ereignis der Körperempfindung", meinte sie vor einigen Jahren.

"Malerin der Schmerzen"

Der große internationale Durchbruch gelang der Einzelgängerin der österreichischen Kunst erst kürzlich. So bezeichnete sie der Londoner Observer im Frühjahr 2008 anlässlich einer Ausstellung in der Londoner Serpentine Gallery als "Entdeckung des Jahres". Von einer Bereicherung der Kunstwelt durch "eine große Malerin der Schmerzen" war da die Rede. Gelobt wurden vor allem die Zärtlichkeit, die Ehrlichkeit und der feine Humor ihrer Kunst. Zu guter Letzt stellte die Presse Maria Lassnig kurzerhand in eine Reihe mit Weltstars wie der 1954 verstorbenen mexikanischen Malerin Frida Kahlo oder der französischen Bildhauerin Louise Bourgeois.

Weder an der mädchenhaften Art der Künstlerin, die von sich selbst sagt: "Ich wäre gerne böser", noch an den neuen, vitalen Bildern errät man, dass Maria Lassnig heuer ihren 90. Geburtstag feiert. Mit einer großen Personale ehrt das MUMOK die Grande Dame der österreichischen Malerei. Im Zentrum stehen rund 60 Gemälde - alle in den letzten Jahren entstanden. Angefangen hat die künstlerische Laufbahn der Kärtnerin im Jahr 1941. Während des Krieges beginnt die ausgebildete Volksschullehrerin in Wien an der Akademie für bildende Künste Malerei zu studieren. Seit damals war es für Maria Lassnig selbstverständlich, sich nichts anderem als der Kunst zu widmen. Ein Leben als Künstlerin war für sie in den männerdominierten Avantgarde-Kreisen der Nachkriegszeit unvereinbar mit der klassischen Frauenrolle. Später thematisierte sie diese Unvereinbarkeit immer wieder in Bildern - etwa in "Illusionen von den versäumten Heiraten" oder "Illusion von der versäumten Mutterschaft", beide aus dem Jahr 1998.

1948 entstehen die ersten Körperbewusstseinszeichnungen - die Konzentration auf das Körpergefühl wird sich zum Hauptthema ihrer Kunst entwickeln. 1961 übersiedelt die Malerin nach Paris, in Wien fühlt sie sich von der Kunstszene unverstanden. Auch als Maria Lassnig 1968 ihr Leben nach New York verlagert, bleibt der große Erfolg aus. Erst 1980 wird sie nach Österreich zurückgeholt. In dem Jahr vertritt sie gemeinsam mit VALIE EXPORT Österreich bei der Biennale in Venedig. Gleichzeitig übernimmt sie eine Meisterklasse an der Hochschule für angewandte Kunst - als erste weibliche Professorin für Malerei im deutschsprachigen Raum.

Ungebrochene Neugier

Die Jubiläumsschau zeigt eindrucksvoll, was Maria Lassnig im Kunstgeschehen auszeichnet. Neben dem kompromisslosen Ringen um die Möglichkeiten der Malerei begeistert die empfindsame Selbstbeobachtung ihrer Innenwelt - gepaart mit einer ständigen Wahrnehmung der Außenwelt und des Zeitgeschehens.

Bilder wie "3 Arten zu sein" (2004) überzeugen aufgrund der ungemeinen Sensibilität und Tiefsinnigkeit - und natürlich aufgrund der malerischen Qualität. Gerade bei dieser Schau erstaunt die Neugier, mit der die Künstlerin ungebrochen den wesentlichen Fragen des Lebens nachgeht. In einem Alter, in dem die meisten ihrer Kollegen gar nicht mehr am Leben sind, hinterfragt sie noch einmal die Mann-Frau-Beziehung und schafft mit "Diskretion" (2004) und "Adam und Eva in Unterwäsche" (2005) nicht nur berührend intime, sondern auch äußerst humorvolle Beziehungsbilder.

Nie hat sich Lassnig spekulativ Kunstrichtungen angeschlossen, und doch sind ihre Arbeiten keineswegs unbeeinflusst von Zeitströmungen, wie auch die neuen Bilder zeigen, die wieder einen stärkeren Hang zum Realismus erkennen und so manches Werk der "Neuen Leipziger Schule" daneben blass erscheinen lassen. Selten ist ein Werk gleichermaßen in sich geschlossen wie offen für Innovationen.

Maria Lassnig. Das neunte Jahrzehnt

MUMOK, Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 17. 5., Mo-So 10 -18 Uhr, Do 10 -21 Uhr

Katalog hg. v. Wolfgang Drechsler, 146 S., e 32,-

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