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Christian Ludwig Attersee zum 65. Geburtstag.

Für die Verbindungen von Kunst und Leben gibt es weniger Modelle als imponierende und aufschlussreiche Einzelfälle. Die Überzeugungskraft des Künstlers liegt im Unbedingten seines Werks, im permanent spürbaren künstlerischen Handlungsbedarf. Die notwendige Annäherung an die Welt ist beim bildenden Künstler eine visuelle. Originalität und Intensität sind dabei wesentliche Kriterien dessen, was man pauschal als Qualität bezeichnet. Wie ein Künstler zur Welt steht, zeigt sich in der Beschaffenheit, den Absichten und Facetten seiner Arbeit, der Differenziertheit ihrer Sprache, dem Gestus und Habitus von Werken, denen man das Besondere, Unverwechselbare ihrer Beschaffenheit und ihres Urhebers anmerkt.

Wind, Wetter, Wasser

Auf Christian Ludwig Attersee, der am 28. August 65 Jahre alt wird und diesen Geburtstag mit einer großen Ausstellung von Gemälden der letzten Jahre begeht, lässt sich das Fazit der einleitenden Gedanken gewinnbringend anwenden. In Preßburg geboren, wo sein Vater als Architekt und seine Mutter als Kindergärtnerin tätig waren, kam er mit Eltern und Bruder 1944 nach Landshaag an der Donau, dann nach Aschach und mit Beginn der Mittelschulzeit nach Linz. Er besuchte hier das Realgymnasium bis 1957, ging anschließend nach Wien und studierte bis 1963 bei Eduard Bäumer an der Hochschule für angewandte Kunst.

Besonders enge Beziehungen zu Wind, Wetter und Wasser bescherten dem jungen Multitalent beachtliche Erfolge als Segelsportler. Die Sommermonate verbrachte Christian Ludwig in Attersee am Attersee. Im Segeln gewann er drei Staatsmeisterschaften, vom Hausboot seines Vaters aus erweiterte er seine anfänglichen zeichnerischen und gesanglichen Ambitionen in vielseitige, teils objektbezogene, teils aktionistische und filmische Arbeiten bzw. Auftritte. Den Namen seiner Feriengemeinde setzte er seinem Familiennamen - durchaus zum Vorteil beider - am 13. November 1966 hinzu.

Attersee lebte 1965/66 in Berlin, zunächst bei Gerhard Rühm und später im selben Haus wie H. C. Artmann. Als Nachfolger von Maria Lassnig übernahm er 1992 die "Meisterklasse für Malerei, Animationsfilm und Tapisserie" an der "Angewandten" in Wien, die damals eine international herzeigenswerte Besetzung aufwies. Seine ersten wichtigen Ausstellungen fanden in Berlin (1966, Galerie Benjamin Katz), Wien (1967, Galerie im Griechenbeisl, 1968, Galerie nächst St. Stephan) und 1970 in der Galerie von Bruno Bischofberger in Zürich statt. Von diesem Zeitpunkt an gab es Ausstellungen in aller Welt, in den führenden Museen Europas, Teilnahmen an der Biennale von Venedig 1984, der Biennale von Sydney 1982 und der 6. documenta in Kassel 1977. Wieland Schmied wählte sieben Zeichnungen für Kassel aus und ordnete sie dem Ausstellungskapitel "Wirklichkeit - Klischee und Reflexion" zu - einem Motto, das von Beginn an Attersees künstlerische Interessen und seiner ironiegeladenen Auseinandersetzung mit Trivialitäten und Gegenständen des Alltags entsprach.

Impulsgeber Sexualität

Christian Ludwig Attersee begreift Dasein und Kunst als großes Spannungsfeld eines schöpferischen Zustands, der von der extremen Subjektivität künstlerischer Formulierung und ihren originären Grundlagen zu kollektiver Erfahrung und Erkenntnis überleitet. Sein Erfindungsreichtum im weiten Land von Imagination und Wirklichkeit, Alltag und poetischer Verklärung steckt ein bizarres, an Entdeckungen gleichsam unerschöpfliches Territorium ab. Innerhalb der Neuen Malerei Europas, die wesentlich durch deutsche, italienische und österreichische Künstler geprägt wurde (Baselitz, Lüpertz, Penck, Immendorf; Chia, Cucci, Clemente, Paladino; Anzinger, Schmalix, Damisch, Scheibl), kommt Attersee eine Vorläuferrolle zu.

Mit Humor und greifender Sarkastik, sein Publikum verunsichernd und amüsierend, hat Attersee von Beginn seines Werkes in den 1960er Jahren Erotik ins Spiel gebracht und bildhaft glossiert. Seine erotischen Aperçus und Zitate, Bilderfindungen und Objekte ergeben mit den außergewöhnlichen narzisstischen Selbstporträts seiner frühen Fotoserien eine wahre Fundgrube für das, was durch Erotik beeinflusst wird und was Erotik neben ihrer tiefen und tragenden Funktion auch beinhaltet: Witz und Koketterie, Provokation und Überraschung, Mode und Kommerz, Spaß, Unterhaltung und Werbung.

Attersees schöpferische Unruhe lieferte die Anstöße für ein heute auf 7.400 Werke angewachsenes Oeuvre. Beherrscht von kontinuierlich wahrgenommenen Schwerpunkten der Malerei, Zeichnung und Druckgrafik, umfasst es Keramik, Porzellan und Bildteppiche, große Wand- und Deckengemälde, Mosaike, Bühnenbilder und Plakate sowie weitere gebrauchsgrafische Arbeiten wie Weinetiketten und Covers für Schallplatten und cds.

Überschwang und Präzision

Was Attersee in Summe als unvergleichlichen, stilprägenden Künstler ausmacht, sind - neben den von Beginn an klug weiterentwickelten Fähigkeiten wie Talent, Neugierde und der Freude am Experiment - sein ausuferndes Vorstellungsvermögen, seine Kombinationsgabe, Vitalität und Daseinsbejahung sowie Witz, Überschwang und Präzision - je nachdem, was Thema und Komposition dem Künstler abverlangen. Man kann bei Attersee, wie bei allen elanvollen, aus den jeweiligen Eigenheiten des gewählten Mediums schöpfenden Künstlern ohne Umschweife von Freude an der Arbeit und der Lust am Bild sprechen.

Sein exzellentes zeichnerisches Können und die immer wesentlicher gewordene Hinwendung zur Malerei als der großen und anspruchsvollen Symbiose künstlerischer Verwirklichung und Behauptung haben Attersee befähigt, der Kunst in Österreich nach 1950 ein tatsächlich in vielem neues, weit umspannendes Kapitel sehr persönlicher Reflexion und Gedankenschärfe hinzuzufügen. Worum es ihm, an dessen Werken sich die Ansichten von Kunstfreunden und Sammlern immer wieder scheiden, im Kern geht, ist, wenn schon nicht die utopische Veränderung der Welt durch Kunst, dann doch das Hervorrufen von Anteilnahme an und die Auseinandersetzung mit Kunst in einer freien, heterogen zusammengesetzten Gesellschaft auf der Basis gemeinsamer Grundwerte. In der Umsetzung persönlicher Freiheit und Toleranz geht er bis zu jenem Grad, der den anderen nicht zwanghaft beeinträchtigt oder verletzt. Das, und nicht weniger, darf sich auch der Künstler von der Gesellschaft erwarten, wenn es heißt, geistigen und ästhetischen Anspruch zu definieren und die Wahl der Mittel zu bestimmen.

Der Autor war bis 2004 Direktor des Kunstmuseum Lentos.

Attersee

Die Liebe - Das Haus - Der Ring

BA-CA Kunstforum

www.ba-ca-kunstforum.at

1010 Wien, Freyung 8

2. 9.-26. 10., tägl. 10-19, Fr 10-21 Uhr

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