Bildung ist nicht nur Wissen

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Kunst und Sport brauchen ihren Platz in der Schule. Leistungsbewußte, kreative und teamfähige Menschen sind gefragt.

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Kunst und Sport brauchen ihren Platz in der Schule. Leistungsbewußte, kreative und teamfähige Menschen sind gefragt.

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Sinnkrisen sind in Mode. Auch die Schule macht gerade eine durch. Ihr Dilemma: An die Ausbildung werden immer höhere Anforderungen gestellt, aber Unterrichtsstunden kosten Geld. In Sparpakets-Zeiten muß immer mehr Inhalt in immer weniger Stunden untergebracht werden. Die Lösung: Konzentration auf das Wesentliche, weg mit allem Überflüssigen.

Aber was ist wesentlich? Möglichst viel Wissen anzuhäufen, immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft? Manche Schulpolitiker glauben das immer noch, die Praktiker schon weniger. Die Wirtschaft, der zukünftige Arbeitgeber der Schüler von heute, sieht es längst anders. Aktuelles Faktenwissen hat ein sehr kurzes Ablaufdatum. Es ist meist überholt, bevor es die Schüler erstmals praktisch anwenden können.

Weit mehr gefragt sind Verständnis für Zusammenhänge, die Fähigkeit, vernetzt zu denken und Probleme zu lösen. Echte Bildung als Grundlage für lebenslanges Lernen, als Rüstzeug, um sich ständig neues Spezialwissen aneignen zu können. Dazu soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Führungsqualitäten. Und Gesundheitsbewußtsein - auch das braucht ein pflichtbewußter Arbeitnehmer.

"So etwas lernt man nicht in der Schule", lautet eine weitverbreitete Ansicht. Warum eigentlich nicht? Man könnte es dort lernen - am besten in jenen Fächern, die nicht zum "kopflastigen" Bereich gehören und daher heute eher im Schatten stehen: Kunsterziehung, Musik und Sport.

"Die Wirtschaft hat längst erkannt, daß echte Kompetenz auf dem Sektor von Kunst und Kultur ein entscheidendes Qualifikationskriterium für Führungskräfte darstellt", betont Wolf Peschl, Direktor des "Landstraßer Gymnasiums" in Wien. Wer künstlerische Interessen und Fähigkeiten hat, gilt als kreativ und teamfähig. Von ihm wird angenommen, daß er vernetzt denken kann und eine "gesunde Arbeitshaltung" hat. Fragen über kulturelle Interessen und nach künstlerischen Hobbies gehören bei Aufnahmegesprächen schon fast zum Standard.

Auch die Forschungsergebnisse der Neurophysiologie sind eindeutig: Musik kann dem jungen Menschen ein zusätzliches Potential an Gehirnkapazität eröffnen. Schulversuche in mehreren Ländern haben bewiesen: Aktives Musizieren verbessert die Leistungen auch in den wissenschaftlich orientierten Fächern.

Das alles betrifft nicht nur "musisch Begabte". Jeder kann von Kunsterziehung profitieren, kann lernen, Kreativität zu entwickeln. Je vielfältiger das Angebot, desto eher wird jeder eine geeignete Ausdruckform finden und damit vielleicht zu einem unverhofften Erfolgserlebnis kommen.

Ähnliches gilt für den Sport: Auch er fördert den Teamgeist und die Entwicklung der Persönlichkeit. "Wenn schwache Schüler im kreativen Bereich oder im Sport tolle Leistungen erbringen, gibt ihnen das viel Selbstvertrauen und Prestige in der Klasse. Das nützt ihnen auch in den Lernfächern", weiß Maria-Edith Kuttner, Leiterin der Hauptschule Kenyongasse in Wien. Maria Gamillscheg, Administratorin des Gymnasiums an derselben Adresse, ergänzt: "Leistungssportler sind oft gute Schüler. Sie können sich die Zeit einteilen und sind leistungsorientiert. Das ist auch für die anderen ein Ansporn."

Kunst und Sport in der Schule könnten viel bringen - gerade dort wurde aber bisher eifrig gespart. Laut "Normalstundenplan" gibt es in den siebenten und achten AHS-Klassen gerade noch zwei Turnstunden pro Woche und eine Wahlmöglichkeit zwischen Musik und Kunsterziehung. Das jeweils andere Fach kann nur als Wahlpflichtfach belegt werden - was kurz vor der Matura wenige tun.

Besonders Interessierte können in Schwerpunktschulen ausweichen. Dort gibt es - je nach Schwerpunktsetzung - mehr Musikunterricht, mehr bildnerische Erziehung oder mehr Sport. Das ist im Rahmen der Schulautonomie möglich. Voraussetzung: ein Beschluß durch die "Schulpartnerschaft", die Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter bilden sollen.

Darüber hinaus sind viele Schulen sehr aktiv, wenn es um Freizeitangebote geht. Schauspiel, Tanzen, bildnerisches Gestalten, Instrumentalunterricht, Schulorchester, Rockbands, Mannschaftssport, Leichtathletik, Schwimmen, Selbstverteidigungskurse - die Bandbreite ist groß. Probleme durch das Sparpaket gibt es aber auch hier: Auf "unverbindliche Übungen" dürfen nur drei Lehrerstunden pro 100 Schüler entfallen - höchstens fünfzehn Wochenstunden in einer Schule mit 500 Schülern. Vieles, was früher gratis war, kann daher jetzt nur mehr als Privatunterricht - und damit kostenpflichtig - angeboten werden.

Der größte Nachteil: Alle diese Angebote - so wertvoll sie sind - werden vor allem von denjenigen genützt, die sich auch außerhalb der Schule mit Musik, Zeichnen oder Sport befassen. Diejenigen, die es am nötigsten hätten, kommen zu kurz.

"Daß in der 7. und 8. Klasse zwei Turnstunden pro Woche reichen, weil 17- und 18jährige ohnehin von sich aus Sport betreiben, stimmt leider nicht immer", sagt ein Sportlehrer. Auch in diesem Alter huldigen schon manche dem Grundsatz "no sports" - aus Prinzip oder aus Sorge ums perfekte Outfit. Wenn auch der verpflichtende Turnunterricht aus keinem Sportverweigerer einen Fitneßapostel machen wird: Die Turnstunden verhelfen ihm wenigstens ein paar Jahre lang zu mehr Bewegung. Das ist, vom gesundheitlichen Standpunkt gesehen, besser als gar nichts.

Ein weiterer Kritikpunkt: Trotz Lehrerarbeitslosigkeit gibt es in diesen Bereichen zu wenige ausgebildete Fachlehrer. "Vor allem in den Hauptschulen herrscht ein Mangel an ausgebildeten Kunst- und Musikerziehern", so Wolf Peschl. Wer junge Leute für Kunst und Kultur begeistern will, muß die ganze Bandbreite seines Faches beherrschen und noch dazu "der richtige Typ" sein - einer, dem die Schülerherzen zufliegen.

Letzteres kann man zwar nicht lernen, aber wenigstens das "Technische" ließe sich durch Ausbildung sicherstellen. Gutgemeinte Notlösungen können mehr schaden als nützen: Es ist leicht, jungen Leuten die Lust auf Kunst und Kultur ein für allemal zu verderben. Auf Sport übrigens auch. Der dabei entstehende Schaden wird viel zu wenig wahrgenommen.

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