Bioklima zum Leben lernen

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Früher eine Ausbildungsstätte für Priester, heute ein schulisches Biotop zur Entfaltung der gesamten Persönlichkeit: Im Stiftsgymnasium Melk hat man die Zeichen der Zeit erkannt - und zugleich die eigenen Stärken bewahrt.

Es ist nicht die prächtige barocke Fassade. Es ist nicht die ehrwürdige Geschichte. Und es sind auch nicht prominente Schulabgänger wie Kardinal Franz König oder Josef Hader, die diese Schule neben der Donau so besonders machen.

Es ist einfach das Klima. "Wir bemühen uns um eine sehr enge Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern - und das spüren sie auch", erzählt Direktor Anton Eder in seinem hellen Büro, dessen freundliche Atmosphäre nur kurz von Rasenmäherlärm getrübt wird. Eine starke Verbundenheit mit der eigenen Schule zu entwickeln, ist gar nicht so selbstverständlich: "Viele Altmelker erzählen uns, dass sie sich wundern, wie andere ihre ehemalige Schule niedermachen", erklärt Eder. Dass dieser negative Automatismus auch in Zukunft nicht in Melk Einzug hält, ist sein großes Ziel.

"Treffpunkt" für alle

Die Schule als Lebens-, Lern-und Gemeinschaftsraum: Dieses Motto entspricht nicht nur der Philosophie des 48-jährigen Direktors, der selbst in Melk zur Schule gegangen ist, sondern auch dem Leitbild des Gymnasiums und Oberstufenrealgymnasiums: "Im Sinne des Heiligen Benedikt wollen wir eine menschenfreundliche Schule sein, die Raum lässt sowohl zu freier Persönlichkeitsentwicklung als auch zu solidarischem Denken und Handeln", heißt es darin. Die jungen Menschen sollen "Leben lernen" - nichts weniger.

Ein hoher Anspruch, dem man in Melk auch Taten folgen lässt: So wurde etwa vor zwölf Jahren der "Treffpunkt" eingerichtet - eine "unterrichtsfreie Zone" von knapp 300 Quadratmetern Größe, die zur Freizeitbeschäftigung sowie als "Beziehungs-und Begegnungsraum" vor, zwischen und nach dem Unterricht genutzt werden kann. Gemütliche Couches und mehrere Computer mit Internetzugang stehen ebenso zur Verfügung wie zwei "Wuzzler" für passionierte Tischfußballer, eine Getränkebar, Zeitungen und Gesellschaftsspiele. Das wichtigste aber ist die Kontaktmöglichkeit - zwischen den Schülern und Schülerinnen selbst wie auch jene mit Lehrkräften und dem "Treffpunkt"-Team.

"Ich bin hier täglich präsent - als Ansprechperson für ganz alltägliche Dinge", erzählt Petra Fischer im ihrem wohnlichen Büro - und reicht als vertrauensbildende Maßnahme ein Schokolade-Naps. "Das kommt immer gut an", lächelt die gebürtige Schweizerin, die nach einem Theologiestudium nun als Schulsozialarbeiterin in Melk im Einsatz ist. Ob Probleme mit den Eltern oder Lehrern, Mobbing in der Klasse, Beziehungskrisen oder Essstörungen: Die ausgebildete Trainerin für prozessorientierte Gruppenarbeit und die zwei Patres, die ebenfalls im "Treffpunkt" mitarbeiten, haben immer ein offenes Ohr. Das Zauberwort heißt "niederschwellig": Statt sich offiziell an die Schulpsychologin wenden zu müssen, reicht die Frage: "Petra, hast du kurz Zeit, ich muss mit jemandem reden ..."

Hilfen für Außenseiter

Auch mit dem heiklen Sozialgefüge "Klassengemeinschaft" ist Petra Fischer befasst. Im Rahmen der "Meine-Klasse-und-ich-Tage" und der "Gemeinschaftstage", die sie in der Unterstufe anbietet, soll der Zusammenhalt gestärkt und ein etwaiges "Außenseiter"-Problem analysiert und gelöst werden. In der Oberstufe folgen "Orientierungstage", in denen sich die Jugendlichen der Klassengemeinschaft oder anderen Themen widmen können.

Warum solche Initiativen im Sinn einer Schulpastoral nicht in allen Schulen verankert sind, ist der jungen Frau ein Rätsel. "Damit kann man ja größere Probleme verhindern helfen", ist sie überzeugt - und reicht das letzte Schweizer Schoko-Naps.

"Wuzzeln" für Rumänien

Der Melker Zusammenhalt macht freilich nicht an den Klostermauern halt. Seit Jahren sind Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer des Stiftsgymnasiums im Rahmen von Hilfsprojekten im Ausland engagiert. Seit März dieses Jahres sammeln sie nun für ein Sozialprojekt in Rumänien. In Saniob, einem kleinen Dorf etwa 30 Kilometer nordöstlich von Oradea, soll neben zwei bereits renovierten Häusern für sozial vernachlässigte Kinder und Jugendliche ein drittes entstehen.

Um den Ausbau des "Franziskushofs" zu finanzieren, wurde mit Beginn der Fastenzeit eifrig gesammelt: Gelder aus Veranstaltungen wurden gespendet, Osterkerzen selbst verziert und verkauft, Wuzzl-Turniere organisiert. Ende Mai brachen schließlich 17 Schülerinnen und Schüler in Begleitung des Melker Abtes Georg Wilfinger sowie zweier Professoren und des Direktors nach Saniob auf, um 8000 Euro persönlich zu übergeben. "Die Kontraste zu unserem Leben hier waren enorm - obwohl Rumänien so nah ist", erzählt die 16-jährige Hanna Hosa bewegt. "Und trotzdem haben die Kinder einen total glücklichen Eindruck gemacht", ergänzt ihre Kollegin Marlies Thuswald. Die Eindrücke waren nachhaltig - doch die Zeit zu kurz. In einem zweiwöchigen Sommer-Workcamp will man die Beziehungen nun intensivieren.

Von mangelnder Intensität kann indes bei den jungen Literatinnen und Literaten des Melker "Young Writers Project" keine Rede sein. Unter der Leitung der Deutsch-und Englisch-Professorin Juliana Mistlbacher - und mit Unterstützung ihres Bruders Paulus Hochgatterer - frönen sie ihrer Schreibleidenschaft und präsentieren ihre literarischen Ergüsse bei Lesungen oder in Buchform. "Die Chroniken der Vampire" heißt etwa jenes 70-seitige Konvolut in blau und blattgold, das der übersprudelnden Phantasie des dreizehnjährigen Sebastian Kalinka entsprungen ist. "Da ist alles drinnen", erzählt der Bub voll Stolz: "Von der Danksagung bis zu ,alle Rechte vorbehalten'."

Drehtür für Begabte

Möglich wurde ihm die Arbeit an diesem opus magnum durch das "Drehtürprojekt", das im Rahmen der Begabtenförderung in Melk angeboten wird und bei dem besonders talentierte Jugendliche stundenweise dem Unterricht fernbleiben können. Die 15-jährige Julia Penn hat diese Option genutzt, um einen Geschichtsroman über ein Mädchen im Japan des 16. Jahrhunderts zu verfassen; die 13-jährige Christina Lagler nahm sich Zeit, um in einer empirischen Studie das Phänomen Zweisprachigkeit zu untersuchen; die 15-jährige Eva Gruber besuchte den Spanischunterricht der sechsten Klasse, bevor sie ein Jahr in der Melker Partnerschule "St. John's" in Minneapolis verbringt; und die 13-jährige Barbara Öllerer verfasste und illustrierte ein "etwas autobiografisches" Buch über ein Mädchen in einem Internat.

Umbau für die Zukunft

In der Melker Realität hat das Internat ausgedient. Und die Räume des "Bischöflichen Seminars", das mit Beginn dieses Schuljahres geschlossen wurde, werden derzeit von den siebten und achten Klassen benutzt - so lange, bis die Sanierungsarbeiten der gesamten Schule und der Bau der Dreifachturnhalle abgeschlossen sind. Die Kosten dafür - rund 2,5 Millionen Euro - übernimmt der Schulerhalter, das Stift Melk. Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr (440.000 Besucher jährlich!) erlauben diese Investitionen. Der laufende Betrieb wird durch das Schulgeld der rund 900 Schüler (76 Euro zehnmal pro Jahr) gedeckt.

"Die Schule hat sich dramatisch verwandelt", erzählt Anton Eder später in seinem hellen Büro. Nur vier der 85 Lehrer seien Patres - und das ehemalige Ziel der Schule, möglichst viele Priester hervorzubringen, sei längst überholt. Heute geht es laut Leitbild vielmehr darum, die Jugendlichen "zu einer bewussten Lebensgestaltung aus dem Glauben" zu erziehen, eines Glaubens, "der im schulischen Alltag, im Umgang mit den Mitmenschen, im kritischen Handeln und im ehrlichen Austragen von Konflikten sichtbar wird".

Eben alles eine Frage des Klimas.

Nähere Informationen unter

www.gymmelk.ac.at

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