Biomedizin im juridischen Niemandsland

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Ob Forschung an embryonalen Stammzellen, Nabelschnurblut oder abgetriebenen Föten: Was in Österreich noch erlaubt oder schon verboten ist (beziehungsweise in Zukunft sein soll), sorgt bei Juristen, Medizinern und Ethikern für Kopfzerbrechen.

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Ob Forschung an embryonalen Stammzellen, Nabelschnurblut oder abgetriebenen Föten: Was in Österreich noch erlaubt oder schon verboten ist (beziehungsweise in Zukunft sein soll), sorgt bei Juristen, Medizinern und Ethikern für Kopfzerbrechen.

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Die Panoramasicht über Salzburg täuschte über die allgemeine Orientierungslosigkeit im Paragrafen-Dschungel hinweg: Als sich vergangenen Freitag Experten aus Medizin, Politik, Rechtswissenschaften und Theologie zu einem Symposium hoch oben am Mönchsberg am Österreichischen Institut für Rechtspolitik versammelten, um über "gebotene, erlaubte und rechtswidrige (?) biomedizinische Behandlungen" zu debattieren, wurde vor allem eines klar: Die juristische Klarheit ist fern, und der gesetzliche Regelungsbedarf ist groß.

Allzu viele, teils widersprüchliche Gesetzestexte machen die Suche nach eindeutigen Richtlinien zum Spießrutenlauf. Die Folge sind nicht selten Gesetzeslücken, weiß Christian Kopetzki vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien: "Das Fortpflanzungsmedizingesetz von 1992 spricht von einer entwicklungsfähigen Zelle, wenn sie ,befruchtet' ist. Befruchtet ist aber jene Zelle nicht, die durch Kerntransfer aus einer somatischen Zelle entsteht. Ich halte deshalb das therapeutische Klonen in Österreich nicht für verboten", stellt der Verfassungsrechtler fest. Ähnlich unklar sei die rechtliche Situation bei der Therapie mit Hilfe embryonaler Stammzellen, weiß der Patientenrechtsexperte Johannes W. Pichler: "Nach österreichischem Recht scheint das alles gar nicht verboten zu sein." Anders sei die Situation in Deutschland, wo das Embryonenschutzgesetz "im Grunde kirchlichen Positionen entspricht".

Gesetzeslücken Bekanntlich hat sich jedoch auch dort eine Lücke aufgetan, die der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) zum Miss-fallen des neu eingerichteten Nationalen Ethik-Rats im Alleingang nützte. Zeitgleich zur Biomedizin-Debatte im deutschen Bundestag reiste er gemeinsam mit dem Bonner Neuropathologen Oliver Brüstle nach Israel, um dort nach Einfuhrmöglichkeiten embryonaler Stammzellen Ausschau zu halten. Im Unterschied zu Israel, dem neuen Mekka der Biomedizin, hat Deutschland die Gewinnung dieser omnipotenten Zellen verboten. Nicht jedoch Forschung und Import.

Ähnliche Widersprüche wie diese gebe es in Österreich zuhauf, weiß Christian Kopetzki. "Präimplantativ ist alles verboten, pränatal darf ich fast alles machen. Methoden wie das reproduktive Klonen sind auf eine Verwaltungsstrafdrohung von 500.000 Schilling Höchststrafe beschränkt", kritisiert Kopetzki. "Diese Summe würde einen Severino Antinori wohl nicht abschrecken, das Klonen in Österreich zu probieren." Je moralisch sensibler das Thema sei, desto wichtiger würden eindeutige Regelungen. Ratsam sei etwa die Ratifizierung der Biomedizinkonvention des Europarates, die immerhin die Schaffung menschlicher Embryonen, nicht aber die Forschung an überzähligen embryonalen Stammzellen verbietet. Wo die entscheidende Grenze zwischen Person und Mensch zu ziehen ist, obliegt demnach jedem einzelnen Staat.

Schließlich darf dem Interpreten des Rechts nicht dessen ethische Begründung aufgebürdet werden, mahnt Kopetzki. "Genau diese Last wird ihm aber aufgebürdet, wenn Worte wie ,Menschenwürde' verwendet werden." Ein Blick in die deutsche Diskussion, die "bürgerkriegsartige Zustände" angenommen habe, bestärke ihn in dieser Forderung.

Hierzulande hat die Debatte erst begonnen. Auch wenn sich das Parlament gegen die Therapie mit embryonalen Stammzellen aussprechen sollte: "Diese Entwicklung läuft über uns hinweg", ist Johannes Huber, Gynäkologe, Theologe und Leiter der Bioethik-Kommission im Bundeskanzleramt, überzeugt. Weltweit werde etwa bereits "Abortmaterial", also abgetriebene menschliche Föten, zur Forschung verwendet. Auch dazu gebe es in Österreich keine eindeutigen Regelungen, weiß Meinhild Hausreither vom Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen.

Die Zeit ist mehr als reif für Klärungen - und die Palette offener Fragen im Bereich Biomedizin ist breit. Eines der drängendsten Probleme ist der Umgang mit überzähligen Embryonen nach einer In-vitro-Fertilisation. 80 solcher kryokonservierter Embryonen lagern mittlerweile im Wiener AKH, erklärt Huber und fordert eine Verlängerung der Aufbewahrungsfrist von derzeit einem auf fünf Jahre. Statt die embryonalen Zellen zwingend zu zerstören, stellt Huber drei Alternativen zur Debatte: die verbrauchende Forschung, das Umprogrammieren in eine Körperzelle oder (als ethisch unbedenkliche Möglichkeit) die Freigabe der Embryonen zur "Adoption". Doch auch diese "goldene Brücke für die christdemokratischen Parteien" (Huber) birgt juristische Fallen: So käme es dabei zu einer - in Österreich verbotenen - Leihmutterschaft, weiß die Juristin Hausreither.

Offen sei auch die Frage nach der tatsächlichen Wirksamkeit von Stammzellentherapien. Selbst Pioniere wie Oliver Brüstle warnen vor übertriebenen Hoffnungen: Frühestens in fünf bis zehn Jahren könne etwa die Forschung an embryonalen Stammzellen deren therapeutisches Potenzial klären. Bis es also unter Umständen möglich ist, Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose zu heilen, defekte Organe wie Leber und Herz zu "reparieren" und Krebs durch so genannte "dendritische Zellen" zu besiegen, kann es noch 15 bis 20 Jahre dauern. Die bisherigen Stammzellentherapie-Ergebnisse bei Morbus Parkinson sind nach Meinung des Wiener Hämatologen Johannes Meran jedenfalls "kümmerlich" - und ethisch bedenklich: "Dafür braucht man bis zu sieben menschliche Föten pro Behandlung. Das ist absurd." Zudem sieht er "keine Blutkrankheit oder Tumorerkrankung, bei der man dringend embryonale Stammzellen zur Behandlung benötigt."

Potente Nabelschnur Für die Onkologie durchaus interessant - und ethisch unbedenklich - sei dagegen die Gewinnung von adulten Stammzellen aus Knochenmark oder von Stammzellen aus Nabelschnurblut, wie es etwa am Wiener AKH für die Allgemeinheit gesammelt wird. Dieses Blut enthält eine große Anzahl unreifer Blutstammzellen, aus denen auch andere Gewebszellen wachsen könnten. "Insgesamt wurden über 1.500 Patienten auf diese Weise transplantiert, wobei meist Kinder bis zu einem Gewicht von 40 Kilogramm erfolgreich behandelt wurden", erklärt Meran. Dass es sich bei diesem Eingriff um keine Kleinigkeit handelt, zeigt ein Blick auf die Mortalitätsrate: Bis zu 70 Prozent der Erwachsenen und rund 30 Prozent der Kinder sterben im Rahmen der Behandlung.

Während sich Meran für die Förderung allgemein zugänglicher Nabelschnur-Blutbanken ausspricht, bezweifelt er den Sinn der privaten Einlagerung als "Lebensversicherung" eines Kindes - wie dies im AKH angeboten wird. Von dort gelangt die Fracht zur Firma "Vita 34" in Leipzig und wird dort (zum wohlfeilen Preis von 25.000 Schilling für die ersten 20 Jahre) gelagert. "Wir haben keine ökonomischen Verbindungen zu solchen Unternehmen," stellt Johannes Huber fest. "Aber informieren müssen wir." Die Sorge um das Wohl des Kindes ist legitim; die theoretische Chance, dieses Blut auch nutzen zu können, ist freilich gering - rund 1 zu 20.000.

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