Bis auf die Unterhose

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30 Mittel- und Kleinbühnen und ca. 150 Freie Gruppen - das ist die "Freie Szene" im Wiener Theaterleben. Eine Reform soll ihre Förderung gründlich ändern.

Der traditionsreiche Wiener Theaterbetrieb gilt als hierarchisch gegliedert und äußerst stabil. Die neun großen Bundes- und Stadttheater sind von Struktur und Budget her unantastbar. Zu ihnen kommt seit Anfang der 70er Jahre eine Anzahl von Mittelbühnen, deren vormalige Gründer und gegenwärtige Intendanten zum großen Teil aus der Freien Szene der späten 60er Jahre stammen und sich mit den heutigen Freien Gruppen den Fördertopf der Stadt Wien von 15 Millionen Euro teilen, wovon sie nach einem De-facto-Gewohnheitsrecht etwa zwei Drittel für sich beanspruchen. Nun hat die zuständige Sektion im Kulturamt eine Studie durchführen lassen, die diese "allzu stabilen" Verhältnisse durchleuchtet und als Grundlage für eine dringend nötige Theaterreform dienen soll. Sie reißt aber mehr neue Fragen auf als sie alte lösen kann.

Reform dringend nötig

Was verstehen etwa die Reformer unter den geplanten "Koproduktionshäusern"? Was ist der Unterschied zwischen einer "Theaterjury" (die ohne Ausschreibung schon bis Jahresende gefunden werden soll) und einer "Theaterkommission" (die ab Herbst 2005 die Zügel in die Hand nimmt) und woher kommen die neuen "Kuratoren", die bis dahin interimär das Sagen haben werden? Was ist das für ein neues "Leitbild" für die Wiener Theaterlandschaft, das angeblich Ende des Jahres im Gemeinderat beschlossen wird? Wie wird das Budget, das für die Freie Szene bisher vorhanden war, jetzt umverteilt, und wer werden die Gewinner und wer die Verlierer dabei sein?

Um Antworten zu bekommen, pilgerten letzte Woche Wiener Theaterschaffende, die sich dezidiert nicht der Hochkultur verpflichtet fühlen, in den neuen Dachsaal der Urania zum "Theatergespräch" mit Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Die Atmosphäre war anfangs aufgeladen, ein Teil der Theatermacher, die sich in aller Eile als "OFFforum" konstituiert hatten, reagierte auf das vom Kulturamt und den Kuratoren besetzte Podium mit der Verlesung einer Erklärung. Daraufhin versuchte das Podium, den Konfliktstoff verständnisvoll zu entschärfen. Wobei jedoch vor allem eines klar wurde: dass es sich über wichtige Bestandteile seiner Reform selbst nicht ganz im Klaren ist.

Verteilungskonflikte

Im Auditorium fielen Schlagworte wie "Flurbereinigung" oder "Kahlschlag". Ein Aufsprengenwollen der "Gläsernen Decken" zwischen Mittelbühnen und Freier Szene sei eine ebensolche Kamikaze-Aktion wie das bisherige "Gießkannenprinzip" in ein "Ganz oder gar nicht"-System zu verwandeln. Während Ersteres von den mittlerweile zu Institutionen gewordenen Mittelbühnen als Großangriff empfunden würde, könnte sich Letzteres als Bumerang erweisen, der in seinem Rückschlag 50 Prozent der bestehenden Freien Gruppen tödlich trifft.

Wenige Künstler bestritten den guten Willen der Kuratoren und deren Auftraggeber. Und dennoch: nachhaltige Existenzsicherung anstreben, größere Transparenz in der Vergabe der Fördermittel schaffen, mehr Planungssicherheit durch Vierjahresverträge für spartenübergreifende Schwerpunktförderungen erreichen, der Konkurrenz der besten Projekte wie der kulturellen Vielfalt gerecht werden - das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Wie kann man ohne substanzielle Aufstockung der Mittel eine so radikale Reform umsetzen?

Neoliberale Deregulation?

Man kann nur hoffen, dass sich das Ganze am Ende nicht wieder als neoliberale "Deregulation" herausstellt, wie sie bei der "Diagonale" auf Bundesebene im Filmbereich stattfindet und vom Kulturstadtrat an anderer Stelle beredt gegeißelt wurde. Dann würde das Motto des ab 2005 wirksam werden sollenden Prinzips "Ganz oder gar nicht" nämlich "gar nicht zufällig" an den Titel des gleichnamigen britischen Films erinnern. Darin tun sich entlassene Grubenarbeiter zu einer männlichen Striptease-Truppe zusammen, um mit ihrer Show in Pubs klingende Münze zu machen. Die meisten Truppen der Freien Szene müssen die Hosen heute schon ziemlich weit herunterlassen, um ihre Arbeiten überhaupt realisieren zu können. Könnte es sein, dass viele von ihnen am Ende ganz nackt dastehen?

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