Bis zuletzt kein Entrinnen

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Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" - Klagerede und furioser Abgesang auf den Welt- und Kunstzustand - feierte in der Bearbeitung von Dus an David Parízek am Volkstheater Premiere.

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Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" - Klagerede und furioser Abgesang auf den Welt- und Kunstzustand - feierte in der Bearbeitung von Dus an David Parízek am Volkstheater Premiere.

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Der vorletzte veröffentlichte Roman des am 12. Februar 1989, nur drei Tage nach seinem 58. Geburtstag an Morbus Boeck verstorbenen Thomas Bernhard enthält weder ein Drama noch ist es so ohne weiteres eine Komödie, ungeachtet der Tatsache, dass Bernhard - untypisch für einen Roman - dies im Untertitel als Gattungsbezeichnung angegeben hat. Und "Alte Meister" ist schon gar kein Drama im herkömmlichen Sinne, zu karg ist das Szenarium, noch enthält es eine Handlung oder in einem engeren Sinne Dialoge und trotzdem eignet es sich, wie anlässlich der Inszenierung des Regisseurs Dus an David Parízek nun am Wiener Volkstheater ersichtlich ist, prächtig für eine Bearbeitung für die Bühne.

Abrechnung mit Sprachwitz

Der tschechische Regisseur, der hierzulande zuletzt mit einer bemerkenswerten Uraufführung von Wolfram Lotz' "Die lächerliche Finsternis", die ihm eine Einladung zum Berliner Theatertreffen eingebracht hatte, aufgefallen ist, reduziert Bernhards Personal von drei auf zwei Figuren, wobei nicht ganz sicher ist, ob hier überhaupt verschiedene Figuren zu sehen sind oder ob es sich nicht vielmehr nur um eine Figur handelt. Man kann Parízeks Figurenführung, die Bühnenanordnung, die Inszenierung insgesamt als Vivisektion von Regers Seele lesen.

Seine Bühne wird auf drei Seiten von riesigen Projektionswänden umgeben, auf denen in Großaufnahme projizierte Bartstoppeln zu erkennen sind. In der Mitte der drei hell strahlenden Leinwände kauert Reger in fötaler Haltung, wie unter einem Vergrößerungsglas. Im Hintergrund etwas abseits sitzt der Museumswärter Irrsiegler, der wohl nicht zufällig in Frisur und Bartpracht Tintorettos "Weißbärtigem Mann" gleicht, auf seinem Stuhl.

Reger (Lukas Holzhausen), ein (in Bernhards Romanvorlage sechundachzigjähriger) Musikphilosoph, besucht seit mehr als dreißig Jahren jeden zweiten Tag (außer montags, da hat das Museum geschlossen, und am eintrittsfreien Samstag!), den sogenannten Bordenone-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museum, um vor eben genantem Tintoretto-Gemälde auf seiner Sitzbank die Vormittagsstunden zu verbringen. Hier "bei immer gleichbleibender Raumtemperatur" rechnet er mit fast allem ab. Mit großem Sprachwitz entwirft er sein negatives Weltbild, verhöhnt er Schule ("Menschenvernichtungsanstalt"), die katholische Kirche, Österreich, Kunst, Literatur und Philosophie (vor allem Heidegger, der "größenwahnsinnige Voralpenschwachmatikus","Schwarzhinterwäldler" und "nationalsozialistische Pumphosenspießer").

Kunst kennt kein Erbarmen

Was sich also als Handlung abspielt, ist ein in Melodik und Rhythmus geniales, entfesseltes Hassfurioso mit maßlosen Übertreibungen und manischen Wiederholungen. Bernhards dramatische Form ist die Tirade. Die Erregung ist der Gegenstand. Die Eindreiviertelstunden bestehen aus nicht viel mehr als aus einer ungehemmten und ununterbrochenen Suada einer einzigen Stimme. Denn auch der aus dem Burgenland stammende, etwas einfältige Museumswärter Irrsiegler (Rainer Galke) hat keine eigene Meinung, sondern fällt Reger öfters ins Wort, ist sein Echo, wird sogar der bessere Reger, ist Stichwortgeber, dann Diener, Stütze und Adressat von Regers Wortstrom.

Was wie formvollendetes Die-Sau-Rauslassen erscheint, nennt Reger "Vergrausungsmethode", ein ihm lebensnotwendiger Trieb. Sein grantiger Humanismus begründet sich in vorwurfsvollem Leiden an der Welt, das in furiosem Beschimpfungsterror gipfelt oder sich dadurch entlädt, in allem und jedem Fehler, das Lächerliche, das Scheitern, die himmelschreiende Unvollkommenheit zu entdecken. "Das Ganze und das Unvollkommene ist unerträglich", sagt er einmal. Des Pudels Kern ist aber ein ganz andrer.

Aus dem furiosen Abgesang auf den Weltund Kunstzustand wird nämlich je länger je mehr eine Jammerrede. Wie auf jeden Satz Regers seine Umkehrung lauert, kehrt sich die Schmährede in die Klagerede eines Vereinsamten, der es versäumt hat, dem "geliebten Menschen in Eile nachzusterben". Und Parízek betont diese menschliche Kehre in Bernhards Text, wenn Reger im letzten Drittel vor allem seiner, nach einem Sturz auf Glatteis, gestorbenen Frau gedenkt, lässt Parízek Irrsiegler ein Kleid überziehen und Stöckelschuhe tragen. So wird das Daueranschimpfen gegen alles eine Klage gegen das Leben selbst, als eine im Kirkegaard'schen Sinne Krankheit zum Tode. Dabei vermag nichts ein einfach weggestorbenes, nahes Lebewesen zu ersetzen. Kein alter Meister, kein großer Denker, keine Literatur, Musik, auch keine Malerei ist dem Elementarereignis Tod gewachsen oder könne auch nur Trost bringen. Auch die Kunst kennt kein Erbarmen.

So setzt das Stück am Ende wieder dort an, wo es begonnen hat. Reger liegt in fötaler Haltung auf seiner Bank, wo er vor Jahrzehnten auch seine Frau kennenlernt. Alles wieder von vorn. Es gibt bis zuletzt kein Entrinnen.

Alte Meister

Volkstheater 24., 25. Okt., 5., 6. Nov.

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