Bilanz der Wiener Festwochen 2010: Die Veranstalter setzten auf bekannte Namen. Ihre Produktionen waren in diesem Jahr durchaus zwiespältig.
Die am letzten Wochenende zu Ende gegangenen Wiener Festwochen 2010 bescherten der Hauptstadt auch heuer ein vielfältiges Theaterprogramm. Der Vergleich zu den Vorjahren zeigt aber auch die Grenzen der Logik einer Festivalkultur, die einerseits aus dem reichen Fundus der ost- und westeuropäischen und vor allem auch deutschsprachigen institutionellen Theaterlandschaft schöpfen kann und andererseits zunehmend dem Selbstverständnis einer globalen Kultur Folge leistet und Produktionen aus fernen Ländern importiert, häufig mit der Absicht vermeintlich Neues zu zeigen.
Ortswechsel tun nicht immer gut
Während Ersteres hauptsächlich dafür verantwortlich ist, dass handwerklich gekonntes Theater vielfach, formal innovatives Theater aber kaum zu sehen war, zeigten Produktionen aus „exotischen“‚ Gegenden – wie Teheran, Kinshasa oder Buenos Aires –, dass beim Transfer von einem kulturellen Kontext in einen anderen das Theater Schaden nimmt. Denn: Was in anderen Ländern thematisch brisant und ästhetisch Neuland bedeutet, wirkt in Wien häufig nur noch unverständlich, epigonal oder gar unbeholfen. Stücke wie „more more more … future“ des kongolesischen Regisseurs und Tänzers Faustin Linyekula übernehmen in ihrer Heimat gewiss die wichtige Rolle einer (Gegen-)Öffentlichkeit. Außerhalb des lokalen Wirkungskontextes, der ethnografischen Codes oder politischen Kontexte vermag solches in seiner optischen Opulenz und dem musikalischen Mix aus Jazz-, Punk und Folkloreelementen indes weder inhaltlich noch ästhetisch seine Relevanz zu vermitteln.
Gleiches gilt für das iranische Stück „Where were you on january 8th?“ von Amirreza Koohestanis. Wenn in Teheran die Veröffentlichung intimer Protokolle existentielle Folgen hat, sind sie in Europa nicht viel mehr als eine Episode im Reigen des öffentlichen Geständniszwangs, auch wenn die Frage nach der Gerechtigkeit Ängste anspricht, die auch andernorts gelten. Das trifft vor allem auf Daniel Veroneses Bearbeitung von Ibsens „Nora“ aus Buenos Aires zu, die den Anspruch der postemanzipatorischen Kritik behauptet, insgesamt aber im Vergleich zu hiesigen Ibsen-Bearbeitungen nichts Außergewöhnliches bietet.
Bemerkenswerterweise ist die globale Finanzkrise mit ihren Auswirkungen inhaltlich kaum – proportional zum öffentlichen Interesse – Thema gewesen. Der Versuch, das Chaos der Wirklichkeit oder gesellschaftliche Deformationen abzubilden bzw. aktuelle Problemlagen zu reflektieren, sind mit wenigen Ausnahmen ausgeblieben.
Dagegen sind die regelmäßigen Gäste der Festwochen auch heuer wieder Fixstarter gewesen: namhafte Regisseure wie Robert Lepage, Peter Stein, Krystian Lupa, Alvis Hermanis oder das Regiekollektiv Rimini Protokoll – sie alle garantieren spektakuläre Groß-Produktionen mit bewährten singulären Handschriften, genießen regen Publikumszuspruch und sichern so Stabilität im Kartenverkauf.
Gewohnte Großproduktionen
Ihre Namen – so das Kalkül – bürgen für Qualität. In diesem Jahr aber waren die Produktionen durchaus zwiespältig: So konnte Alvis Hermanis’ „Kapusvetki“ in keiner Weise an die Qualität von „Väter“ oder gar „Sonja“ anknüpfen und muss als klare Blindbuchung verstanden werden. Ebenso war „100 % Wien“ von Rimini Protokoll, die gewöhnlich für ein bestimmtes Theaterformat des Dokumentarischen, Authentischen stehen, nicht mehr als eine mäßig choreografierte Visualisierung von Statistik.
Auch wenn die Krise in der Programmgestaltung als Thema nur am Rande vorkommt, zeigt die Auswahl der Gäste, dass sie auch auf die Festwochen 2010 wirkt. Künstlerisch haben sich Intendant Luc Bondy und seine Schauspieldirektorin Stefanie Carp heuer also weniger mutig gezeigt, auch wenn Carps Präsenz und persönlicher Einsatz weiterhin ungebrochen waren. Frei nach dem Motto der heurigen Festwochen „Alles anders?“ lässt sich resümierend vielmehr sagen: Alles wie immer. Bitte nächstes Jahr wieder anders!
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