Bitte nicht selbst denken!

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Die Exkommunikation des Ehepaares Heizer fügt sich in eine Reihe von Fällen, die in merkwürdigem Kontrast zur Öffnung unter Papst Franziskus stehen. Eine Analyse.

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Die Exkommunikation des Ehepaares Heizer fügt sich in eine Reihe von Fällen, die in merkwürdigem Kontrast zur Öffnung unter Papst Franziskus stehen. Eine Analyse.

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Was haben 45.600 USamerikanische Ordensfrauen, ein indischer Jesuit und ein Innsbrucker Ehepaar gemeinsam? Sie alle haben Schwierigkeiten mit der Verwaltung der römisch-katholischen Kirche. Ein Verfahren der Glaubenskongregation gegen die Dachorganisation der Ordensfrauen (LCWR) läuft seit 2012 , gegen den indischen Jesuiten Michael Amaladoss gibt es ein Lehrprüfungsverfahren mit Redeverbot, und die Religionspädagogin Martha Heizer, Vorsitzende der Plattform "Wir sind Kirche", wurde vorige Woche wie auch ihr Ehemann Gerd Heizer exkommuniziert.

Drei sehr unterschiedliche Fälle, die in merkwürdigem Kontrast zu dem bisherigen Kurs der Öffnung von Papst Franziskus stehen. Es scheint, als ob sich das alte vatikanische Establishment mit der Stimme von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem Vorsitzenden der Glaubenskongregation, zurückmeldet. Denn es geht um zentrale Fragen: um den Status von Laien und Frauen, um eine offene Theologie und Kirche.

Eucharistiefeier wie im Anfang?

Dass sich etwas bewegen muss in der katholischen Kirche, ist klar. Da ist etwa der massive Priestermangel, der nicht nur Europa betrifft. Die Eucharistie-Feier ist für die römisch-katholische Kirche zentral. Wenn es aber nicht genug Priester gibt, können dann qualifizierte Laien wie am Beginn des Christentums der Eucharistiefeier vorstehen? Das scheinen Martha und Gerd Heizer zu unterstützen. Ist ein Bruch des Kirchenrechts, den die beiden mit priesterlosen Eucharistie-Feiern riskiert haben, ein angemessenes Mittel, um die Lösungssuche zu beschleunigen? Darüber herrscht keine Einigkeit, weder bei der Plattform "Wir sind Kirche" noch unter den Theologen der Universität Innsbruck.

Zu Fall Nummer zwei: Dem 78-jährigen Jesuiten Michael Amaladoss - er ist einer der wichtigsten katholischen Theologen Asiens - wurde im April dieses Jahres von Kardinal Müller in einem "Lehrprüfungsverfahren" ein Sprechverbot auferlegt. Prozesse der Glaubenskongregation folgen bis heute dem Prozedere der Inquisition: Sie sind nicht öffentlich, der Beklagte bekommt keine Akteneinsicht, sondern erfährt meist erst nach dem Urteil von dem Prozess, Ankläger und Richter sind identisch, usw. Amaladoss müsse seine Theologie in Übereinstimmung mit der vatikanischen Position bringen, heißt es. Solche Hardliner-Methoden kannte man von Kardinal Ratzinger aka Benedikt XVI. Aber warum wird Michael Amaladoss, der seit langem als Theologe international wahrgenommen wird, gerade jetzt bei der Glaubenskongregation angezeigt? Geht es um die Macht des Eurozentrismus und gegen Integration kultureller Vielfalt?

Michael Amaladoss wuchs in einem Dorf in Südindien auf, in dem es außer seiner nur noch eine zweite christliche Familie gab, alle anderen waren Hindus, denen die Bilder aus der europäischen Theologiegeschichte befremdlich schienen. Doch bietet, so Amaladoss, gerade die Hindu-Kultur viele Bilder, in denen sich Jesus und das Evangelium für indische Christinnen und Christen spiegeln kann: Jesus ist Guru, Weiser, Wandermönch, Verkörperung des Göttlichen, Dienender, als Auferstandener ein kosmischer Tänzer -lauter Bilder, die auch europäische Christen bewegen können. Diese Offenheit für nicht-westliche Denkmuster und Bilder scheint man P. Amaladoss nun zum Vorwurf zu machen. Übrigens wurde auch der belgische Jesuit Jacques Dupuis, sein Lehrer, im vorgerückten Alter einer langen "Überprüfung" durch die Glaubenskongregation unterzogen. Manche meinen, dies habe zu seinem Tod 2004 beigetragen.

Zu eigenständige Ordensfrauen?

Fall Nummer drei ist der dramatischste und folgenreichste - denn es geht um eine Großinstitution der katholischen Kirche. Die Dachorganisation der US-amerikanischen Ordensfrauen LCWR (Leadership Conference of Women Religious) wurde 1956 auf Wunsch des Vatikan gegründet und vertritt rund 45.600 US-Ordensfrauen, also 80 Prozent. Die restlichen 20 Prozent werden von einer 1992 gegründeten Organisation vertreten. Die Glaubenskongregation begann 2008 mit der Untersuchung von Arbeit, Lebensstil und Spiritualität der LCWR-Ordensfrauen. 2012 verlangte Kardinal Müller die Reorganisation der Gemeinschaften und stellte sie unter die Aufsicht des Erzbischofs von Seattle, Peter Sartain. Bis spätestens 2017 solle es neue Regeln, eine neue Spiritualität und theologische Ausrichtung geben, da es gegenwärtig keine Übereinstimmung mit der römisch-katholischen Lehre gebe.

Die Reaktion der LCWR-Frauen - die meisten haben einen akademischen Abschluss und viel Erfahrung in sozialen Prozessen - mag manche überrascht haben. "Wir können nicht erlauben, dass dies [die Lehrbeurteilung] ein unangemessenes Maß unserer Zeit und Energie in Anspruch nimmt oder uns von unserem Auftrag ablenkt", sagte Sr. Pat Farrell, damals LCWR-Präsidentin bei der Jahreskonferenz im Sommer 2012. Kontemplation, prophetische Rede, Solidarität mit den Marginalisierten würden in diesen Zeiten der Veränderung helfen, sagte Sr. Farrell. Ihre Rede zählt zu den beeindruckenden Zeugnissen zeitgenössischer Spiritualität (vgl. https://lcwr.org/media/news/navigatingshifts-presidential-address-pat-farrell-osf). Die Spannung zwischen Hierarchie und "Religious", also den Orden, sei nicht leicht aufzuheben. Doch die LCWR-Führung würde "in Wahrhaftigkeit und Integrität" den Dialog suchen.

Nun heißt es in einer Stellungnahme auf der LCWR-Website vom 8. Mai 2014, es seien offene, jedoch harte Gespräche gewesen. Betrübt nehme man aber wahr, dass institutionelle Verhärtungen der Glaubenskongregation zu Fehlwahrnehmungen und zur Verurteilung geführt haben. Kardinal Müller wiederum wirft den LCWR-Frauen "Ungehorsam, der an Sabotage grenzt" vor. Weiterer Vorwurf: Die Ordensfrauen sprechen von einer "Bewussten Evolution", wonach die Menschheit sich selbst durch die Integration von Wissenschaft, Spiritualität und Technologie transformiert. Ähnlich meinte dies schon der Jesuit Teilhard de Chardin (1881-1955): Er sah die Vollendung der Schöpfung des "lebendigen Kosmos" in der "Evolution des Geistes". Papst Benedikt XVI. zitiert Teilhard, wenn es um Wissenschaft und Religion geht, und Papst Franziskus spricht von einer Evolution des Bewusstseins. Was also ist das Problem? Sind die LCWR-Frauen zu selbstständig?

Papst Franziskus bat Dom Erwin Kräutler um "mutige und couragierte Vorschläge" für eine Seelsorge der Zukunft. Kardinal Müller scheint etwas anderes zu wollen.

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