Blamage für Bayreuth

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Sensationeller "Ring" im ostdeutschen Meiningen mit Bühnenbild von Alfred Hrdlicka.

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Sensationeller "Ring" im ostdeutschen Meiningen mit Bühnenbild von Alfred Hrdlicka.

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Es ist schon eine Blamage erster Güte für Bayreuth und Noch-Festspielleiter Wolfgang Wagner, wenn im nur 100 Kilometer entfernten ostdeutschen Städtchen Meiningen (Thüringen) Wagners "Ring des Nibelungen" herauskommt, und einfach in jeder Beziehung besser zu sein scheint, als was derzeit im Wagnertempel am Grünen Hügel zustande gebracht wird. Nicht zuletzt der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka hat der von Kritik und Publikum umjubelten Produktion als Bühnenbildner seinen Stempel aufgedrückt. Von 1. bis 4. Juni, beziehungsweise von 5. bis 8. Juli geht die monumentale Tetralogie wieder über die Meininger Bühne.

Mit dem "2000-Ring" wollte doch Wolfgang Wagner mit Meisteregisseur Jürgen Flimm und unter dem bewährten, kürzlich verstorbenen Bayreuth-Dirigenten Giuseppe Sinopoli die Bayreuther Welt-Vormacht wieder in die Hand bekommen. Das ging aber gründlich schief. Mit Sängerpech und seiner immer abstruser anmutenden Aus- und Einladepolitik geriet der Wagnerenkel immer mehr ins Kreuzfeuer, sodass ihn jetzt auch die staatlichen Stellen zum Rücktritt 2002 aufforderten und seine von ihm verstoßene Tochter Eva Wagner als Nachfolgerin designierten. Seinen Rücktritt hat der 82-jährige Wagner, der sich in den siebziger Jahren einen Vertrag auf Lebenszeit gesichert hat, bisher noch nicht erklärt, im Gegenteil: Er schließt weiterhin Verträge mit Künstlern ab, aus denen ein Ausstieg sehr schwierig werden dürfte, und legt damit einem wirklichen Wechsel große Hemmnisse in den Weg.

Historisch gesehen war das Verhältnis der Provinzstädte Bayreuth und Meiningen eigentlich positiv. Es existiert, seit Wagner 1871 im Marmorsaal des Elisabethenschlosses sein Siegfried-Idyll dirigierte und dann etwa 30 Spieler des Meininger Orchesters als Rumpf des Bayreuther Festspielorchesters engagierte. Unter dem Dirigenten Hans von Bülow erreichte das Meininger Orchester europäisches Format, und Johannes Brahms, Richard Strauss und Max Reger dirigierten hier auch eigene Uraufführungen. In der DDR-Zeit hörte man nicht mehr sehr viel von Meiningen.

Wenn sich nun heute Christine Mielitz, eine Regisseurin von schon beachtlichem Ruf und seit 1998 Intendantin am Meininger Theater, daran wagte, hier einen "Ring" zu inszenieren, mochte das als leicht größenwahnsinniges Wagnis erscheinen. Mielitz hatte die Idee, den "Ring des Nibelungen" erstmals seit der Bayreuther Uraufführung 1876 wieder an vier aufeinander folgenden Abenden stattfinden zu lassen - eine enorme Herausforderung an alle beteiligten Künstler und das Produktionsteam: Es handelt sich ja immerhin um 16 Stunden Musiktheater. Die ununterbrochene Abfolge, die dem Zuschauer sicher eine ungleich viel höhere Involvierung ins mythische Weltgedicht erlaubt, ist sicher auch mit Seitenblicken auf Bayreuth zu sehen, wo seit der Uraufführung dem Apparat zuliebe immer mit zwei Ruhetagen gearbeitet wird.

Auch mit klugen Sängerbesetzungen, davon viele aus dem Meininger Ensemble und dem Engagement eines zweiten Orchesters, der Thüringen Philharmonie Gotha-Suhl, bewies Mielitz eine glückliche Hand. Zudem zeigte es sich, dass die agile und genuine Musiktheater-Regisseurin viel Gespür für szenische Deutung hatte und zusammen mit Alfred Hrdlicka eine packende Inszenierung zustande brachte, während sich die Taktik Wolfgang Wagners, auf große Regisseure des Sprechtheaters zu setzen, irgendwie totgelaufen hat.

Potenz Hrdlicka Weiter vernahm und hörte man deutlich, dass es auch keiner "Pultmagnaten" mehr bedarf, denn hier leistete der junge Kirill Petrenko mit den Orchestern eine grandiose Arbeit, die Aufführungen dieser Art nur rechtfertigen können. Wie man jetzt auch am Grünen Hügel selbst diesem System Rechnung tragen musste, indem als Nachfolger Sinopolis Bayreuth-Debütant Ivan Fischer engagiert wurde.

Das Engagement einer Potenz namens Hrdlicka als Bühnenbildner ist Affront und Ansporn zugleich. Große Teile der Szene in "Walküre" werden von einem überdimensionalen Januskopf Wagner-Hrdlicka beherrscht. So selbstbewusst bringt sich der Künstler ein! Im "Rheingold" spielen die Götter auf einer weiß stilisierten Barrikade, was auf Wagners Vergangenheit als Revolutionär anspielen soll. Direkte Bayreuth-Invektive wieder die Drachenhöhle im "Siegfried", die sich öffnet, und das Festspielhaus mit seinen Politgästen davor erscheint: Fafner Wolfgang Wagner "liegt und besitzt".

Viele von Wagners Figuren werden als er selbst interpretiert (Wotan, Loge mit feurigem Tarnanzug, Fafner als Riesenstatue). Als Einziger Widerpart erscheint der unscheinbare Alberich im Graukittel (Nanco de Vries mit beweglichem, nuancierten und angenehmen Bariton), der vom Schnürboden herabgelassene von Hrdlicka modellierte Brüste, gespreizte Schenkel und Vaginas der Rheintöchter zu erhaschen sucht. Diese erscheinen hernach immer wieder als schwarz-rot-gold umschleierte Schicksalfrauen, eine Vorwegnahme demokratischer Ur-Nornen. Die acht Walküren und Brünnhilde tragen lange rote Mähnen und schwarze Gewänder mit Schlitz auf der linken Seite, der eine Brust herausschauen lässt. Die beiden Siegfriede, Jungsiegfried mit ebenfalls langwallenden roten Haaren und nacktem Oberkörper, geben ihrer Partie eigenes Profil, wobei der schöner timbrierte Jürgen Müller in den Schmiedelliedern glänzt und der zu wandelbarem Ausdruck fähige, gedunkelte Heldentenor Stephen Ibbotson die "Götterdämmerung" beherrscht.

Weltuntergang und Feuerzauber korrespondieren durch echtes Feuer auf der Bühne, in der "Walküre" ist es ein durch Wotan (beachtlich: Wilhelm Eiberg von Werdenegg) in Brand gesetzter Maschendrahtzaun, der auch im "Siegfried" klaustrophobes Gefühl erzeugt, und am Ende lässt die von Brünnhilde angefackelte Wotanwelt den Blick auf eine von Robotern mit Computern verkabelte Endzeitvision frei, der auch die von Hrdlicka imaginierte und an "Metropolis" inspirierte Zukunftsstadt, die als Prospekt auch die Gibichungenwelt beherrscht, nicht standhält. Schauerlich die wieder auftauchende verbrannte Brünnhilde, der die Rheintöchter den Ring abziehen.

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