Blassrote Schriftzeichen

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Die Sozialdemokratie, die sich immer als internationale Bewegung verstanden hat, hat ihren Kompass verloren. Das notorische bürgerliche Trauerspiel verschwindet deswegen noch lange nicht von den Spielplänen.

„Das ist das richtige Zeichen in diesen Zeiten. Heiratet und kriegt Kinder!“, rief der Redner spontan, als ein frisch getrautes Paar in einer Kutsche den Platz querte. Der – laut Zeitungsbericht – solches sprach, war indes kein christdemokratischer oder konservativer Politiker und auch kein Kleriker, sondern der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck.

Gewiss, die Gründung einer Familie ist, zumal in Krisenzeiten, ein gutes und schönes Zeichen – aber vielleicht ist der kleine „Schlenkerer“ im Rahmen eines Wahlkampfauftritts in der Kleinstadt Brandenburg an der Havel auch symptomatisch für das Problem der SPD und anderer sozialdemokratischer Parteien: Wofür braucht man die Sozialdemokratie eigentlich noch?

Worin besteht die Alternative?

Genau diese Frage, konkret auf seine Person gemünzt, wurde dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier auch gleich zu Beginn des TV-Duells mit Angela Merkel gestellt: „Erklären Sie, warum Angela Merkel nach der Wahl nicht mehr Bundeskanzlerin sein soll!“, forderte der ARD-Moderator keck. „Weil’s ’ne Alternative gibt, nämlich mich“, replizierte Steinmeier bemüht locker.

Worin aber diese Alternative – in Deutschland und weit darüber hinaus – inhaltlich besteht, erschließt sich immer weniger Menschen, wie diverse Wahlergebnisse auf nationaler, regionaler und auch europäischer Ebene zeigen. Die Wahlen in Vorarlberg sind für die österreichischen Sozialdemokraten verheerend gelaufen, am nächsten Sonntag droht in Oberösterreich das nächste Debakel; in Deutschland muss die SPD, ebenfalls kommenden Sonntag, mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949 rechnen (nur Matthias Platzeck dürfte in Brandenburg, wo am selben Tag gewählt wird, Nummer eins bleiben); und last not least werden auch den derzeit mit absoluter Mehrheit regierenden portugiesischen Sozialisten dramatische Verluste und ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Konservativen vorausgesagt (auch dort finden am 27. 9. Parlamentswahlen statt). Wahrlich, kein rot-güldener Herbst.

Die Sozialdemokratie, einst ihrem stolzen Selbstverständnis nach eine internationale Bewegung, scheint seltsam orientierungslos. Zwischen sozialistischen Nationalen und nationalen Sozialisten, Links- und Rechtspopulisten innerhalb (z. B. Erich Haider) und außerhalb (von Lafontaine bis Strache) ihrer eigenen Reihen eingeklemmt, schlingert sie recht hilflos dahin. Daran ändert nichts, dass sie im Einzelnen durchaus respektable Leute (Steinmeier, Müntefering, Gusenbauer) aufzuweisen hat. Wer eine sozial abgefederte Marktwirtschaft („solidarische Hochleistungsgesellschaft“ hat das ein kluger SP-Chef einmal genannt …) für das einzig zukunftsweisende Modell hält, wird sich von christdemokratisch geprägten Parteien ebenso vertreten wissen wie jemand, der (siehe oben – Platzecks Auftritt) Familie für eine tolle Sache hält beziehungsweise generell traditionellen gesellschaftspolitischen Vorstellungen anhängt. Wer aber sich auf Seiten der Verlierer wähnt, wer Feindbilder von „die da oben“ über „Brüssel“ bis „USA & Israel“ pflegt, wer insgesamt der Ansicht ist, dass der ganze Zug in eine falsche Richtung fährt, und sicher weiß, dass „das System“ an seinem und der Welt Unglück schuld ist – der wählt irgendeinen der europäischen Adepten von Hugo Chávez (auch wenn sich die nicht bekreuzigen, bevor sie ihre Tiraden vom Stapel lassen, wie der Venezolaner das gerne tut).

Klar unentschieden

So bleibt den Sozialdemokraten zur Beruhigung nur, dass ihre konservativen Gegenspieler die Chancen nur halbherzig nutzen. Deren Stärke ist vielfach nur die Schwäche jener. Viele trauen den Christdemokraten anscheinend die besseren Antworten zu. Aber dass sie selbst solche Antworten offensiv, kraftvoll, aus der eigenen Tradition gespeist, formulieren würden, lässt sich – jedenfalls für Österreich und Deutschland – nicht wirklich behaupten. Aus der Mischung dieser Befindlichkeiten der beiden Parteien kommt dann im schlechtesten Fall ein Unentschieden im doppelten Sinn, sprich: Große Koalition, heraus.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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