"Blauschmuck" ist keine Privatsache

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Gesprochen wird wenig in Katharina Winklers Debütroman "Blauschmuck", dafür viel geschlagen. Mit ihrem eindrucksvollen poetischen Plädoyer gegen Gewalt gelangte die Autorin auf die Debüt-Shortlist des ersten Österreichischen Buchpreises.

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Gesprochen wird wenig in Katharina Winklers Debütroman "Blauschmuck", dafür viel geschlagen. Mit ihrem eindrucksvollen poetischen Plädoyer gegen Gewalt gelangte die Autorin auf die Debüt-Shortlist des ersten Österreichischen Buchpreises.

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"Es gibt Frauen, deren Blauschmuck niemand kennt, Frauen, die ihn verbergen unter langen Kleidern, unter Tüchern, blaue Mädchen meist, wie Elif und Selin, die ihr Blau noch unsicher tragen wie einen ersten Lippenstift. Der Blauschmuck trägt die Handschrift der Männer. Das Werkzeug, Holz oder Eisen, und die Anzahl der Schläge bestimmen den Blauton. Die blauen Frauen tragen die Farbe des Himmels."

Die meisten Frauen tragen ihre blauen Flecken offen, wie einen Reif um den Hals, ein Medaillon, ein Armband um das Handgelenk oder ein Band um die Fesseln. Frauen ohne Blauschmuck gehören nicht zur Frauen- und Leidensgemeinschaft, sie sind Außenseiterinnen im kurdisch-türkischen Dorf. Deshalb möchte das Mädchen Filiz auch eine blaue Frau werden. Sie "hofft auf einen Blauton, hell wie der Winterhimmel". Doch ihre Hoffnung erfüllt sich nicht. Im Gegenteil, sie wird eine ganz besonders dunkelblaue Frau werden. Auch andere Wünsche werden sich nicht erfüllen wie die nach Jeans und Turnschuhen, die ein Leben im Westen verspricht.

Würde trotz Gewalterfahrung?

Sollen wir das titelgebende Wort "Blauschmuck" als Zynismus verstehen oder vielleicht doch eher als poetisches Signal, dass die Frauen trotz der Gewalterfahrung ihre Würde bewahren möchten? Katharina Winkler, die 1979 in Wien geboren wurde und heute in Berlin lebt, überlässt die Interpretation wie vieles in diesem beklemmenden Debütroman, der kommentarlos aus der Ich-Perspektive von Filiz erzählt ist, den Leserinnen und Lesern. Erklärt wird hier nichts, aber eine Sprache gefunden für Unaussprechliches. Gesprochen wird wenig im Buch, dafür viel geschlagen. Einfache und kurze, bisweilen unvollständige Hauptsätze im Präsens zeigen, wer Subjekt und Objekt ist. Religion ist im Roman kein Thema, auch die politische Situation der Kurden in der Türkei wird nur angedeutet.

Gleich der erste Satz des Romans führt uns in eine archaische geschlossene und durch und durch patriarchale Welt, aus der es für Filiz auch als Erwachsene lange keine Fluchtmöglichkeit gibt: "Wir Kinder sind eine Herde." Das Mädchen Filiz lebt in einer Gesellschaft, in der Menschen und Tiere gleich behandelt werden, die Mutter wirft "wie eine Kuh" ein Kind nach dem anderen, zehn sollen es schon sein, Filiz ist das siebte.

Die "Kinderherden" sind schon in jungen Jahren gleichzeitig Hirten und müssen die Ziegen und Schafe hüten. Wenn der Wolf die Tiere reißt, dann werden die verantwortlichen Hirten vom allmächtigen Vater bestraft: "Die Ehre steht über allem, sagt Vater." Geschlagen werden die Kinder auch in der Schule. Eine höhere Bildung wird Filiz trotz der Fürsprache ihres Lehrers vom Vater verweigert.

Unter der Herrschaft der "Spinne"

Dafür wird sie schon als etwa Elfjährige - genau weiß Filiz ihr Alter nicht - vom schönen Yunus als Frau gewählt, darf von diesem Zeitpunkt an keinem Mann mehr beim Schwimmen zusehen. Yunus geht nach Deutschland, drei Jahre später kehrt er zurück. Gegen den Willen der eigenen Familie, die sie verstößt, heiratet Filiz ihren Yunus, sie liebt ihn, sie gehört ihm. Beide ziehen in das Haus von Yunus Mutter, die als "Spinne" die Herrschaftsrolle übernimmt.

Filiz ist nun Sklavin des Ehemanns und seiner Mutter, muss ihm die Füße waschen, ihn baden, anziehen und stumm bleiben, darf nicht lachen. Er schlägt sie, sie verliert das Bewusstsein, er trägt sie ins Bett und weint neben ihr. Dieses Ritual wird sich unzählige Male wiederholen. Einmal will er sie töten, befestigt einen Strick um ihren Hals, zieht den Schemel weg, doch die Schwiegermutter betritt gerade noch rechtzeitig den Stall. Filiz lässt alles über sich ergehen, wehrt sich nicht: "Ich bin ein blinder Fleck."

Gemeinsam mit zwei Kindern verlassen sie das mütterliche Haus, übersiedeln nach Istanbul, Yunus sperrt sie ein, prügelt sie, kommt und geht. Filiz denkt noch immer "Blauschmuck ist Privateigentum". Mit drei Kindern landen sie schließlich in Österreich, die Familie lebt in einem ehemaligen feuchten Kuhstall mit einem Garten in der Nähe der Donau: "Hier kann Yunus mich ungestört schlagen." Aber es tauchen erste Auswege auf, es gibt Kontakt zur Bäuerin, zu anderen Frauen, zu Kindergarten, Schule, Lehrern, sie darf sogar den Führerschein erwerben.

"Du schlägst mich tot... "

Yunus verdient viel Geld, fährt einen silbernen Mercedes, trägt Anzüge aus Seide, eine schwere Uhr und eine goldene Halskette, Sonnenbrillen, seine schwarzen Locken glänzen vom Haarlack. Sie trägt Plastiksandalen, einen alten Rock, Bluse und Kopftuch. Neben ihm "bin ich nichts", sagt Filiz. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch will sie sich umbringen, wird gerettet. Einmal misshandelt er Filiz so lange, bis sie im Krankenhaus aufwacht.

Schon das Motto verweist darauf, dass der Roman "nach einer wahren Lebensgeschichte" erzählt ist. Das Wissen darum verhindert, dass man die geschilderten Ungeheuerlichkeiten der literarischen Fiktion oder der Übertreibung zuschreibt. Und man liest den Roman als exemplarisches Dokument der weltweiten unfassbaren Frauenverachtung.

Katharina Winkler gelingt es auf beeindruckende Weise, eine poetische Sprache für die Gedanken-und Gefühlswelt von Filiz Lale zu finden, die nach ihrer Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen hat. Es ist eine bilderreiche Sprache, die ganz sinnlich vermittelt, warum sich eine Frau so lange nicht wehrt und gleichzeitig doch eine Art von Souveränität bewahren kann. Denn sie weiß: "Du schlägst mich tot, aber du kommst mir nicht nahe." Dieses großartige Buch ist ein eindrückliches poetisches Plädoyer gegen Gewalt - irritierend, verstörend und unbedingt lesenswert!

Blauschmuck

Roman von Katharina Winkler Suhrkamp 2016 196 S., geb., € 19,50

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