Blick in Hooligan-Seelen

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"I Furiosi": Ein Gastspiel aus Stuttgart im Wiener Museumsquartier zum Thema Fußball und Gewalt.

Das Publikum blickt auf eine Tribüne mit blauen Plastiksitzen. Die Bühne davor stellt ein Fußballfeld dar, ein Fußball liegt auf der Mittellinie. Die Aufführung beginnt mit Finsternis und jenem Ohren betäubenden Lärm, der in vollen Stadien entscheidende Situationen begleitet. Auf den Tribünensitzen lungern plötzlich acht Männer. Kaum haben sich die ersten von ihnen erhoben und die Bühne betreten, wird der Ball auch schon zur Seite geschossen und spielt keine Rolle mehr. Es geht nicht um Sport, es geht um Gewalt.

Im Wiener Museumsquartier, Halle G, zieht die aus Stuttgart stammende Festwochenproduktion "I Furiosi - Die Wütenden" das Publikum in ihren Bann - 100 Minuten ohne Unterbrechung, länger als eine reguläre Fußballspielzeit. Der 1935 in Mailand geborene italienische Avantgardeautor Nanni Balestrini hat dazu die 1994 erschienene Romanvorlage verfasst. Sebastian Nübling, der die Regie übernommen hat, und Daniel Wahl, einer der acht Hauptdarsteller, bearbeiteten das Werk - Untertitel: Eine Untersuchung über den möglichen Zusammenhang von Fußball und Gewalt - für die Bühne.

In elf Szenen plaudern die Protagonisten, denen sich später ein "Chor" in der Stärke von vier Fußballmannschaften - darunter zwei weibliche Wesen - hinzugesellt, aus der Hooligan-Schule. Sie gehören zu den schwarz-roten Brigaden des Berlusconi-Klubs AC Milan (der übrigens heuer das Finale der "Champions League" gewonnen hat) und haben viel zu erzählen: Was passiert nicht alles, wenn sich der harte Kern besonders gewaltbereiter Fans auf Reisen begibt! Da zittern die Bürger, ob in Cagliari, Bari oder Udine, da ergreift die Polizei Sondermaßnahmen, ob in Barcelona, Brüssel oder Liverpool, da muss auf Schiffen, in Flugzeugen oder Eisenbahnzügen mit Ausschreitungen gerechnet werden. Was sich sportlich auf dem grünen Rasen abspielt, ist in den Augen dieser Ultras Nebensache. Das wirkliche Match findet zwischen den Anhängerklubs auf den Rängen statt - Bandenkriege wie zu Zeiten von Romeo und Julia. Einpeitscher stimmen die Schlachtgesänge an - meist nur neue Texte zu gängigen, populären Melodien.

Schon im Mittelalter gab es eine ähnliche Praxis - weltliches Liedgut wurde mit geistlichem Text in den Gottesdienst geholt. Auch zum modernen Sport gehören Rituale - der Fußballrasen und die Hymnen der Anhänger gelten als "heilig". Gegenstände der Gegner (Transparente oder Fahnen) sind begehrte Beutestücke, die verhöhnt oder vernichtet werden. In der Ablehnung der Polizei sind sich alle einig. Sie wetteifern darum, in den Augen der Ordnungshüter die Schlimmsten zu sein.

Dabei geht es nicht nur um die Lärmhoheit im Stadion, um Obszönitäten in Worten und Gesten, sondern auch um brutale Gewalt innerhalb und außerhalb der Sportarenen, meist unter Drogeneinfluss: Die Menschen werden zu Bestien - die Inszenierung setzt ihnen am Ende bezeichnenderweise Kampfhund-Masken auf. Manche der Fanatiker sind "Denker" und verfolgen mit ihren Aktionen auch politische Ziele, aber die Mehrheit sind soziale Außenseiter ohne Bildung. Sie erfahren ihre Selbstbestätigung als Teil einer Gruppe, die in einem klaren Freund-Feind-Schema lebt: Hier die Anhänger des eigenen, dort die des gegnerischen Vereins. Und wenn die Sicherungen durchbrennen, dann ist nichts verboten und alles erlaubt: Dann brennen Autos und Stadien, zerbrechen Gegenstände und Knochen. Wenn es nicht nur Verletzte, sondern sogar zahlreiche Tote gibt, nutzt man auch noch die Schweigeminute zu melodramatischen Manifestationen.

Alle acht Protagonisten verdienen lobende Erwähnung: Zvonimir Ankovic, Stefan Feddersen-Clausen, Yavuz Köroglu, Marcus Michalski, Sebastian Röhrle, Dino Scandariato, Martin Thamm und Daniel Wahl. Die Koproduktion von "Schauspiel Staatstheater Stuttgart" und "Theaterhaus Stuttgart" in Zusammenarbeit mit "Haus Kienberg e.V." liefert hinreißendes Bewegungstheater. Sie ist absolut sehenswert und keine Minute langweilig. Ob sich echte Hooligans solche Stücke anschauen und ob sie daraus irgendwelche Lehren ziehen, bleibt freilich eine offene Frage.

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