Blick ins Gehirn der Yogis

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Die Erforschung kontemplativer Praktiken findet zunehmendes Interesse: Der Psychologe Ulrich Ott über das Potenzial und die Herausforderungen eines noch jungen Forschungsfelds.

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Die Erforschung kontemplativer Praktiken findet zunehmendes Interesse: Der Psychologe Ulrich Ott über das Potenzial und die Herausforderungen eines noch jungen Forschungsfelds.

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In seiner Arbeit pendelt Ulrich Ott zwischen Yoga-Matte, Meditationsschemel und neurowissenschaftlichem Labor mit Kernspintomographie: Der deutsche Psychologe ist ein Meditationsforscher, der selbst Meditation praktiziert. Sein jüngstes Buch stellt den uralten Übungsweg des Yoga aus wissenschaftlicher Sicht dar: Es liefert Erklärungen für Wirkungen des Yoga, diskutiert aber auch, was gesundheitlich riskant sein kann und was spekulativ bleibt. Die FURCHE sprach mit ihm über den aktuellen Boom der Kontemplationsforschung.

Die Furche: Was ist der besondere Reiz der kontemplativen Wissenschaft?

Ulrich Ott: Dass hier Themen systematisch angegangen werden, die früher nur Gegenstand vereinzelter Studien waren - oft verbunden mit einem gewissen exotischen Flair, nach dem Motto: Schauen wir mal, was sich in den Gehirnen der Yogis und Zen-Mönche so tut. Ein Großteil der Forschung war an Effekten interessiert, jedoch weniger an Methoden, Mechanismen und an der Theoriebildung. Das ändert sich nun, und das ist gut so, denn in Bezug auf das Studium des Bewusstseins mittels Innenschau können wir viel von den kontemplativen Traditionen lernen. Und auch die zahlreichen Anwendungsbereiche von Meditation, etwa in der Psychotherapie, profitieren von einem besseren Verständnis der Grundlagen.

Die Furche: Wo finden sich heute herausragende Beispiele kontemplativer Forschung?

Ott: In Europa ragt vor allem das "ReSource Project“ am Max-Planck-Institut in Leipzig heraus, das bei 200 Probanden die Wirkungen eines Trainings in Meditation und Selbstmitgefühl über elf Monate auf höchstem methodischen Niveau, einschließlich Hirnbildgebung, untersucht. In den USA gab es mit dem "Shamata Project“ bisher erst eine vergleichbare Längsschnittstudie, die 60 Personen während eines dreimonatigen Meditationsretreats untersuchte. Neben diesen Großprojekten gibt es viele klinische Studien zur Wirkung von Achtsamkeit und Yoga, zum Beispiel bei Angststörungen oder Depressionen, und auch große Meta-Analysen, etwa zu den psychologischen Effekten von Meditation.

Die Furche: Welche thematischen Schwerpunkte gibt es derzeit?

Ott: Nach wie vor sind es die Wirkungen von Meditation auf das Gehirn und die klinischen Anwendungen. Eines der heißen Themen ist derzeit die Frage, ob sich durch einen achtsamen Lebensstil und Meditation der Prozess der Hirnalterung verlangsamen lässt. Angesichts der Zunahme der Demenz-Erkrankungen kommt der Entwicklung von effektiven Präventionsprogrammen natürlich eine enorme Bedeutung zu. Außerdem besteht ein großes Forschungsinteresse an Anwendungen im Bildungsbereich und in der Arbeitswelt. Angesichts von verbreiteten Aufmerksamkeitsdefiziten und Burnout-Risiken ist das nicht verwunderlich.

Die Furche: Wie wird sich kontemplative Bewusstseinsforschung weiterentwickeln?

Ott: Ich erwarte, dass der Boom noch eine ganze Weile anhält, auch deshalb, weil das Interesse an diesen Themen in der Bevölkerung sehr groß ist. Die Berichterstattung in den Medien befeuert das Interesse noch weiter. Viele Menschen suchen nach sachlichen, wissenschaftlich fundierten Informationen, um Meditation für sich zu nutzen, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder um spirituelle Dimensionen des eigenen Daseins zu erkunden. Durch Entwicklungen in der physiologischen Messtechnik wird es künftig erheblich leichter sein, dass Meditierende ihre Hirnaktivität selbst zu Hause messen, um Veränderungen über die Zeit zu dokumentieren und die Daten über das Internet der Forschung zur Verfügung zu stellen. Sie können heute schon Ihre Hautleitfähigkeit oder Ihr EEG - drahtlos übertragen via Bluetooth - auf dem Smartphone betrachten und zum Biofeedback nutzen.

Die Furche: Welche praktischen Anwendungen aus diesem Forschungsbereich erscheinen besonders nutzbringend?

Ott: In den USA gibt es unzählige Initiativen, die Programme zur kontemplativen Schulung erfolgreich in Bildungseinrichtungen durchführen, vom Kindergarten bis zur Hochschule. Hier stehen wir in Europa noch ganz am Anfang. In der Arbeitswelt machen es uns ebenfalls amerikanische Firmen wie Google vor, die ihren Mitarbeitern meditative Programme zur persönlichen Entwicklung anbieten. Beim Wettbewerb um die klügsten Köpfe wird es zunehmend wichtiger für Unternehmen werden, auch hier gute Angebote zu machen. Ein weiterer Bereich ist die Demenz-Prävention.

Die Furche: Wie bewerten Sie die Entwicklung, dass kontemplative Prinzipien auch für wirtschaftliche Ziele wie "Effizienzsteigerung“ oder "Strategiefindung“ instrumentalisiert werden?

Ott: Meditation ist eine Methode zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung. Ein achtsamer Mensch geht sorgsamer mit sich selbst und seiner Umwelt um. Wenn das auch dem Unternehmen dient, dadurch, dass etwa krankheitsbedingte Fehlzeiten vermieden und Ressourcen intelligenter genutzt werden, dann profitieren beide Seiten. Es genügt aber nicht, nur das Verhalten zu ändern, wenn die Verhältnisse krank machend sind. Und es gibt natürlich auch hier Fehlentwicklungen, wenn etwa Manager Zen und Samurai-Philosophie nutzen möchten, um in Verhandlungen noch abgebrühter zu sein. Aber das sind wohl doch eher die Ausnahmen. Die kontemplative Schulung ist normalerweise mit ethischen Grundhaltungen verbunden, die der Ausbeutung und Instrumentalisierung diametral entgegengesetzt sind.

Die Furche: Inwiefern macht es Sinn, auch paranormale Phänomene im Zusammenhang mit tiefer Meditation zu erforschen?

Ott: Nun, solche Erfahrungen sind in allen Kulturen und Epochen bezeugt und dürfen von der Wissenschaft nicht tabuisiert und ausgeschlossen werden. Auch hier können wir noch viel über die Natur der Wirklichkeit lernen. Unser Alltagsbewusstsein geht von einem naiven Realismus aus, wohingegen durch meditative Schulung offenbar dahinter oder darunter liegende Dimensionen des Bewusstseins zugänglich werden. Wie heißt es so treffend: Diese Phänomene stehen nicht im Widerspruch zu den Naturgesetzen, sondern zu dem, was wir bisher über die Naturgesetze wissen.

Die Furche: Sollten die Forscher auf diesem Gebiet selbst mit kontemplativen Praktiken vertraut sein?

Ott: Ja, eigene Erfahrungen sind wichtig, um gute Studien zu planen und auch um verstehen zu können, worüber die Probanden berichten. Zudem sehe ich Meditation selbst als Forschungsmethode an, die bisher nur leider nicht in den Kanon der akademischen Ausbildung in Medizin, Pädagogik, Philosophie und Psychologie aufgenommen wurde. Das wird sich aber ändern; jedenfalls ist das Interesse von studentischer Seite groß.

Die Furche: Manche glauben, dass "Meditation“ generell ein Heilmittel für globale Probleme sein könnte: vom Klimawandel über die Finanzkrise bis hin zu sozialen Konflikten. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Ott: Meditation führt zu größerer Bewusstheit, was man eigentlich tut, und zu mehr Mitgefühl. Sie ist kein Allheilmittel, aber bei den aktuellen Problemen, die auf Unbewusstheit, Gewissenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit erwachsen, kann Meditation verbunden mit einer ethischen Grundhaltung tatsächlich viel zur Lösung beitragen.

Yoga für Skeptiker

Von Ulrich Ott. O.W. Barth-Verlag 2013. 281 Seiten, geb., e 20,60

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