Blick ins heutige Land werfen

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Nur noch ein paar Monate bis zum Millennium - egal ob die Jahrtausendwende exakt per 1. Jänner 2001 begangen wird oder schon ein Jahr zuvor: das vielbeschworene Datum rückt näher. Rund um runde Zahlen ranken sich seit jeher mythische bis handfest kommerzielle Interessen: Endzeitstimmung, ein Schuß Apokalyptik für die einen, ein Geruch guten Geschäfts für die anderen.

Für Christen hat das Jahr 2000 eine besondere Bedeutung. Denn die weltweit allgemein übliche Zeitrechnung fußt ja auf der (historisch zwar nicht ganz richtigen) Zählung der Jahre seit der Geburt Christi. Insbesondere die katholische Kirche feiert 2000 nach jahrhundertealter Tradition als Heiliges Jahr. Im Advent 1998 hat Papst Johannes Paul II. mit seiner Bulle "Incarnationis Mysterium" dieses Heilige Jahr 2000 proklamiert.

Neben dem traditionellen Wallfahrtsziel eines Heiligen Jahres, der Stadt Rom, wird 2000 auch an den Lebens- und Wirkungstätten Jesu besonders begangen: Auch die Städte Jerusalem, Betlehem und Nazaret sollen im kommenden Jahr bevorzugte Ziele christlicher Pilgerfahrten sein. Und da diese Orte im Heiligen Land nicht nur "katholische" Pilgerziele (wie die Stadt Rom) sind, werden Christen aller Konfessionen erwartet, eine Begegnung des universalen Christentums in vielerlei Gestalt bahnt sich an.

Vier bis acht Millionen Pilger, so lauten die offiziellen Schätzungen, sollen 2000 ins Heilige Land kommen. Wie realistisch diese Zahlen sind, mögen auch vor Ort wenige einzuschätzen. Jedenfalls gibt der Staat Israel große Summen für Infrastrukturmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Millenniumsjahr aus, eine eigene "Israel 2000-Administration" koordiniert die Vorhaben.

Es geht um viel, für die Wirtschaft zumindest um ein gutes Geschäft in der Tourismusbranche des Landes; aber nicht nur darum. Neben vielen anderen Großereignissen hofft man auch auf eine Pilgerreise des Papstes, der zweiten eines römischen Pontifex in diesem Jahrhundert, nachdem 1967 Paul VI. das Land und - das damals noch geteilte - Jerusalem besucht hatte.

Die Situation, in der das große christliche Jubiläumsjahr im Heiligen Land begangen wird, ist aber alles andere als einfach.

* Die Gesellschaft in Israel ist tief gespalten. Auseinandersetzungen zwischen einem stark religiösen Judentum und den weltlich geprägten jüdischen Israelis nehmen an Heftigkeit zu. Pessimisten im Land befürchten eine Eskalation der Spannungen. Dazu kommen soziale Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen - etwa den aus dem nordafrikanisch-arabischen Kulturkreis stammenden Sepharden und den europäischen Juden oder der starken Gruppe russischer Einwanderer, die in den letzten Jahren nach Israel gekommen sind. Diese inneren Spannungen bestimmen die israelische Gesellschaft in zunehmenden Maß.

* Auch das israelisch-palästinensische Verhältnis bleibt äußerst fragil. Betlehem, eines der drei Hauptziele christlicher Pilger, ist heute eine palästinensische Enklave, die zwischen nationalem Selbstbewußtsein der errungenen Autonomie und einer - für die Bewohner der Stadt - stärker erlebten Isolierung von Israel (vor allem von der auch von den Palästinensern beanspruchten Hauptstadt Jerusalem) schwankt. Ob der brüchige Friedensprozeß weitergehen kann, hängt nicht zuletzt vom Ausgang der israelischen Wahlen im Mai ab und von der Fähigkeit beider Seiten, ihre (gewaltbereiten) Extremen in Schach zu halten.

* Schließlich ist auch das christlich-islamische Verhältnis nicht spannungsfrei. Etwa in Nazaret, das 2000 als drittes Pilgerzentrum gedacht ist, wo einander muslimische Eiferer - die etwa ein Minarett als höchsten Turm der Stadt errichten wollen - und Christen wenig freundlich gegenüberstehen.

Die Situation ist auch speziell, weil ein jüdisches Land mit muslimischer Minderheit und nur wenigen Christen Millionen christlicher Pilger erwartet.

Eine der wichtigen Fragen, die hier auch und gerade im Jahr 2000 zu stellen ist, lautet, ob die Pilger außer der Motivation, an die Ursprungsorte ihres Glaubens zu kommen, etwas mitnehmen von diesem Land und seiner spannenden, brüchigen und gebrochenen Situation. Es wäre zu hoffen, daß vor allem die Europäer, die von den Kreuzzügen (bald wird ein Jahrestag in diesem Zusammenhang begangen, denn am 15. Juli 1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem) bis zur Schoa, der Judenvernichtung als Höhepunkt des europäischen Antisemitismus, viel Geschichte aufzuarbeiten haben, sensibel und offenen Auges in dieses Heilige Land dreier Religionen kommen.

Gerade im (christlichen) Jubeljahr 2000 wird es nicht genügen, nur an den Stätten Jesu und seiner Jünger die je eigene Frömmigkeit auszudrücken und den eigenen Glauben zu bezeugen.

Eine christliche Pilgerfahrt, die diesen Namen verdient, muß auch einen Blick ins heutige Land hinein beinhalten - und eine Begegnung mit den Religionen dort: Sollte Johannes Paul II. im kommenden Jahr die von ihm seit langem ersehnte Pilgerreise hierher machen können, wird er, der die Begegnung der Religionen selbst so propagiert, dies seinen Mitchristen ohne Zweifel vormachen.

Zum Dossier Israel und Palästina, nicht nur für Christen das "Heilige Land", bereiten sich auf das (christliche) Jubeljahr 2000 vor. Jede Pilgerfahrt dorthin, die diesen Namen verdient, muß einen Blick über die eigene Religion hinaus ermöglichen.

Die Autoren des Furche-Dossiers, Teilnehmer an einer Konferenz über das Jahr 2000, die Ende Februar in Israel stattfand, beleuchten dies aus unterschiedlicher Perspektive.

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