Blicke auf Afghanistan

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Fragen an die Gestaltung von ethnografischen Ausstellungen: Fremde Welten vortäuschen, "Echtheit" mit Kleiderpuppen inszenieren oder eindrucksvolle Objekte ohne Zusammenhang präsentieren?

Mit den Objekten in völkerkundlichen Sammlungen hat es eine besonders problematische Bewandtnis. Alle sind sie ihrem meist sehr fern liegenden und sehr fremden kulturellen Ambiente entrissen, sind "Beutestücke", welche den meist schrift- und arglosen "Eingeborenen" abgekauft oder gar abgerungen wurden. Museen stehen vor dem Problem, wie man aus dem Sammelsurium von Objekten ein halbwegs authentisch repräsentatives Ganzes der jeweiligen Sachkultur schaffen und ausstellen kann. Oder man stellt das Objekt in einen allgemein gehaltenen Rahmen und lässt es für sich sprechen, um durch neue, täuschungsarme Sichtweisen dem oft künstlerischen Wert des Gegenstandes besser zu dienen. Beide Auffassungen stehen einander radikal gegenüber, vertreten entweder naturalistisch-mimetische oder minimalistisch-ästhetisierende Installationen, kreieren oder vermeiden Nachbildungen des jeweiligen häuslichen Lebensraums, verwenden verkleidete Puppen oder verabscheuen sie.

"Authentischer" Bazar...

Kürzlich hat es sich ergeben, dass im Osten Österreichs bei zwei Ausstellungen zum Thema Afghanistan die beiden konträren Konzepte vertreten waren. Die kommerziell ausgerichtete Ausstellung im Schloss Halbturn, "Afghanistan - Land der Gegensätze" war möglichst "mimetisch" angelegt, "Afghanistan" im Wiener Museum für Völkerkunde ist eher minimalistisch-nüchtern konzipiert. In Halbturn präsentierten Tadschiken aus einem Dorf bei Kabul ihre eigene heimatliche Welt und jene anderer Ethnien, während in Wien ein Landesfremder eine Schau von Objekten aus der Afghanistan-Sammlung des Museums einrichtete.

In Halbturn wurden typische Behausungen, Nomadenzelte und ein Bazar so originalgetreu nachgebaut und mit (dafür importierter) Bazarware eingerichtet, dass sich auch gute Afghanistan-Kenner in eine täuschend echt wirkende afghanische Welt versetzt sahen. Das Gesamtbild war eindrucksvoll, wenn auch überladen, der Erfolg groß.

Der Kontrast zur Wiener Afghanistan-Ausstellung könnte kaum größer sein. Dies zeigt sich bereits im marmornen Atrium des Museums, wo ein großes schwarzes Nomadenzelt steht. Ein riesiges Bild dahinter hilft, sich vom Marmorprunk des Fin-de-siècle zu lösen und sich in die Welt der afghanischen Nomaden in einer kargen, steinigen Landschaft zu versenken. Tritt man heran, um sich diese Welt näher anzusehen, wird man stutzig. Im Zelt finden sich nur ein kleiner "Haufen" übereinandergelegter Filzteppiche und einige metallene Gefäße und Geräte, die wie verloren herumstehen. Da gibt es bewusst nichts, was ein "echtes" Ambiente vortäuschen würde - mit Feuerstelle und Kochgeschirr in der Mitte, ausgebreiteten Filzteppichen und Sitzpölstern, aufgerollten Decken und Matratzen am Zeltrand oder gar bekleidete Puppen (eine "Horrorvision" für den Wiener Ausstellungsgestalter).

... oder isolierte Objekte?

Der anschließende Besuch der Ausstellung mit ihren vielen verschiedenen, unter den Themenbereichen "Lebenswelten" und "Handwerk" vorgestellten Aspekten verdeutlicht das primär objektbezogene Konzept. Es dominieren "auf sich gestellte" Objekte und somit Einzelphänomene aus der Sachkultur. Der eindrucksvollen Präsenz des Gegenstandes mag damit gedient sein, dem Verständnis des ethno-kulturellen Zusammenhangs aber nicht.

Ein gutes Beispiel ist die Präsentation der Kleidung. Statt einer ethnisch abgestimmte Kombination von Hemden/Hosen/Röcken mit Kappen und Schuhen (soweit die Sammlungbestände dies ermöglichen) sind die genannten Objekte nebeneinander ausgestellt, was den Eindruck eines belanglosen Nebeneinander von vielen Schuhen und Kappen erzeugt. Ganz minimalistisch wirkt die Installation in der einen oder anderen Vitrine, wenn etwa nur einige wenige Schreibutensilien "die Macht der Bildung" symbolisierend, locker verteilt auf einem rotbraun lackierten Weichholztisch liegen und die Wand darüber leer bleibt. In einem dichten Nebeneinander werden hingegen die heterogenen Musikinstrumente des Landes gezeigt, ohne auch nur ansatzweise eine Gruppierung vorzunehmen, die der großen regionalen Verschiedenheit gerecht wird. Die grundlegende Ablehnung realistischer Bezüge manifestiert sich auch darin, vitale Tänze von Paschtunen mit ihren optisch eindringlichen Trommlern als Stummfilm vorzuführen und mit Liedern anderer Ethnien zu verbinden. Hochinteressante kulturelle Einzelphänomene wie etwa die (gut in der Sammlung vertretene) Sachkultur der ehemaligen Kafiren des Hindukusch, der heutigen Nuristanis, oder die typisch zentralasiatische Pferdekultur (mit dem Reiterspiel Buzkashi) im Norden des Landes sind weitgehend unberücksichtigt. Es fehlen somit sowohl ethnische wie kulturelle Akzente, es fehlt sogar (gewollt) eine moderne Afghanistankarte, die dem Besucher die nötige Orientierung geben könnte.

All dies erinnert an noch viel radikalere Konzepte, die im Frühjahr 1997 im selben Museum und u.a. auch vom Organisator der gegenwärtigen Ausstellung vorgestellt wurden. Damals durfte eine internationale Gruppe von Studenten in Kooperation mit der Wiener Künstlergruppe "Gangart" und mit Unterstützung durch zuständige Kustoden neue Ausstellungskonzepte realisieren. Konzepte, eine Kultur möglichst in ihrem gesamten Umfang darzustellen, wurden verworfen, um "das zwangsläufig Fragmentarische von Sammlungen und Präsentationen" herauszustreichen, wie im dazu erschienen Dossier "Displaying the Object" zu lesen ist.

Das Hauptopfer jener "Umkehrung" war zufällig Afghanistan, vertreten durch eine sehr dichte, informative Nuristan-Ausstellung, die ab 1990 die Kultur der "Kafiren des Hindukusch" vorstellte. Die Ausstellung wurde abgeräumt und im angedeuteten radikal anderen Sinn neu aufgebaut. Die großen, etwa zwei Meter hohen Vitrinen, in denen sich vorher Objekte befanden, wurden zur Unterbringung von audio-visuellen Geräten, Tableaus mit unzähligen Porträtfotos von Einheimischen und Textzitaten umfunktioniert. Aus der Nuristan-Sammlung wurden 68 Exponate ausgewählt und auf den Vitrinen zur Schau gestellt. Zwei erhöhte Laufstege sollten den Besuchern den Blick auf die sonst kaum sichtbaren Objekte ermöglichen. Kaum eröffnet, wurde die Ausstellung wegen Sturzgefahr vom Laufsteg wieder geschlossen. Sie stand dann längere Zeit als - je nach Sichtweise - Denkmal der Skurrilität oder eines kühnen Experiments im dunklen, abgesperrten Abseits.

Sehgewohnheiten brechen

Im genannten Dossier wollen ästhetisierende kulturkritische Reformer eine neue Sicht- und Denkweisen vermitteln. Es gehe um ein Konzept, das "das Typische freilegt, radikalisiert, und ... jene Schichten von Beschönigungen, Mythologisierungen, Wunschträumen über den Dingen wegarbeitet". Folglich soll es keine "Flut von kommentierten Artefakten und Bildern" geben, keine "Beschwörungen längst entschwundener Kulturen". Es ist von Objekten die Rede, die aus den Vitrinen "befreit" und gewissermaßen "individualisiert" wurden, die "lediglich mit dem Anspruch auftreten [sollen], sich als das auszugeben, was sie sind: Dinge, Fragmente aus einer Kultur, die sich uns letztlich entzieht" und sie "verlangen eine neue Unschuld' des Blicks, damit sich ihm neue Horizonte - des Wahrnehmens und Verstehens - eröffnen". Es gälte, "mit eingefahrenen Denk- und Sehgewohnheiten zu brechen". Das will die gegenwärtige Ausstellung zu einem gewissen Grad auch. Sie ist eher einem ästhetisierenden und Einzelobjekt-bezogenen als ethno-kulturellen Konzept verpflichtet.

Wie so oft sehnt man sich nach einer Synthese. Was in der einen Ausstellung an plakativ vorgetäuschter Lebenswelt zu viel ist, ist in der anderen zu wenig, zu abstrakt, zu leblos-steril. Zweifellos ist die Frage berechtigt, inwiefern eine ethnografische Ausstellung Lebensräume vortäuschen und damit auch populär sein sollte. Da wir aber ständig getäuscht werden und oft auch getäuscht werden wollen, scheint es recht und (nicht zu) billig, zu einem gewissen Grad bei völker- wie volkskundlichen Ausstellungen Lebensnähe anzudeuten und so die Phantasie des Beschauers anzuregen.

Der Autor ist Dozent für Ethnologie an der Universität Wien.

Afghanistan

Museum für Völkerkunde

Bis 1. 12. tägl. außer Di 10-18 Uhr.

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