Blicke auf das Allermenschlichste

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Anlässlich seines 40. Todestages zeigt die Kunsthalle Krems eine sehenswerte Otto-Dix-Schau: "Zwischen Paradies und Untergang". Mit 240 Werken ist sie eine der umfassendsten Ausstellungen des bedeutendsten deutschen Künstlers des 20. Jahrhunderts.

Eine menschenleere, leicht hügelige Landschaft. Im Vordergrund ein riesiger Krater, auf dem und um den herum Blumen wachsen. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass sich die kraterförmigen Vertiefungen im Hintergrund unzählige Male wiederholen. Das schwarzweiße Blatt - eine Radierung von Otto Dix aus dem Jahr 1924 - strahlt eine eigenartige Mischung aus Stille und Bedrohung aus. Beim Lesen des Titels "Granattrichter mit Blumen (Frühling 1916)" wird die Ahnung zur Gewissheit: Hier handelt es sich um ein Bild, das den grausamen Widerspruch zwischen dem Aufblühen der Natur und dem Tod tausender Menschen im Ersten Weltkrieg zum Ausdruck bringt.

Frühlingshafte Ruhe nach dem Sturm

Otto Dix, der sich als Freiwilliger bereits 1914 an die Front begab, hat die Gräueltaten des Krieges und seine eigenen Front-Erlebnisse auf unvergleichliche Weise in der 50-teiligen Grafik-Folge "Der Krieg" künstlerisch verarbeitet. Dabei ging es ihm vor allem um eine möglichst nüchterne Wiedergabe, wie er selbst einmal sagte. "Ich wollte keine ekstatischen Übertreibungen. Ich habe Zustände dargestellt, Zustände, die der Krieg hervorgerufen hat, und die Folgen des Krieges, als Zustände." Die Grafik geht gerade zu dieser Jahreszeit unter die Haut, da sie auf die Gleichzeitigkeit von extremen Gegensätzen hinweist. Dix zeigt nicht die eisige Kälte des Krieges. Vielmehr schildert er die frühlingshafte Ruhe nach dem Sturm. Und er erinnert daran, dass Gewalt und Leid auch in den Momenten stattfinden, wenn draußen die Sonne scheint und alles in Blüte steht.

Otto Dix, der sich selbst als "Wirklichkeitsmenschen" bezeichnete, ist ein Meister der Widersprüche. Schönheit und Hässlichkeit, Freud und Leid, Gewalt und Zärtlichkeit, Geburt und Tod - die gesamte Bandbreite des menschlichen Daseins findet in seiner Kunst Ausdruck. Ein Aspekt, der sich auch im Titel einer aktuellen Dix-Schau anlässlich seines 40. Todestages in der Kunsthalle Krems spiegelt: "Zwischen Paradies und Untergang". Die Ausstellung ist nicht nur sehenswert, weil sie mit 240 Werken seit zwanzig Jahren die erste umfassende Präsentation von einem der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts ist. Die Reise in die Wachau lohnt vor allem insofern, als die Schau Dix auch von einer weniger bekannten Seite zeigt. Sie führt Otto Dix in seiner stilistischen Vielfalt vor - und präsentiert auch die scheinbar harmlosen Landschaftsbilder, die er während seiner "inneren Emigration" in der Ära der Nationalsozialisten in "altmeisterlicher Technik" malte. Besonders berührend sind jene Bilder, bei denen Dix den Blick ungeschönt auf das Allermenschlichste richtet: So hat er seinen neugeborenen, noch blau angelaufenen Sohn "Ursus" mit der gerade abgetrennten Nabelschnur genauso porträtiert wie einen sterbenskranken alten Bauern.

Dass Otto Dix zur moralischen Instanz und zum großen malenden Chronisten des vorigen Jahrhunderts schlechthin werden würde, war zu Beginn seiner Karriere keineswegs vorhersehbar. Denn der Sohn eines engagierten Sozialdemokraten wurde zunächst aus der Dekorationsmalerlehre mit gar nicht erbaulichen Worten entlassen: "Du wirst nie Maler, du bleibst ein Schmierer!" Aber der junge Maler ist von sich überzeugt. In der Kunstgewerbeschule in Dresden studiert er die alten Meister genauso wie die Avantgarde-Kunst - und spricht sich selbst stets Mut zu: "Ich hoffe und arbeite und sage mir, du musst etwas Großes werden."

Brutaler Realismus

Nach den erschütternden Front-Erlebnissen explodiert Dix' Ausdruckskraft: Als Meisterschüler an der Kunstakademie wird er zum Enfant terrible der Dresdner Kunstszene und rast im Eilzugstempo durch sämtliche Avantgardestile - durch Expressionismus, Kubismus, Futurismus und Dadaismus. Schließlich findet er zu dem Stil, der seinen sozialkritischen Anliegen am meisten entspricht. Er entwickelt einen brutalen Realismus, der von der zeitgenössischen Kritik als "Verismus" (ital. vero = wahr) bezeichnet wird. Die steile Karriere führt 1927 zu einer Professur an der Kunstakademie Dresden. Allerdings endet der Höhenflug abrupt: 1933 wird der Malerstar von den Nationalsozialisten als "entarteter" Künstler verleumdet und als Professor entlassen. 260 seiner Werke werden in Museen beschlagnahmt - und teilweise ins Ausland verkauft oder verbrannt. Nach dem Krieg und Jahren der Zurückgezogenheit sowie umstrittenen Neufindungsversuchen in Form von "altmeisterlichen" Landschaftsbildern findet Dix wieder zur expressiven Schärfe seiner Anfangsjahre zurück. Er malt das Elend nach dem Krieg - Gefangene, Ruinen, Tote.

Besonders eindrucksvoll sind die Exponate aus dem expressiven Spätwerk wie die "Große Kreuzaufrichtung" aus dem Jahr 1962. Ein Bild, bei dem Dix die Kreuzigung Christi aktualisiert, indem er das biblische Thema mit den Gräueltaten des 20. Jahrhunderts koppelt. So wird Jesus von einem fetten Mann in Unterwäsche und mit Zylinder ans Kreuz gebunden, im Hintergrund erkennt man die Silhouette einer modernen Großstadt. Otto Dix zeigt, dass die Leidensgeschichte Jesu kein einmaliges Geschehen war, vielmehr verweist er auf die Allgemeingültigkeit des Themas: "Ich habe Tatsachen gemalt, die vor Jahren genauso gültig waren wie heute, morgen und immer. Das Leben kann schön und schrecklich sein."

Otto Dix. Zwischen Paradies und Untergang

Kunsthalle Krems, 3500 Krems-Stein, F.-Zeller-Pl. 3

bis 12. Juli 2009, tägl. 10-18 Uhr

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