Bloß papierenes Gespenstertheater

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Gähnende Langeweile bei der Uraufführung von Botho Strauß’ neuestem, wunderlichem Stück "Das blinde Geschehen“ am Wiener Burgtheater - trotz des hochkarätigen Ensembles.

Leere, nachtdunkle Szene. Im Lichtkegel zweier Taschenlampen huschen zwei Gestalten vorbei. Da sagt die eine: "Alles vorbei? Alles vorbei.“ Und dann ein Satz, dem am Ende des zweieinhalbstündigen, pausenlosen Abends wohl kaum einer mehr widersprechen wollte: "Es gibt keine Schauspieler mehr, es gibt nur noch Gespenster.“

Fürwahr. In Botho Strauß’ jüngstem Weltschmerz-Stück "Das blinde Geschehen“, dessen eigentliches Anliegen, dessen Kern nicht eben leicht zu fassen ist, treten kaum noch Menschen auf. In den 14 lose verbundenen szenischen Miniaturen mit teilweise gespreizt anmutenden Untertiteln wie "Unordnungsouvertüre“, "die Erstarrten“, "Totfragen“, "die hölzerne Herde“ oder auch "im Schredder“ versammelt Strauß Paare und Passanten mit so eigenartigen Bezeichnungen wie: der Livrierte, die beleibte Reporterin, ein Unterirdischer, ein Museumsaufseher, die Zufallsbekanntschaft, die Schattin, die struppige Sophie, ein Chor der Ungeträumten oder die adrett in Tutus gekleideten sieben Revue-Engel aus längst vergangen geglaubten Zeiten.

Verlorene Traumgestalten

Das will nicht heißen, dass die Darsteller Peter Mati´c, Maria Happel, Johann Adam Oest, Regine Fritsch, Christiane von Poelnitz, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Bibiane Zeller und noch ein Dutzend weitere schlecht wären. Sie sind allesamt fraglos hochkarätige Schauspieler des Burgtheaters. Vielmehr versagt ihnen Botho Strauß Rollen mit Tiefe, enthält ihnen ein (Theater-)Leben aus Fleisch und Blut vor.

Kein Zufall vielleicht, denn möglich, dass es sich bei ihnen um nicht vielmehr als flüchtige Fantasien, verlorene Traumgestalten, uneingestandene Wunschfiguren des Cyber-Designers namens John Porto (Robert Hunger-Bühler) handelt. In der "Unordnungsouvertüre“ wird er auf einer wie von Zauberhand gelenkten weißen Couch hereingefahren, tief in ein Notebook versunken. Was wir zu sehen bekommen, sind wohl von diesem etwas in die Jahre gekommenen Computer-Freak erdachte Welten, seine virtuellen Ausflüge in sein Second Life. Begleitet in die sekundäre Parallelwelt wird er von einer "unhandlichen Frau aus der schmuddeliggen Realität“, einer ausgesprochen wandlungsfähigen Matrone mit dem manieriert germanisch-römischen Namen Freya Genetrix (Dörte Lyssewski). Die beiden spielen auch Szenen einer Ehe, das Aufabspiel der Liebe (ohnehin eines der Lieblingsthemen von Strauß), wobei sie sich am liebsten in der Diagonalen unterhalten, wie es einmal heißt, in der größtmöglichen Entfernung zueinander also.

Und sonst? Allerlei Einbildungen mit Fabelwesen, Fantasy-Figuren, Riesen- und Schattenexistenzen, Gestalten, die Assoziationen aus der Weltliteratur von der Edda über Strindberg, Shakespeare bis zu Pirandello wachrufen, und Botho-Strauß’sche Themen in poetisch flirrender, die Realität meist verbrämender Sprache: ein wenig Zivilisationskritik, ein bisschen Chronik der Weltzerbrechung, das Beklagen des Nachlassens der Heiterkeit und überhaupt die Verwunderung über eine atemlos von Krise zu Krise stolpernde Zeit.

Burgtheaterintendant Matthias Hartmann als Regisseur lauscht ihm ehrfürchtig und vergisst darüber fast auf die Regie. Statt auf Interpretation setzt Hartmann auf Bebilderung des rätselhaften Stücks. Dies ist handwerklich gekonnt. Meisterlich setzt er die gigantische Maschinerie des Burgtheaters ein, sklavisch bemüht, jeder noch so unverständlichen Regieanweisung von Strauß nachzukommen. Da bewegen sich Möbel und Gerät wie von Zauberhand von selbst, wandelt sich die Bühne von Stéphane Laimé - wenn Porto verärgert ausruft: "Nicht das! Das nicht! Pas ça!“ - wie durch einen Mausklick in Windeseile, werden ganze Zimmer aus dem Schnürboden heruntergefahren, ein Gazevorhang gespannt, auf dem die "khakifarbene Wolke von Straßen- und Baulärm“ als Videoprojektion erscheint.

Nur, wofür das alles? Der anfängliche Zauber der Illusion verpufft schnell, man hat sich an den schönen Bildern bald sattgesehen, und man vermisst die Auslegung des dichterischen Wortes, die eigentliche Übersetzung des Textes vom Papier auf die Bühne.

Am Ende verwundert nicht, dass von allen Darstellern das ferngesteuerte, unentwegt divenhaft knicksende "selbstsingende Mikrofon“ am meisten Applaus bekam. Kein Schauspieler, eher ein Gespenst. Großes Dunkel, das sich bis zuletzt nicht erhellt. Spukhaftes Theater, aber dennoch nur toter Buchstabe.

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