Blut & Spiritualität

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Große Hermann-Nitsch-Restrospektive in Berlin. von wieland schmied

Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater ist, veranstaltet von der Nationalgalerie, im Berliner Martin-Gropius-Bau jetzt eine große Retrospektive gewidmet. Nitsch selbst sagt, er wisse nicht genau, ob es wirklich die bisher größte ihm gewidmete Ausstellung sei - vielleicht sei die 1993 in Prag auf dem Hradschin gezeigte noch größer gewesen. Jedenfalls wurde der Arbeit Hermann Nitschs jetzt das ganze erste Stockwerk des Gropius-Baus eingeräumt und der Besucher kann in der Abfolge zwanzig größerer und kleinerer Säle die Entwicklung des Orgien Mysterien Theaters in allen denkbaren Aspekten nachvollziehen, vom frühen Bild (1956) Die drei Kreuze - frei nach Rembrandt, das noch abbildhaften Charakter hat, bis zu den großen Installationen der letzten Jahre. Dabei gibt es keine chronologische Ordnung in der Raumfolge, sondern jeder Saal ist in sich spannungsvoll (auch kontroversiell) gestaltet.

Provokant sakral

Berlin ist eine nüchterne Stadt. Mit religiöser Thematik hat man hier nichts im Sinn. So nimmt niemand an der Nähe mancher Installationen (mit Messgewändern, Kelch, Monstranz) zum Sakralen Anstoß. Darüber gibt es keine Aufregung. Wohl aber verblüfft - und findet keinesfalls überall Beifall - der gewaltige Einsatz von Blut, das Schlachten und Ausweiden von Rindern, Lämmern, Schweinen, das Wühlen in den Gedärmen, das Zerstampfen von Trauben, Paradeisern, Früchten. Das alles ist vor allem durch die Filme von Peter Kasperak und die farbigen Fotografien von Heinz Cibulka präsent, wie überhaupt die Aktionen des Orgien Mysterien Theaters die in der Ausstellung versammelten Bilder und sonstigen Relikte prägen. Das wird von vielen als "barock", als "hypertroph", als "überbordende Vitalität" empfunden - und für das Barock hat man in Berlin so wenig übrig wie für religiöse Implikationen.

Die Kritik hat sich der Ausstellung intensiv gewidmet, ihr nicht nur breiten Platz eingeräumt, sondern sie im Großen und Ganzen positiv gewürdigt. Doch fällt auf, wenn man die durchwegs mit dem Blickfang einer farbigen Reproduktion gezierten Rezensionen durchsieht, dass fast nur der erste, blutige, "dionysische" Teil des Orgien Mysterien Theaters reflektiert wird, der zweite Teil jedoch fast untergeht. Der erste Teil: das ist das Fließen des Bluts, die Kreuzigung der Tierleiber, die Präsenz der Innereien, die genussvoll wieder und wieder umgewälzt werden. Das ist die Huldigung an das "dionysische" Element seiner Aktionen, an das, was von Einzelnen als Orgie erlebt wird, indes andere hier an eine "Ekelgrenze" zu stoßen meinen.

Dagegen wird der andere Teil des Orgien Mysterien Theaters, eben die Hinwendung zum Mysterium, die alle Aktionen in endlose Prozessionen durch Felder, Wiesen und Weinberge münden lässt und in der Ausstellung durch die mehrere Säle füllenden Installationen mit Messgewändern, Monstranz und manchen der Heilung dienenden Instrumenten vertreten ist, fast gar nicht besprochen. Für Hermann Nitsch ist dieses andere Element - nennen wir es ruhig das "apollinische" - ebenso wichtig, und er wird nicht müde, diesen "Aufstieg" zu inszenieren. In seiner Malerei ist er beinahe handgreiflich anwesend.

Die Kunst des Hermann Nitsch, die mittlerweile - von ihrer ersten Konzeption an gerechnet - den Zeitraum eines halben Jahrhunderts umfasst, ist komplex. Sie erschließt sich nicht ohne weiteres - und wohl auch nicht ohne Anstrengung. Wie kaum bei einem anderen Künstler - mit der einen großen Ausnahme von Joseph Beuys - entspringt alles, was Hermann Nitsch macht, einer umfassenden Welttheorie. Nitsch hat sich über den Kosmos, über das Entstehen der Welt, über die Menschheitsgeschichte mit ihren furchtbaren Konflikten und beeindruckenden Triumphen, über den Sinn unseres Hierseins auf der Erde Gedanken gemacht. Jede seiner Arbeiten hat ihren bestimmten Platz in diesem Gedankengebäude. In seiner 960 Seiten umspannenden Schrift Die Theorie des Orgien Mysterien Theaters. Zweiter Versuch (1996) hat Nitsch darüber erschöpfend Auskunft zu geben versucht.

Genesis und Passion

Hermann Nitsch ist wahrscheinlich der erste Künstler, der sich nicht nur als "Schöpfer" seines Werkes - ein Weltenschöpfer im Kleinen - ansieht, sondern seine Arbeit gleichzeitig mit der Passion identifiziert. Er sieht den Künstler nicht nur als aktiven Schöpfer, sondern ebenso in der passiven Rolle des Leidens. Er meint, wer ja sagt zur Welt, wie sie ist, der muss auch ja sagen zum Leiden, zum Schmerz, zur Schuld, zu allen Abgründen der Welt, wie es vor fast anderthalb Jahrhunderten Friedrich Nietzsche (dem Hermann Nitschs Bewunderung gilt) getan hat. So sieht Nitsch Genesis und Passion in der künstlerischen Existenz zusammen. Nicht zufällig hat er viele seiner Schüttbilder - in die das von ihm getragene Malhemd eingeschlossen ist - als Kreuzwegstationen bezeichnet.

Hermann Nitsch sagte einmal: "Ich wollte alles groß." Seine Berliner Ausstellung bringt diesen Wunsch nach Größe - der sich nicht nur im Quantitativen und im gigantischen Format vieler Leinwände erschöpft - überzeugend zur Anschauung. Das führt uns zu einem letzten Superlativ: Bei kaum einem Künstler unserer Zeit sind gedankliche Tiefe und sinnliche Kraft eine so enge Verbindung eingegangen wie bei diesem Maler aus dem niederösterreichischen Prinzendorf. Blut und Spiritualität gehören bei ihm untrennbar zusammen.

Wieland Schmied ist auch Co-Autor des Ausstellungskataloges.

Hermann Nitsch

Orgien Mysterien Theater

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

www.gropiusbau.de

Bis 22. 1. 2007 Mi-Mo 10-20 Uhr

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