Boulevard als Westimport

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20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bestimmt in praktisch jedem der „Reformländer“ der Boulevard die Printmedienlandschaft. Journalistische Qualitätsstandards waren im realen Sozialismus nicht gefragt. Das hat sich seit der Wende kaum nachhaltig verbessert.

„Sie brachte das Virus nach Rumänien“, titelte eine der drei führenden Boulevard-Zeitungen Rumäniens, als das Land im Mai den ersten Schweinegrippen-Fall meldete. Die drei Zeitungen veröffentlichten umgehend Name, Alter, Foto der Erkrankten und machten die Betroffene zum Staatsfeind Nummer 1: „Sie läuft frei durch Bukarest herum. Hüten Sie sich!“ Die Frau war längst in ärztlicher Betreuung, sie hatte sich umgehend bei den Behörden gemeldet, als sie erste Symptome spürte.

Solche Fotos würden in westlichen Redaktionen zu einem Aufschrei führen, glaubt Marius Hagger, der in Rumänien die Geschäfte des Schweizer Medienhauses Ringier leitet. „Rumänische Boulevard-Blätter sind aggressiver als Bild oder The Sun.“ Das gleiche gilt auch für Medien in Bulgarien oder Polen. Die Boulevardisierung hat direkt nach der Wende als Antwort auf die trockene Verwaltungssprache der vorherigen Staatspresse eingesetzt.

Bulgarische Ernüchterung

Als erster ausländischer Investor auf dem bulgarischen Medienmarkt hat die deutsche WAZ-Gruppe 1996 ein erfolgreiches Zeitungsmodell übernommen. Dazu gehören unter anderem die beiden auflagenstärksten Titel 24 Tschasa (24 Stunden) und Trud (Arbeit). Sie vereinen in einer hybriden Mischung die Elemente der Qualitäts- und der Boulevardpresse. „Qualitätsmedien sind in der bulgarischen Presselandschaft kaum vorhanden“, sagt Orlin Spassow, Medienwissenschaftler an der Universität Sofia. Dnevnik als einzige seriöse Tageszeitung und das Wochenblatt Kapital fristen ein Dasein am Rande der öffentlichen Wahrnehmung.

Auch wenn der Boulevardstil kein Importprodukt durch die WAZ-Mediengruppe war, beeinflusste sie die Zeitungen in Bulgarien gravierend, erzählt Wesislawa Antonowa, Journalistin bei Kapital: „Sie brachten ein neues Grafikdesign mit: Größere Schlagzeilen, eine knappere Sprache, große Bilder auf der ersten Seite.“ Doch für eine Revolution sorgte die WAZ in erster Linie durch ihr professionelles Geschäftsmodell. Während in Bulgarien oftmals Unklarheit darüber herrscht, wer hinter einzelnen Medienprodukten steht und welchen Interessen sie dienen, galten die Zeitungen im WAZ-Besitz von Anfang an als transparent und unabhängig von äußeren Einflüssen.

Doch Journalisten wie Wesislawa Antonowa kritisieren, dass WAZ von dieser Unabhängigkeit kaum Gebrauch macht. Auf ihrem zehnjährigen Jubiläum habe die WAZ sich von Politikern aller Couleur den Hof machen lassen, erinnert sich die Journalistin. „Die WAZ pflegt einen konfliktlosen Umgang mit der Politik“, sagt Medienexperte Georgi Losanow. Die Mediengruppe selbst betont dagegen die hohe Qualität der eigenen Produkte, sie lege, so der WAZ-Hauptgeschäftsführer in Bulgarien, Axel Schindler, Wert auf journalistische Standards. Wesislawa Antonowa sieht das in der Praxis jedoch widerlegt: „Die WAZ hat zwar den Ethik-Kodex unterschrieben, hält ihn aber oft nicht ein.“

So sind viele Medienexperten vom Engagement der WAZ in Bulgarien enttäuscht. Große Hoffnungen auf mehr Qualität seien mit dem Eintritt eines ausländischen Investors in Bulgarien verbunden gewesen. „Das Potenzial, die Leserschaft langsam an andere Qualitätsstandards heranzuführen, wurde von der WAZ nicht genutzt“, klagt Orlin Spassow. Leider seien die Leser mittlerweile an den Boulevardstil gewöhnt und fänden die seriöse Presse langweilig.

Springer gegen Springer

Im Unterschied zur WAZ in Bulgarien zeigt der Axel-Springer-Verlag in Polen sehr wohl Präsenz – allerdings auch in negativer Hinsicht. Ein wahrer Zeitungskrieg war während der Europameisterschaft 2008 zwischen dem polnischen Springer-Blatt Fakt und der deutschen Bild ausgebrochen. Fakt hatte in einer Fotomontage Michael Ballack, Kapitän des deutschen Fußballteams, im Ordensritter-Kampf gegen Leo Beenhakker, Trainer der Fußballer aus Polen, gezeigt. Es folgte ein Schlagzeilen-Abtausch, den Bild mit „EM-Krieg gegen uns! Polen-Zeitung köpft Jogi & Ballack“ auf der Titelseite beendete.

Die Redaktionen bestreiten, den Inhalt der Artikel vereinbart zu haben. Bild wolle Polen und Deutsche nicht gegeneinander aufhetzen, sondern spiele mit Stereotypen, hieß es damals. Micha/l Fijo/l, Sprecher des Axel-Springer-Verlags, sagte, es handle sich um eine Polemik, die nur beweise, dass im Verlagshaus Pluralismus herrscht. Doch der deutsch-polnische Konflikt scheint für Springer schon lange eine Methode zu sein: ob im Streit um das Vertriebenenzentrum in Berlin und Erika Steinbach, um die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass oder eine angebliche Präsidentenbeleidigung durch eine deutsche Tageszeitung. Die Redakteure missachten dabei jegliche journalistischen und ethischen Standards.

Der Deutsche Journalistenverband reagierte auf die Pressehetze mit einer Resolution, der Hauptvorstand des Polnischen Journalistenverbandes unterstützte ihn und verlieh dem Springer-Verlag die „Hyäne des Jahres 2008“. Dies ist schon der dritte Anti-Preis, der an Fakt geht. Seit der Titel 2003 auf dem Medienmarkt erschienen ist, hat das Blatt alle anderen Tageszeitungen des Landes nicht nur in Verkaufs- und Leserquoten (700.000 Auflage) überholt, sondern auch in der Zahl der verlorenen Gerichtsprozesse übertroffen.

Auch für das Schweizer Medienhaus Ringier in Rumänien gehört Boulevard zum Kerngeschäft. Der Konzern hatte Mitte der 90er Jahre die erste Boulevard-Zeitung in Rumänien herausgebracht: Libertatea („Freiheit“). Sie ist laut rumänischer Medienanalyse mit rund 235.000 Verkaufsexemplaren das auflagenstärkste Blatt im Land. Doch Ringier hat inzwischen mächtige Konkurrenz bekommen. So lancierten rumänische Verlagsrivalen zwei weitere Boulevard-Zeitungen, die innerhalb kürzester Zeit mit 100.000 Exemplaren eine beachtliche Auflage erreichten. „Wir dachten, der Boulevard-Markt ist längst gesättigt, doch wir wurden eines Besseren belehrt“, sagt Medienexpertin Ioana AvØadani vom Zentrum für Unabhängigen Journalismus in Bukarest.

Blätter-Kampf in Rumänien

Auch wenn die drei Boulevard-Blätter von den insgesamt rund 600 Zeitungen und Zeitschriften im Land die meisten Leser erreichen, fallen ihre Auflagenzahlen zu westeuropäischen Medienmärkten vergleichsweise gering aus. Grund ist laut Ringier-Geschäftsführer Hagger „die ungenügende Infrastruktur im Land, durch die wir die Zeitungen oft nur verspätet ausliefern können“. Zudem lebt die Hälfte der Rumänen auf dem Land und bevorzugt fernzusehen, statt eine Zeitung zu lesen.

Die Rivalen von „Ringier“ sind längst an zahlreichen landesweiten TV- und Radiostationen beteiligt. Damit können sie auf unterschiedlichen Kanälen ein Thema nach vorn bringen, sodass der Eindruck entsteht, es sei in allen Medien präsent. Entscheidend aber ist, dass die drei rumänischen Medienbesitzer kräftig in Wirtschaft und Politik mitmischen. „Die drei Konzerne“, sagt Hagger, „brauchen ihre Medien, um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.“

Das kann in der Realität bis zu dem Deal gehen, dass Politiker eine von den Medienbesitzern gewünschte Gesetzgebung verabschieden und im Gegenzug Sendezeiten und eine wohlgesinnte Presse erhalten, erzählen rumänische Journalisten. Hinzu kommt, dass sich parteiische Medien nicht an ethische Grundsätze des Journalismus halten.

„Nicht die Boulevardzeitungen sind unser Problem“, sagt Medienexpertin AvØadani, „sondern die Boulevardisierung aller anderen Medien. Sie bezeichnen sich als Qualitätsjournalismus, doch in Wirklichkeit verkaufen sie haufenweise unseriöse Nachrichten.“ Dass sich die rumänischen Journalisten gegen die Manipulation ihrer Herausgeber zu Wehr setzen werden, ist bislang nicht zu erwarten. Vielmehr werden sie von den rumänischen Medienbesitzern seit Jahren mit Gehaltserhöhungen geködert, um das gefährliche Spiel mitzumachen.

* Die Autoren sind Mitglieder des Korrespondenten-Netzwerkes n-ost in Sofia, Bukarest und Posen

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