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Erstaufführung am Burgtheater: Yasmina Rezas Beziehungs-Komödie "Der Gott des Gemetzels" legt überzeugend die Hohlheit "europäischer Werte" bloß.

Jeder gegen jeden. Sind unsere Beziehungen reine Machtspiele? Die französische Dramatikerin Yasmina Reza knüpft mit ihrem neuesten Stück "Der Gott des Gemetzels" an ihren großen Erfolg "Drei Mal Leben" an. Wieder stehen zwei Paare aus der gehobenen Mittelschicht einander gegenüber, die sich im Laufe dieser intelligenten und scharfsinnigen Boulevard-Komödie als unmoralische "Barbaren" entlarven. Die österreichische Erstaufführung des im deutschsprachigen Raum derzeit meistgespielten Stücks hat Dieter Giesing als amüsante, dynamische Farce inszeniert, in der er den Machtkampf der Geschlechter und sozialen Schichten messerscharf analysiert.

Giesings Regie ist unspektakulär, präzise und vor allem auf die Schauspieler konzentriert. Er bedient ganz und gar das Schauspielerstück, in dem sich vier Protagonisten positionieren und dabei systematisch den Lack der Zivilisiertheit entfernen.

Machtkampf als Farce

Allen voran ist Maria Happel zu nennen, die als die Teilzeitbuchhändlerin und Schriftstellerin (Thema: Zivilisation in Afrika) Véronique wieder einmal eine Glanzleistung ihrer komödiantischen Begabung zeigt. An ihrer Seite steht überzeugend Roland Koch als ihr mittelmäßiger, stoischer Ehemann Michel, der (er betreibt einen Großhandel mit Haushaltsartikeln) nicht viel - außer praktischem - Gespür zeigt. Als "feindliches" Gegenpaar reüssieren Christiane von Poelnitz als Vermögensberaterin Annette und Joachim Meyerhoff als versnobter Rechtsanwalt Alain.

Schauplatz des "Gemetzels" ist das Wohnzimmer von Véronique und Michel, ein (extrem geschmackloses) Sofa steht zentriert auf der leicht schrägen Bühne, deren Winkel im Laufe des Abends unentwegt (doch beinahe unbemerkt) steiler wird. Karl-Ernst Herrmann hat die zugespitzte Atmosphäre sichtbar gemacht und verlangt damit den Schauspielern einiges ab. Reduziertes Mobiliar, ein Glastisch wie aus dem Interio-Katalog, Kunstbücher und eine überdimensionale Blumenvase mit einem Riesenstrauß Tulpen kennzeichnen den Anspruch des Paares, das Understatement eines intellektuellen Haushalts zu präsentieren. Dieses Wohnzimmer wird zum Ort der Desavouierung von Vorurteilen und Ehehöllen, wie man es bereits von Reza kennt.

Die Ausgangsbasis etabliert sich schon bald als Alibi: Der Sohn von Annette und Alain hat dem Buben von Véronique und Michel mit einem Bambusstock die Schneidezähne ausgeschlagen, und nun versuchen die Eltern eine möglichst zivilisierte, gewaltlose Lösung zu erzielen. Aus dem Konflikt der Kinder wird rasch ein Konflikt der Eltern, der Klassen, der Partner. Der Titel "Der Gott des Gemetzels" verweist auf den moralischen Konflikt, der das Spiel vorantreibt. Während Annette und Alain auf der Seite des Stärkeren, des Potenteren, also des Geldes stehen, vertritt Véronique den Anspruch der Moral und Humanität. Ihr Mann Michel entpuppt sich als Muttersöhnchen, der es allen recht zu machen sucht, heimlich aber den Hamster der Tochter aussetzt, weil er sich vor Nagetieren ängstigt.

Geld gegen Moral

Rezas Stück arbeitet mit bourgeoisen Vorurteilen, ihren Ursprung, ihre Grenzen und führt sie ad absurdum. Das Treffen, das zu Gunsten der Söhne verlaufen sollte, entwickelt sich zur Katastrophe. Abwechselnd klagt eine Figur: "Es ist der unglücklichste Tag meines Lebens." Nun, hier und auch bisweilen an anderen Dialogstellen trägt Reza gar zu dick auf, so dass sich in die ansonsten differenzierten Dialoge immer mehr Platitüden fügen.

Am Ende dieser Begegnung, die in Echtzeit abläuft, ist alles heraußen: Es wurde gekotzt, gesoffen, geschlagen und keineswegs gewaltlos diskutiert.

Reza hat mehr als eine Beziehungs-Komödie vorgelegt, sie entwirft ein Bild unserer Gesellschaft. Moralische Integrität und Menschenrechte werden als europäische Werte deklariert. An der Oberfläche. Darunter regiert die Macht des Geldes.

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