Brauchen Medien eine Moral?

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Zum Dossier. Medien sind bloß Voyeure und arbeiten nur mehr im Dienst der Quote: Diesem - in seiner Absolutheit kaum zu beweisenden - Befund folgt meistens die Forderung nach einer "Ethik der Medien" auf dem Fuß. Das vorliegende Furche-Dossier bietet einige Aspekte dazu an, etwa: Medienethik heute heißt vor allem, den Blick der Mediennutzer schärfen (Seite 14); oder: Medienethik kann wie die Wirtschaftsethik funktionieren (Seite 15).

Hubert Feichtlbauer vertritt die "altmodische These, daß Journalismus ohne Grundsätze von Ethik und Moral nicht auskommt". Dies äußerte der Publizist vor kurzem bei den VI. Wachauer Journalistentagen. Feichtlbauers Thesen gipfelten in der Feststellung, Journalisten hätten eine "Weltverbesserungsaufgabe".

Wie sehr das Thema "Moral und Medien" auf dem Tapet ist, läßt sich an einem Beispiel rund um die Berichterstattung der Kronen Zeitung zum Tod des Schubhäftlings Marcus O. zeigen. Die Krone bot in dieser Causa bekanntlich alles auf, um die Polizei, den Innenminister und andere Amtspersonen in Schutz zu nehmen, und den "versehentlich" verblichenen Schubhäftling sowie Hilfsorganisationen wie die Caritas ins Zwielicht zu bringen.

In diesem Zusammenhang äußerte sich auch Wiens Kardinal Christoph Schönborn: Er nahm Nigerianer in Österreich gegen diffamierende Unterstellungen in Schutz, kritisierte rassistische Äußerungen gegen sie und stellte sich voll hinter das Engagement der Caritas. Der Tod von Marcus O., so Schönborn, müsse für alle, "denen Menschenwürde und Menschenrechte am Herzen liegen", ein Mahnzeichen sein. Er habe "volles Vertrauen in die Entschlossenheit der österreichischen Behörden, den Fall restlos aufzuklären und Vorsorge zu treffen, daß sich ein solches Geschehen nicht wiederholen kann".

Tags darauf erschien in der Krone ein weiterer Artikel zum Fall Marcus O., dazu ein Bild des Kardinals mit der Unterschrift: "Schönborn: Volles Vertrauen in Aufklärungsarbeit der Behörden". Von der Kritik des Kardinals an rassistischer Diffamierung und seiner Unterstützung der Caritas gegen unterstellende Angriffe war keine Rede.

Obiges Beispiel aus dem Bereich der Boulevardmedien ist exemplarisch. Daneben befinden sich zur Zeit aber auch seriösere Medien im Zwielicht: Etwa in der Berichterstattung über den Krieg in Jugoslawien, wo nicht nur der serbischen Propaganda nicht zu trauen ist. Auch die Gegenseite verbreitet Informationen, deren Wahrheitsgehalt kaum nachgeprüft werden kann: Seit dem Beginn der Bombenangriffe der NATO ist evident, wie ausgesetzt die Medien selbst in diesem Krieg sind.

Paul Schulmeister, Deutschland-Korrespondent des ORF, konstatierte bei den Wachauer Journalistentagen in diesem Zusammenhang eine "schleichende Militarisierung der Information". Ob CNN, der amerikanische Nachrichtensender, der in einem Krieg, dem 1. Golfkrieg 1991, weltweit führend wurde, oder ORF: Alle unterliegen den Gesetzen, die nicht zuletzt der Wettstreit der Medien um Einschaltziffern diktiert. So kommt es, daß nur wenige Bilder aus dem Kosovo tatsächlich in die TV-Nachrichten kommen. ORF-Balkanberichterstatter Friedrich Orter auf den Wachauer Journalistentagen: "In der ,Zeit im Bild' können Sie über alles reden - nur nicht über einer Minute dreißig".

Dazu kommt, daß der Druck immer mehr zunimmt, sensationellere Geschichten zu liefern, das größere Massaker oder - man erinnere sich an vergangenen Sommer zurück - die Exklusivbilder, wie ein Bergmann nach tagelanger Verschüttung an die Erdoberfläche gehievt wurde ... Den genannten Druck machen aber auch die Konsumenten, die eben nur kürzere Nachrichten konsumieren oder leichter faßliche Zusammenhänge serviert erhalten wollen, und die sich in der Regel mit der Komplexität eines Geschehens nicht auseinandersetzen.

Daß im Lichte dieser Entwicklungen und Gefahren Medien eine Moral brauchen, liegt auf der Hand. Doch um welche Moral geht es dabei? Sicher nicht um ein Moralisieren, denn dieses ist meist ein Kennzeichen totalitärer Verhältnisse: unter dem Deckmantel einer Partei, einer Idee, einer Religion wurden Normen durchgesetzt, die oft mit Menschenwürde nicht im Einklang standen. Umgekehrt: Kann nicht auch die "Quote", als Maxime und als Credo gegenwärtiger Medienkultur, ein totalitärer Zug heutiger Gesellschaft sein?

Medien brauchen Moral. Aber welche? Sollen Modelle zur Selbstregulierung wie im Bereich der Wirtschaftsethik greifen (der Medientheoretiker Matthias Karmasin propagiert das etwa im Interview auf Seite 15)? Derartige Modelle gehen davon aus, daß ethische Fragen und die Konflikte, die daraus resultieren, in eine Kommunikations- und Streitkultur strukturiert werden; Schieds- und Ehrengerichte etwa könnten solche Strukturen sein.

Gegen Modelle dieser Art wendet sich hingegen der Wiener Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich vehement. In seinem neuen Buch "Die Welt ist, wie wir sie denken" (S. 176 ff, Bibliographie unten) spricht sich Gottschlich dagegen aus, daß Medienethik eine "Angebots-Ethik" unter vielen (Wirtschafts-, Verkehrs-, Umwelt-, Bio-Ethik ...) sei. Gottschlich: "Wäre sie das tatsächlich, dann wäre sie freilich nicht mehr wert als jene ethischen ,Service-Einrichtungen', die zum reibungslosen Funktionieren (hier: zum reibungslosen Funktionieren des Medienbetriebs) beitragen." Allerdings hat auch Publizistikprofessor Gottschlich kein Rezept anzubieten, denn er spricht von einer "noch zu entwerfenden" Medienethik ...

Die Frage, ob Medien eine Moral brauchen, scheint somit leichter beantwortbar zu sein, als die Frage nach einer Festlegung der ethischen Standards und nach Wegen der Durchsetzung dieser. Daß "Quote" als oberstes Prinzip und ein absoluter Voyeurismus, der in den Verlust der Scham führt, zur Bedrohung von Freiheit und Menschenwürde beitragen, ist anhand der vielen Beispiele ringsum evident.

Dennoch helfen moralische Appelle allein nicht. Vielmehr wäre konsequente Aus- und Bewußtseinsbildung auf beiden Seiten der Medien nötig: bei den Machern wie bei den Konsumenten. Vielleicht hilft als ein Schritt in diese Richtung ein beiderseitiger Widerstand gegen den Vereinfachungsdruck: Die Sehnsucht nach simplen Antworten in der unübersichtlichen Welt, die nur komplexe Fragestellungen hervorbringt, ist ja allerorts zu spüren.

Obwohl Medienmachen Vereinfachen bedeutet, sind Journalisten gefragt, die nicht alles, was komplex ist, in die verführerische Klarheit zu weniger Worte kleiden. Gleichermaßen gefragt sind Medienkonsumenten, die der Verführung der viel zu einfachen Sätze, welche von den Medien vorgegaukelt werden, nicht unterliegen.

Die Welt ist, wie wir sie denken. Zur Kulturkritik der Mediengesellschaft. Von Maximilian Gottschlich. Springer Verlag, Wien 1999, 363 Seiten, brosch, öS 370,- e 26,89

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