Brennstoff für die anderen

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Im Minoriten Kulturzentrum in Graz wird das Aschermittwochserlebnis künstlerisch bewusst gemacht. Der Einzelne stirbt. Das Leben geht weiter.

Im Jargon der chemischen Zunft bezeichnet Asche jene Rückstände, die bei der Verbrennung von organischem Material zurückbleibt. Zum überwiegenden Teil sind das Oxide, Karbonate in Verbindung mit Metallen. Die Faktenlage wäre damit geklärt, auch wenn man selbstverständlich noch nähere Angaben machen könnte, etwa die chemischen Formeln dieser Überbleibsel. Das ließe sich dann so formulieren: P2O5, SiO2, NaHCO3, Al2O3, Fe2O3.

Chemie von Leben und Tod

Es gibt Chemielehrende, die ködern ihre Zuhörer mit Slogans wie "Alles Leben ist Chemie". Das ist eine ungenaue Formel, wohl auch deshalb, weil dieser Merkspruch einen Wechsel von der Sprache der Formeln in die natürliche Sprache des Alltags beinhaltet. Die These, dass alles Lebendige mit Chemie zu tun hat, klänge hier plausibler. Und trotzdem bedeutete es eine unbotmäßige Einschränkung der Chemie, denn wie die kalligraphische Aufzählung - P2O5, SiO2, NaHCO3, Al2O3, Fe2O3 - zeigt, hat es die Chemie genauso mit dem Toten, dem Anorganischen zu tun. Um genau jenen Kippeffekt vom Lebendigen zum Toten, der in der chemischen Sprache Verbrennung heißt, dreht sich die christliche Tradition des Aschermittwoch. Wir verbrennen andere Lebendige, um selbst lebendig zu bleiben, und werden schließlich auch verbrannt, um ebensolcher Brennstoff für andere zu werden. Dies trifft wörtlich als chemischer Vorgang zu, dies gilt aber auch ebenso wörtlich für unsere gemeinschaftliche Lebensweise.

Der Aschermittwoch bremst den behänden Lebenslauf herunter auf einen markanten Kreuzungspunkt. Die Überschneidung zweier Aschenlinien auf der Stirn, Verbrennungsrückstände der Palmzweige vom Vorjahr, eine Weiterführung der langen Erinnerung und damit Aktivierung von Ostererfahrungen. Seit der Kirche der ungekünstelte Umgang mit der Welt der Kunst abhanden gekommen ist, hat man sich auf die Suche nach bescheideneren Berührungs- und Kreuzungspunkten gemacht. Die zeitliche Wahl im Lauf des Kirchenjahres fiel auf den Aschermittwoch. Weil man an diesem Tag besonders gut die Aschenrückstände der einstmals fruchtbaren, nun aber toten Beziehung zwischen der Kunst und der Kirche ganz wunderbar meditieren kann? Vielleicht auch.

Ganz anders sieht man aber den Aschermittwoch im Minoriten Kulturzentrum in Graz. Dort, wo diese fruchtbare Beziehung wie selbstverständlich weiterlebt, zeigen sich konkrete Kunstwerke als Aschermittwocherlebnis, als Bremsvorgang, der Energie kulminiert, um dann umso besser durchstarten zu können. Und dies nicht nur am Aschermittwoch, sondern das ganze Jahr über. Ein Grund mehr, den "Aschermittwoch der Künstler" als einen Feiertag dieser Beziehung zu begehen.

Endliches Individuum

Geschehen in einem Cross-over der Künste, bestehend aus Musik, Tanz, Literatur, Bildender Kunst und Predigt - ja auch die Predigt wurde wieder in die lebenspendende Zunft der Kunstschaffenden aufgenommen. Im zentralen Blickfang, der Videoinstallation von Yang Zhenzhong, legen 42 Frauen und Männer, allesamt Passanten in den unterschiedlichsten Städten dieser Welt, unisono ein Bekenntnis ab, indem sie die Betrachter immer mit dem gleichen Satz konfrontieren: Ich werde sterben. Wie in einer soziologischen Studie mit der Videokamera stellen sich beide Geschlechter aus allen Altersstufen der einzigen unumstößlichen Gerechtigkeitsinstanz auf dieser Welt, dem Umstand, dass wir alle ausnahmslos sterben werden.

Yang Zhenzhong positioniert seine Protagonisten stets so, dass der Mund als Bekenntnisöffnung die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zieht. Der jeweilige Hintergrund suggeriert in seinem Anspruch auf schnörkellose Dokumentation eine trockene Ernsthaftigkeit, die Gesichter jedoch pendeln zwischen der resignativen Einsicht in das unausweichliche Ende und einem beinahe schnippischen Überspielen: Die Körpersprache stellt öfter ein Fragezeichen hinter den Aussagesatz der gesprochenen Sprache. Folgerichtig stellt Yang Zhenzhong in die Mitte seiner Abfolge das Bekenntnis einer schwangeren Frau als Personifizierung dieser Kippstelle Aschermittwoch: Das Lebendige vergeht zwar, aber das Leben bleibt.

Yang Zhenzhong:

Ich werde sterben

Minoriten Kulturzentrum

Mariahilferplatz 3, 8020 Graz

Bis 21.3. Mo-Fr 10-18, Sa 11-17 Uhr

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