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Es ist dann doch überraschend schnell gegangen. 15 Monate lang hatte die Bundesregierung ihr Leitmotiv Koalitionsfrieden nach außen hin so routiniert abgespult, dass manche sich schon fragten, ob die disziplinierte Performance überhaupt noch einmal ins Wanken geraten würde. Eine Spende des Christchurch-Attentäters an den Chef der rechtsextremen "Identitären" und eine innenpolitische Großdebatte später sind die Risse im Fundament der türkis-blauen Koalitionsarchitektur aber plötzlich sichtbar. Klar, die akuten Störgeräusche waren in der Öffentlichkeit schnell wieder abgefangen. Doch wie sich Kanzler und Vizekanzler da nach dem Ministerrat erstmals auch coram publico anblafften, das zeigte etwas tiefer Liegendes: das Ausmaß des Brodelns unter der Oberfläche. Denn entgegen aktueller Statements der FPÖ-Spitze sind die Verflechtungen zwischen Freiheitlichen und Identitären natürlich so zahlreich wie vielschichtig. "Identitäre" Mitarbeiter in blauen Ministerien.

FPÖ-Mitglieder und Identitäre als "Bundesbrüder" bei äußerst rechten Burschenschaften, als Kollegen bei FPÖ-nahen Medien. Ideologische Überschneidungen in zahlreichen politischen Fragen -vom Narrativ des "Bevölkerungsaustausches" über das eigene Geschichtsbild, von der Positionierung gegenüber dem Islam bis zum Wortlaut der Kritik am UNO-Migrationspakt.

Brauner Sumpf als Damoklesschwert

Dass sich mancher Politiker der Regierungsparteien nun über die identitären Umtriebe überrascht zeigt, ist nicht mehr als eine Schutzbehauptung. Die Ideologie der Identitären, deren Obmann einst Hakenkreuz-Sticker auf eine Synagoge klebte und zum engsten Umfeld des Holocaustleugners Gottfried Küssel zählte, liegt seit Jahren offen auf dem Tisch. Ebenso wie die zahlreichen Verbindungen zwischen den Rechtsextremen und der FPÖ. Sah ein erfahrener Politiker all das nicht, kann das nur einen Grund haben: Er wollte es nicht sehen.

Gerade der Bundeskanzler dürfte bei seinem strategischen Gespür sehr genau wissen: Die identitären Verstrickungen können zu einer ernsten Gefahr für seine Koalitionsregierung werden. Die Ermittlungen laufen schließlich noch. Und dass jederzeit etwas Neues aus dem rechten Sumpf an die Öffentlichkeit dringen könnte, hängt nicht erst seit der "Liederbuchaffäre" über Türkis-Blau wie ein Damoklesschwert.

Problemfall Kickl

Dass der Kanzler die Berichtspflicht der Geheimdienste an ihn nun zügig umsetzen möchte, ist in diesem Kontext zu sehen -und als Teil-Entmachtung des Innenministers. Denn dass das Ausland Herbert Kickl zunehmend politisch isoliert, kann die Regierung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ein Innenminister , oberster Chef von Polizeibehörden und Inlandsgeheimdienst, den die großen internationalen Dienste von Informationsflüssen abschneiden, weil sie ihm misstrauen; ein Innenminister, an dem halb Europa immer weniger anstreifen will -kann, will sich eine Republik im Zentrum der Union das leisten?

Die rechten Ränder der FPÖ, die Verflechtungen mit rechtsextremen Burschenschaftern, Identitären und was das einschlägige ideologische Spektrum sonst noch so hergibt, sind die größte Hypothek dieser Bundesregierung. Die Strategie des Kanzlers, zum rechten Saum so lange wie möglich zu schweigen, aufpoppende Erregung einfach auszusitzen, war in der Vergangenheit durchaus Teil seines politischen Erfolges. Sie wird künftig aber kaum noch verlässlich aufgehen. Sebastian Kurz wird -schon aus politischem Eigeninteresse -klarere Kante gegen Rechts zeigen müssen. Möglicherweise auch mit personellen Konsequenzen in seiner Koalitionsregierung.

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