Brüche in Österreichs Geschichte zeigen

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Vor zwei Wochen wetterte Markus Vorzellner gegen das geplante Haus der Geschichte und löste damit zahlreiche Reaktionen aus. Peter Diem, ehemaliger Leiter der Medienforschung im ORF und Herausgeber von austria-forum.org, über die Chancen dieses Museums.

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Vor zwei Wochen wetterte Markus Vorzellner gegen das geplante Haus der Geschichte und löste damit zahlreiche Reaktionen aus. Peter Diem, ehemaliger Leiter der Medienforschung im ORF und Herausgeber von austria-forum.org, über die Chancen dieses Museums.

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Mit der Veröffentlichung von Konzept, Ort und Zeitplan für das Haus der Geschichte Österreich (HGÖ) am 9.9. 2015 durch das Koalitionsduo Minister Josef Ostermayer und Staatssekretär Harald Mahrer wurden viele Jahre fruchtloser Diskussionen beendet. Statt einen zentralen Standort zu suchen (den es praktisch nicht gibt) und einen teuren Neubau zu planen, wurde eine kostengünstige Lösung in optimaler Lage gefunden: am Heldenplatz - wo sonst.

Die durch Sprengung der Basteien geschaffene Freifläche heißt seit 1878 "Heldenplatz". Ab 1881 wird hier die "Neue Burg" errichtet und 1907 mit dem ringseitigen "Corps de Logis" abgeschlossen. Ein dazu symmetrischer Bau, mit dem ein monströses "Kaiserforum" geschaffen worden wäre, wurde nie verwirklicht. So blieb der Platz in Richtung Nordwesten offen. Daraus ergibt sich die erste von zwei Sichtachsen, nennen wir sie die "Politik-und Demokratieachse". Sie reicht von der Mittelterrasse der Neuen Burg über den Volksgarten bis zum Parlament und zum Rathaus. Die zweite Sichtachse -wir wollen sie "Geschichtsund Kulturachse" nennen -führt von der Michaelerkirche über die Ausgrabungen aus der Römerzeit durch das Michaelertor an der Schatzkammer vorbei zum Burgtor, überquert Ringstraße und Maria-Theresien-Platz und reicht bis zum Museumsquartier. Sie wird durch die vier Denkmäler für Kaiser Franz II/I., Erzherzog Carl, Prinz Eugen und Maria Theresia akzentuiert.

Zwanzig Gestalten aus der Geschichte

Sehen wir den durch eine (demokratie)politische und eine (kunst)historische Achse geschnittenen, zentral gelegenen Standort des HGÖ zunächst mit den Augen der Besucher. Hier gibt es viele Anknüpfungspunkte für Lehrer und Fremdenführer. Aber auch den Gestaltern der künftigen Ausstellungen geben die beiden Achsen wichtige Impulse. Vielfach wird die Neue Burg auf eine Kulisse für die Ereignisse des 15. März 1938 reduziert. Niemand hat aber noch auf einen anderen Aspekt des genius loci hingewiesen: Im Halbrund der Neuen Burg stehen 20 Statuen, die einen Lehrpfad durch die multiethnische Geschichte Österreichs bilden. Die leider unbeschrifteten Monumentalplastiken -vom römischen Soldaten über den einfachen Bergmann bis zum Tiroler Schützen -wurden 1901 erst nach längerer Diskussion geschaffen. Nach Ansicht des Chefarchitekten Hasenauer hätten 20 Habsburger Regenten den Hemicycle zieren sollen. Das wurde vom zuständigen Sektionschef abgelehnt ein Zeichen dafür, dass schon in der Bauzeit der Neuen Burg ein Gefühl dafür entstanden war, dass der Fortgang der Geschichte nicht allein dem jeweiligen Herrscherwillen, sondern vielmehr dem Schweiß und dem Einfallsreichtum einfacher Bürger zu verdanken war - und ist. Zwar befindet sich keine Frau unter den Zwanzig, doch bieten Maria-Theresia-Denkmal und Sisi-Museum jenseits von Mythos und Kitsch genügend Stoff, um sich an Hand dieser beiden unkonventionellen Frauen Gedanken über Frauenrollen und Frauenrechte zu machen.

Auf Basis umfangreicher Vorarbeiten und unter Mitwirkung eines wissenschaftlichen Beirats hat Oliver Rathkolb auf knapp 100 Seiten inhaltliche und organisatorische Leitlinien entwickelt, die als Grundlage der Architekturausschreibung dienen können, aber durchaus noch Raum für Diskussionen geben. Bisher hat es ja viel Polemik, aber noch wenig inhaltsbezogenen Diskurs gegeben. Zwar fand am 12. Oktober 2015 eine Historiker-Enquete zum Thema HGÖ statt, doch sollen die 17 dort gehaltenen Referate erst 2016 veröffentlicht werden.

Zum Teil orientiert sich das Konzept Rathkolbs bereits an den örtlichen Gegebenheiten. Da man das künftige HGÖ über einen weitläufigen Stiegenaufgang betritt, soll dort in Form einer "Ouvertüre" gefragt werden, "Woher kommen die Österreicher?" Von der keltisch-römischen Zeit bis in die Gegenwart sollen hier die großen (Ein)wanderungsbewegungen beschrieben werden. An diesem Beispiel kann man er-

kennen, dass die Frage "ab welchem Jahr" Geschichte im HGÖ dargestellt werden soll, wenig Sinn macht. Selbstverständlich wird ein "verlängertes 20. Jahrhundert" im Mittelpunkt stehen, doch wird es immer wieder Rückblicke in frühere Zeiten geben.

Auch bei der zweiten "Station" - sie ist den Symbolen und der Identität Österreichs gewidmet -soll weiter zurückgeblickt werden. Etwa, um ein für alle Mal nachzuweisen, dass wir unsere Nationalfarben Rot-Weiß-Rot nicht einer blutigen Kreuzzugsattacke verdanken, sondern dass sie um 1230 im Wappen Friedrichs II., des letzten Babenbergers, auftraten, der bestrebt war, mit symbolischer Politik unter einem neuen "Logo" größere Unabhängigkeit vom Reich -vielleicht sogar die Königswürde -zu erlangen.

Entwicklungen erklären

Die Historiker, die das Programm zu entwickeln, und die Museumsmacher, die es umzusetzen haben, stehen vor großen Herausforderungen: sich kritisch mit verschiedenen Narrativen und Mythen auseinanderzusetzen, ohne das Kind mit dem Bade auszugießen. Denn es wäre ein großer Fehler, das geschichtliche Österreich als reines "Schattenreich" darzustellen, über das es nur Negatives aber nichts Positives zu berichten gibt.

An den vorgesehenen "Längsschnitt-Themen" und "Perspektiven" wird das ebenfalls deutlich. Sie reichen unter anderem von der Entwicklung der Demokratie über die Erfahrung von Krieg und Gewalt bis zu Schoa und Widerstand. Werden die Besucherinnen und Besucher mit dem Gefühl entlassen werden, Nachkommen eines reinen Verbrechervolks zu sein, oder wird ihnen auch erklärt werden, wie die entsprechenden Entwicklungen zustande kamen und welchen Mut es in vielen Fällen erfordert hat oder hätte, nicht mit dem Strom zu schwimmen?

Wenn es in den weiteren "Perspektiven" um die Entwicklung des Kommunikationswesens und der Wirtschaft, um Kunst und Wissenschaft, um die soziale Frage usw. geht, werden damit zentrale Themen der Geschichte unseres Landes und Mitteleuropas angesprochen. Auch hier ist zu vermeiden, nur die Schattenseiten einer nationalen Entwicklung abzubilden, wie es dem Zeitgeist ergebene jüngere Historiker gerne tun. War Österreich-Ungarn ein "Völkerkerker" oder eher ein frühes Vorbild für ein Europa ohne Grenzen? War die Weltausstellung 1873 nur ein Flop mit gleichzeitigem Börsenkrach oder doch auch der Nachweis österreichischer Ingenuität und Leistungskraft? Leider fehlt dem Konzept bisher das Bekenntnis zu einer mediengerechten Darstellung herausragender Persönlichkeiten und ihrer Leistungen in Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur. Zum leichteren Verständnis von Geschichte ist Personalisierung wohl unumgänglich.

Das Museum als wissenschaftliche Anstalt

Im parlamentarischen Kulturausschuss vom 17.11.2015 erklärte Minister Ostermayer, dass man an der Umgestaltung des Heldenplatzes (Tiefspeicher und Tiefgarage) festhalte. Für Bau und Einrichtung des HGÖ seien je rund 10 Millionen Euro zu budgetieren; der laufende Betrieb werde etwa 3,6 Millionen Euro kosten. Wenn man diese Beträge als gelernter Österreicher auch als eher optimistisch angesetzt bezeichnen muss, so steht doch fest, dass das ganze Projekt etwa die Hälfte dessen kosten wird, was die Gemeinde Wien jährlich für Inserate, Broschüren und andere PR-Maßnahmen ausgibt.

Es ist alles daran zu setzen, dass die Novelle zum Museumsgesetz noch heuer beschlossen wird, gemäß welcher das HGÖ 2016 als wissenschaftliche Anstalt an die Seite der Nationalbibliothek treten kann. Ihrer Direktorin Johanna Rachinger, WU-Managerin des Jahres 2012, wird dabei viel abverlangt werden, soll das Projekt ohne größere organisatorische Probleme über die Bühne gehen.

Es ist zu hoffen, dass der künftige Direktor und die für die baulichen Maßnahmen verantwortlichen Architekten mit Hilfe von fairen Ausschreibungen optimal besetzt werden. Denn die Aufgabe ist alles andere als einfach. Inhaltlich gilt es, die durch Brüche und Widersprüche gekennzeichnete Geschichte Österreichs mit modernen museumspädagogischen Mitteln ausgewogen darzustellen. Die Architekten wiederum sind gefordert, mit viel Fingerspitzengefühl an die Ausgestaltung der historischen Prunkräume zu gehen und die technischen Probleme zu lösen, die etwa die Teilumsiedlung der Musikinstrumente-Sammlung mit sich bringt.

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