Donna Leons "Sanft entschlafen": Brunetti und das Opus Dei

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Der jüngste Krimi von Donna Leon läßt viele Fragen offen.

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Der jüngste Krimi von Donna Leon läßt viele Fragen offen.

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Merkwürdig, meint Commissario Brunetti zu Signorina Elettra, der hilfsbereiten Sekretärin seines Intimfeindes, des Vice-Questore Patta, keiner wisse etwas über sie, "aber das hindert uns nicht daran, sie mit Mißtrauen zu betrachten und Angst vor ihr zu haben." Elettra sieht das anders: "Ich denke mir, wenn wir über sie Bescheid wüßten, hätten wir noch größere Angst." Die Rede ist von einer Organisation namens Opera Pia. In der Originalausgabe des Buches heißt sie Opus Dei. Als Grund dafür, daß das Opus in der deutschen Übersetzung nicht unter seinem richtigen Namen aufscheint, steht das Wort Vorsicht im Raum.

Wer nun aber Enthüllungen erwartet, und seien es auch nur fiktive, der hat noch keine Donna Leon gelesen. Er widmet sich ihrem neuen Roman "Sanft entschlafen" aus den falschen Gründen und hat sich nichts anderes verdient, als daß er am Ende so klug als wie zuvor dasteht.

Wer Donna Leon kennt, weiß längst, daß Brunetti auch diesmal mit leeren Händen am Canal Grande stehen wird, an die Warnungen denkend, die ihm zugekommen sind, "und an die Macht und Beziehungen, die hinter dieser Drohung steckten." Die Hände schmerzen ihn, so fest hat er sie zu Fäusten geballt, und während zwei Möwen um ein Brotstück raufen, bleibt er stehen, "bis der Krampf aus seinen Händen gewichen war. Dann steckte er sie in die Jackentaschen, nahm Abschied von dem Möwenpaar und ging durch die calle zurück nach Hause."

Damit ist zwar nicht Brunettis Lebensgefühl umrissen, aber viel von der Stimmung am Ende jedes seiner Fälle: Ein kleiner Schurke sitzt, an die großen Schurken kommt er nicht heran. Donna Leon schreibt exzellente Krimis mit einer zum Schneiden dichten Stimmung, ihre Fans - zu denen der Rezensent gehört - lassen keinen aus. Nie ist bei ihr am Ende damit, daß ein Schuldiger, oder mehrere, zur Strecke gebracht sind, die Welt wieder in Ordnung. Daß sie dies eben nicht ist, daß in den Brunetti-Romanen niemals im tiefen archaischen Sinne die durch Unrecht aus dem Gleichgewicht gebrachte Welt Krimi-klassisch wieder ins Lot kommt, macht den Kern ihres von Roman zu Roman konsequent verfolgten Konzepts aus. Und den Realismus der in Venedig lebenden Amerikanerin. Jedesmal wird eine verbotene Tür geöffnet, fällt Licht in die Netzwerke des Verbrechens, geht die Tür sofort wieder zu.

Diesmal wird dieses Konzept bis zur letzten Konsequenz weitergetrieben: Nicht einmal eine Tür wird geöffnet, kein Licht fällt in irgendwelche Netzwerke. Der Leser erfährt, daß es sich "Opera Pia, gegründet 1918 von Don Paolo Echeveste, einem Priester, der sich auf adlige Abkunft berief", zur Aufgabe gemacht hat, in der säkularen Welt "der katholischen Kirche wieder mehr Einfluß zu verschaffen". Brunetti wird klar, daß auch sein Chef Patta dazugehört. Aber keine Hintermänner eines Verbrechens bleiben verschont, denn es gibt offenbar keine.

Eine Bigotte aus den besten Kreisen will im religiösen Wahn eine aus ihrem Orden ausgetretene geistliche Schwester ... nein, wir verraten es nicht. Vom Verdacht der ausgetretenen geistlichen Schwester, in dem Pflegeheim, in dem sie arbeitete, könnten reihenweise alte Patienten um die Ecke gebracht werden wie weiland in Lainz, erhärtet Brunetti nur ... nein, der Rezensent schweigt. Brunetti sorgt auch dafür, daß ein Schurke im Priestergewand, der auf kleine Mädchen scharf ist und es sich bisher noch bei jeder Strafversetzung richten konnte ... Das Schicksal, das ihn unter heftigem Zutun Brunettis ereilt, ist geradezu mit abgefeimter Bosheit durchdacht, nur zu gern ließen wir uns diese Pointe auf der Tastatur zergehen, aber es darf nicht sein. Krimi-Rezensionen dürfen nicht die Spannung erschlagen.

Aber der Vorwurf der Autorin an die Adresse der Kirche trifft leider ins Schwarze: Ohne Brunettis von persönlicher Betroffenheit motivierte Aktionen käme der Priester gewiß auch diesmal ziemlich ungeschoren davon.

Hingegen kommt das Opus Dei, pardon, Opera Pia, im Trubel der Handlung genau dorthin, wo es sowieso ist - nämlich ins Gerede. Wo Kommissar Brunetti Opera Pia direkt tangieren könnte, wird die Geschichte seltsam unentschlossen. Man könnte fast meinen, Donna Leon habe es geradezu mit peinlicher Sorgfalt vermieden, "die Organisation" selbst anzupatzen, was genau den Eindruck erweckt, den auch Commissario Brunetti bei der Lektüre der Bücher über "Opera" gewinnt, "viel Eifer und wenig Substanz". Damit mag sie viele enttäuschen und einige erfreuen. Wahrscheinlich entspricht es dem faßbaren und im Streitfall haltbaren Ergebnis ihrer Recherchen. Was aber freilich nicht bedeutet, daß die Vermutungen über die Macht des Opus, und den Gebrauch, den es von ihr macht, übertrieben sind.

Das alles tut der Wirkung von Commissario Brunettis neuem, sechstem Fall kaum Abbruch. Er tappt diesmal halt milieubedingt in einem besonders zähen Nebel. Wie Donna Leon die Bigotterie, die Sammelleidenschaften und einige andere Verrücktheiten der Venezianischen Oberschicht zeichnet, das ist zwar nicht unbedingt freundlich, aber zum Teil schon sehr komisch und wohl auch nicht allzu weit von der Wirklichkeit entfernt.

Wie alle ihre Romane, entspricht auch "Sanft entschlafen" dem Lebensgefühl des zu Ende gehenden Jahrhunderts, das von einem bestürzenden Nebeneinander von klarer Einsicht in die Verhältnisse bei ebenso klarer Einsicht in die Ohnmacht des einzelnen und in die Unmöglichkeit, diese Vereinzelung zu durchbrechen, gekennzeichnet ist. Commissario Brunetti ist ein tragischer Held, ein Sisyphos der Gerechtigkeit - er versucht den Schweinereien der Großen unermüdlich beizukommen, wenn er dabei auch immer wieder abprallt. Aber er resigniert nicht.

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