Buch der Woche: Die Fremde ist hier keine Chance

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Ein nur zum Teil geglückter Versuch über die Situation eines exilierten Schriftstellers. zschildern.

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Ein nur zum Teil geglückter Versuch über die Situation eines exilierten Schriftstellers. zschildern.

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Der Krieg hat nicht nur Existenzen, sondern auch Identitäten zerstört. Was ist ein Schriftsteller ohne Erinnerung? Wohlmeinend hat im Roman "Tagelanger Schneefall" die Universität den Schriftsteller eingeladen, damit er zum Schreiben komme und sich nicht erinnern müsse. Aber unser Schriftsteller weiß nicht einmal mehr, woran er sich nicht erinnern soll.

Der Zerfall Jugoslawiens, Krieg und Morden sind in David Albaharis Roman so fern und entrückt wie der Ankunftflughafen des Schriftstellers im Roman "Tagelanger Schneefall" in Kanada eben von den Ereignissen entfernt ist. Das Knie des Nachbarskindes und der reichlich vorhandene Orangensaft sind dem Vereinsamten näher als die Toten. Kann man von egozentrischer Wehleidigkeit sprechen? Ganz konnte der Rezensent dieses Gefühl beim Lesen nicht abstreifen. Die Schilderung dringt nicht zu jenem Punkt vor, wo es berührt und schmerzt.

Bleibt der Rückzug auf das unmittelbare Erleben, das Haus mit dem Kühlschrank und dem begehrten Orangensaft, der Hügel am Ende der Stadt. Die Fremde erscheint ihm nur kurz als Chance. "Dieses selige Nichtwissen wird nicht von langer Dauer sein, dachte ich; bald wird jedes Ding seinen Namen haben; nichts wird man mehr nur als Gegenstand der Betrachtung ansehen können." Die Diskussionen der gelangweilten Studenten und die Ratschläge des Professors für Politikwissenschaft erfüllen ihn mit Haß, der an ihm hing "wie warme Kleidung". So ziemlich das einzige aktive Gefühl, zu dem er fähig ist.

Für den Leser also eine laue Sache, über der gelegentlich, blaß wie durch Hochnebel, Sprachbilder leuchten: "So gehen übrigens Gedanken zu Ende: mit einem Flügelschlag und dem Aufreißen des Himmels". Sie entschädigen nicht für die Langeweile. Wenig bleibt zurück, die nächtliche Ankunft in der fremden Stadt, der verzweifelte Versuch, die neue Umgebung zu begreifen. Die Gerüche, Stimmen und Lichter entbehren für den Schriftsteller jedes exotischen Reizes, soll dies doch seine neue Heimat werden. Und da ist noch die Szene, in der er sein Zimmer mit historischen Landkarten der ehemaligen Heimat tapeziert und die Grenzen mit einem Filzstift markiert: Landkarten als Friedhof toter Historie. "Lebendig ist nur die Erzählung."

Das Ende wirkt etwas beliebig. Der Schriftsteller folgt einem Schneehasen und erfriert. "Später hörte es auf zu schneien, und am Himmel erschien ordnungsgemäß der Mond."

Tagelanger Schneefall Roman von David Albahari. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Zsolnay Verlag, Wien 1997, 155 Seiten, geb. öS 248,

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