Buddhistischer Lunch, shintoistisches Dinner

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Die japanische Bankensanierung funktioniert auf der Basis japanischer Hausfrauenlogik.

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Im amerikanisierten Japan sehen viele Beobachter ein weiteres Beispiel für den Verlust eigener Kultur angesichts der unwiderstehlichen Kraft der amerikanischen Lebensweise. In ihren "36 Ansichten von Japan" versucht Cathy Davidson, ein Verständnis dieser Kultur in ihrem gegenwärtigen Zustand zu vermitteln. Seit ihrer Jugend war sie von Japan fasziniert. Schließlich gelang es ihr und ihrem Mann, mehrere Jahre lang als Gastprofessoren für Englisch in Japan zu arbeiten. Bei der Ankunft erlitt sie angesichts der Amerikanisierung und des Häßlichwerden Japans eine Art Kulturschock. Langsam begann sie Japan zu begreifen, etwa die Fähigkeit der Japaner, gleichzeitig verschiedenen Religionen anzugehören. Auch die scheinbar blinde Übernahme westlicher Moden läuft auf diesem Geleise. Der mentale Sockel, die japanische Mischung von weltlichem Konfuzianismus und geistlichem Shintoismus, bleibt davon unberührt. Da beiden das westliche Prinzip der Exklusivität fremd ist, erzeugt das Hin- und Herspringen, etwa mit strikt buddhistisch-vegetarischer Kost zu Mittag und shintoistischer Fleischmahlzeit am Abend, keine Konflikte.

In Japan wirkt noch das jahrhundertelange Abschotten vom Ausland nach, der Fremde wird als unverständliches Wesen betrachtet. Für sie selbst unmerklich begann sich die Amerikanerin auf japanische Gestik umzustellen, japanische Denkgewohnheiten anzunehmen und fiel kaum noch als Ausländerin auf. Richtig bewußt wurde sie sich dessen aber erst bei der Rückkehr in die USA.

Den Zugang zur japanischen Mentalität fand sie bei der Arbeit mit ihren Studentinnen. So erhielt sie kaum ein Echo auf die Aufforderung, ein amerikanisches Gedicht zu diskutieren, wie sie es zuhause gewohnt war. Denn "der Nagel, der hervorsteht, wird reingeschlagen", es stand "die grundlegende japanische Vorstellung dagegen, daß man sich vor Gleichgestellten nicht in den Vordergrund spielen soll". Sie mobilisierte das japanische Gruppengefühl: "Ich teilte meine Gruppen in Reihen und bat jede Reihe, eine Sprecherin zu wählen". Ermuntert, frei zu sprechen, wurde das zögernde Geflüster zu einer aufgeregten Diskussion. Die Sprecherinnen referierten schließlich das Ergebnis: "Selten bin ich einsichtigeren Antworten zur Dichtung begegnet".

Weniger rational ausgerichtet, sind die Japaner gewohnt, ihre Umgebung intuitiv zu erfassen. Bei Europäern handelt es sich dabei um ein persönliches Talent, das man für sich selbst ausnützt. Beziehungen in Japan sind auf gegenseitiges intuitives Verstehen aufgebaut. In Unternehmen gibt der Chef nie einen Befehl. Er läßt - von der Körpersprache bis zum Nebensatz - spüren, was wünschenswert wäre. Das Kollektiv diskutiert das Problem und macht Vorschläge, die er so gut wie immer akzeptiert. Ein direkter Befehl kommt in diesem System einem Mißtrauensvotum gleich. Davidson genießt immer wieder die Stille des wortlosen Verstehens mit japanischen Freunden. "Wortlose Kommunikation von Herz zu Herz: es gibt nichts Vergleichbares." Doch dieser Vorhang aus indirekter Sprache, diese Kultur und Tradition können in Krisen mächtige Gefängniswärter sein, wenn es unmöglich ist, sich auszusprechen, stellt sie anläßlich familiärer Krisen ihrer Freunde fest.

Die Japaner arbeiten sehr hart. Normalerweise kommt der Mann nach zwei Stunden Fahrt spät abends nach Hause, morgens geht es um sechs wieder auf die Reise in den Betrieb. "Eisenbahnbeziehung" spotten die Japaner. Doch dieses harte Arbeiten sei eine Erwerbung der Neuzeit, um konkurrenzfähig zu werden.

Japan hat eine strikt patriarchalische Gesetzgebung mit allen Vorteilen für den Mann. Trotzdem läßt sich die Lage der Frau nicht mit westlichen Kriterien beschreiben. Das gesamte Familieneinkommen geht in die Verwaltung der Frau über und der Mann muß um jeden Yen Taschengeld kämpfen. Viele japanische Firmen überweisen den Lohn des Mannes direkt auf das Konto seiner Frau. Eine Nachbarin der Amerikanerin kaufte ein neues Haus, von dem ihr Mann nicht einmal wußte, wo es lag. Am Tag des Umzugs gab sie ihm einen Plan mit, damit er vom Büro heimfand. Die einzige Möglichkeit, frei Geld auszugeben, finden viele Männer im Betrieb. Er fördert die Beziehungen der Betriebsangehörigen mit firmeneigenen Bars, in denen die Mitarbeiter "die Beziehungen festigen sollen, dank derer die Geschäfte laufen". Dort kann der Einzelne saufen, niemand ist ihm böse, auch das Saufen gehört zur japanischen Kultur. Die Rechnung wird direkt vom Gehalt abgezogen.

Die US-Meinung über Japan, so Cathy Davidson, schwanke zwischen Bewunderung und Kritik hin und her. Bald warnt man Japan vor dem drohenden Absturz, bald macht man ihm den Vorwurf, Amerika aufzukaufen. Man erfährt, wieso die Amerikaner mit ihrem Drängen danebenliegen, Japan möge doch endlich ein vernünftiges, also amerikanisches Finanzsystem aufbauen. Der japanische Geldsektor handelt intern offenbar nach einer anderen Logik. Japans Frauen sorgen vor allem dafür, daß keine Schulden gemacht werden und für eine solide Vorsorge für die Zukunft. So kommt es, daß Japan zwar Reserven von 900 Milliarden Dollar in amerikanischen Schatzscheinen hält, gegenüber drei Billionen Staatsschulden der USA, der einzelne Japaner jedoch vergleichsweise arm ist. Auch gehobene Manager verdienen weit weniger als ihre Kollegen im Westen. Es widerspricht der japanischen Moral, zu weit vom Durchschnittsverdienst abzuweichen.

Ende 1998 schienen endlich die Prophezeiungen einzutreffen, Japan saß in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf vier Prozent, Großbanken standen vor dem Bankrott. Immer noch wollten die Japaner nicht hören. Ihrer Weltsicht entsprechend sicherten sie weiter ihren Bauern hohe Preise, starteten immer noch keinen Bauboom, um Japan zu verhütteln und folgten keinem der Ratschläge, die sie vor dem Abgrund bewahren sollten.

Dieser Tage endete die Krise mit einem sanierten Bankensektor und der Gründung der größten und kapitalstärksten Bank der Welt. Sieht man sich die Zahlen genauer an, entdeckt man, daß sich die Kosten der Gesamtsanierung, rund 40 Milliarden Dollar, grob gerechnet mit den jährlichen Nettoerträgen von 5,5 Prozent aus den amerikanischen Schatzscheinen decken, abgerechnet die Kosten der eigenen Schatzscheine in Höhe von umgerechnet rund 200 Milliarden Dollar, für die der japanische Staat nur ein Prozent zahlt. Japanische Frauenlogik auf Staatsebene.

Nicht zuletzt darin besteht der Reiz von Davidsons Buch: Über ihre intime Entdeckungsreise gelangt der Leser zum Verständnis vieler Facetten einer Kultur, deren Oberfläche zu durchdringen dem normalen Reporter so gut wie nie gelingt.

36 Ansichten Von Japan. Begegnungen mit dem Fernen Osten Von Cathy N. Davidson. Knesebeck Verlag, München 1998. 336 Seiten, geb., öS 321,- /e 23,32

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