"Bürger sind großzügiger als so MANCHE POLITIKER"

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Warum funktioniert die Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge so schlecht? Und wie könnte es künftig besser gemacht werden? Es diskutieren die Integrationssprecher von ÖVP, SPÖ und Team Stronach.

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Warum funktioniert die Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge so schlecht? Und wie könnte es künftig besser gemacht werden? Es diskutieren die Integrationssprecher von ÖVP, SPÖ und Team Stronach.

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Wie umgehen mit der steigenden Zahl an Asylwerbern? Fast täglich gibt es dazu neue Beschlüsse. Doch welche Maßnahmen sind humanitär sinnvoll und gleichzeitig machbar? Darüber haben Nurten Yilmaz, Johann Rädler und Rouven Ertlschweiger debattiert.

DIE FURCHE: Es kommen nun in Etappen sieben Verteilerzentren in den Bundesländern, wo jeweils 100 oder 150 Asylwerber untergebracht werden sollen. Das völlig überfüllte Erstaufnahmezentrum Traiskirchen bleibt aber erste Anlaufstelle für Flüchtlinge in Niederösterreich. Eine holprige Lösung? Nurten Yilmaz: Dass gesamtgesellschaftlich und im gesamten Bundesgebiet Verantwortung übernommen wird, scheint mir logisch. Und wir ersparen uns damit Zeit und Kilometer. Ich hoffe, dass Traiskirchen entlastet wird, dort sind ja fast 4000 Menschen. Johann Rädler: Mit den Verteilerzentren kommt eine raschere Abwicklung im Bereich der Grundversorgung. Wobei man von Entlastung nicht wirklich sprechen kann: Wir haben es mit einem unabsehbaren Zustrom zu tun. Das sind alles innerstaatliche Maßnahmen, es wären aber Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich.

Rouven Ertlschweiger: Mit den Verteilerzentren werden die Leute in den Bundesländern für das Thema sensibilisiert. Wir haben ja jetzt pro Tag schon 350 Asylanträge, da war es nur der logische nächste Schritt, auf die Bundesländer aufzuteilen. In einem Massenlager wie Traiskirchen mit zigtausend Leuten kann es nicht gut funktionieren. DIE FURCHE: Meinen Sie, dass mit dem neuen System wirklich für eine solidarische und gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge gesorgt ist, wie es in einer Aussendung des Innenministeriums heißt?

Ertlschweiger: Ich würde mir wünschen, dass alle Bundesländer ihre Quote erfüllen und dazu beitragen, dass die Menschen entsprechend untergebracht werden können. Ich halte es als Österreicher und Parlamentarier für unwürdig, dass man in so einem entwickelten Staat Asylwerber in Zeltstädten unterbringen muss. Da gibt es verschiedenste andere Möglichkeiten. Aber die Dimension, die die Flüchtlingsproblematik erreicht hat, war nicht absehbar.

DIE FURCHE: Was halten Sie von der Bezirksquote, die von den Ländern abgelehnt wurde?

Yilmaz: Viel. Es ist der Wunsch aller konstruktiven Beteiligten, kleinere Einheiten zu schaffen. Das ist für die Bevölkerung und die Kriegsflüchtlinge angenehmer als in großen Aufnahmezentren. So können sie eher in das tägliche Leben integriert werden, statt dass sie in den Aufnahmezentren wieder unter sich sind und nichts weitergeht.

Rädler: Man muss die Gemeinden schon einbinden. Denn dort ist die beste Betreuung für die Ankommenden möglich, weil sie nicht so anonym sind, sondern die Pfarren und Familien sich wirklich kümmern können. Wenn die Gemeinden bereit wären, einen gewissen Prozentsatz unterzubringen, hätten wir kein Problem.

Yilmaz: Wenn wir eine Bezirksquote hätten, bin ich überzeugt, dass das funktionieren würde. Natürlich sollten die Bürgermeister eingebunden werden, aber wenn wir nur auf Freiwilligkeit setzen, schaut es in einigen Gegenden dürftig aus.

Ertlschweiger: Ich lebe in der burgenländischen 3000-Einwohner-Gemeinde Pöttsching. Wenn man dort Flüchtlinge im Ausmaß von einem Prozent der Bevölkerung aufnehmen würde, wären das 30 Leute. Es gibt in jeder Gemeinde Familien, die sagen: "Okay, kein Problem, wir sind bereit zu helfen!" Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Asylwerber Arbeiten in der Gemeinde verrichten dürfen: Ob das Rasenmähen ist, im Freibad arbeiten oder Friedhofspflege.

DIE FURCHE: Wir sind uns einig, dass Traiskirchen entlastet gehört, die Zeltstädte abgebaut gehören. Was wäre eine sinnvolle Alternative?

Rädler: Mit den Verteilerzentren hat man die Bundesländer soweit, dass dort das Verständnis für Flüchtlinge wächst. Aber in Traiskirchen fährt der Bürgermeister eine sehr populistische Schiene. Diese Märsche nach Wien! Die Innenministerin tut eh alles.

Yilmaz: Babler hat keine andere Wahl mehr. Er ist total verzweifelt. Mit Leise-sein geht nichts mehr.Babler pocht ja nur darauf, dass die 15a-Verträge zwischen Bund und Ländern eingehalten werden. Er war ja auch sehr lange still, bis er gesehen hat, dass die Kinder und Jugendlichen immer mehr werden, das Lager immer überfüllter wird, die Leute im Freien am Boden schlafen, usw.

Rädler: Das sieht ja eh das Ministerium auch. Dafür brauche ich keinen Bürgermeister.

Yilmaz: Aber dieser Zustand hält seit Monaten unverändert an.

Ertlschweiger: Entscheidend wird auch sein, dass man das Bild von Österreich zurechtrückt, dass bei uns auch nicht Milch und Honig fließen. Wir haben 400.000 Arbeitslose. Da sollte die EU in den Herkunftsländern der Wirtschaftsflüchtlinge ansetzen. DIE FURCHE: Am 20. Juli ist eine Beschleunigung der Asylverfahren in Kraft getreten. Flüchtlings-NGOs kritisieren die Zehn-Tages- Frist für das Schnellverfahren und eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden als "untragbare Unterminierung rechtsstaatlicher Standards".

Yilmaz: Ich stehe dieser Novelle auch kritisch gegenüber. Wenn eine Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat, kann es sein, dass sich die Bedenken der NGOs bewahrheiten. Die Wahrheit ist, dass wir in erster Linie verfolgte Menschen aufnehmen können. Wirtschaftsflüchtlinge aus Albanien fallen da nicht hinein. Wir müssen schauen, dass es diese Wirtschaftsflüchtlinge innerhalb Europas nicht gibt.

Ertlschweiger: Die wird es aber geben. Wir brauchen eine solidarische Quote in Europa. Zurzeit stemmen letztlich zehn von 28 Ländern die Last. Wir müssen uns dem Phänomen mit nachhaltigen Strategien stellen, denn Afrika ist auf dem Weg, und Europa kann sich nicht durch Zäune abschotten.

DIE FURCHE: Unlängst wurden alle neu hereinkommenden Asylverfahren gestoppt, wenige Wochen später soll es Schnellverfahren geben. Mikl-Leitner macht einen willkürlichen und überforderten Eindruck.

Yilmaz: Wer wäre nicht überfordert? Ganz Europa ist überfordert. Der Asyl-Gipfel ist leider gesprengt worden. Die Länder sind aufgestanden. Man hört Gerüchte, dass die ÖVP-Bundesländer das Gefühl hatten, "ihre" Innenministerin würde vorgeführt werden. So habe ich es gar nicht empfunden.

Ertlschweiger: Im Moment wird das Floriani-Prinzip gelebt in Österreich: Jeder sagt: "Ja, natürlich müssen wir helfen." Aber sobald es die eigene Gemeinde betrifft, sagt jeder: "Aber ich will das nicht."

DIE FURCHE: Herr Rädler, Ihre Gemeinde Bad Erlach stellt nun Privatquartiere für 50 Personen zur Verfügung.

Rädler: Ich habe einen Aufruf an die Bevölkerung getätigt, und es haben sich Freiwillige gemeldet, die leer stehende Unterkünfte oder Hausrat, Geschirr, Bettwäsche zur Verfügung stellen. Wie immer hat sich die FPÖ gewunden wie eine Schlange. Wir haben 3000 Einwohner und 50 sind halt auf Facebook unterwegs und sagen, der Bürgermeister spinnt. In den Wirtshäusern beten manche vor, was sie in der Kronen Zeitung lesen. Ich habe nicht geglaubt, welch braunes Potenzial in Österreich noch vorhanden ist! Wir werden aber alles probieren, der Pfarrer hat mir schriftlich seine Unterstützung zugesichert, der Gemeindearzt hat gesagt, er macht die Betreuung kostenlos.

Yilmaz: Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken. Wenn von vornherein der Bürgermeister oder Landeshauptmann sagt: "Zu mir kommt keiner", wird man schwer Freiwillige finden. Ich glaube, dass die Österreicherinnen und Österreicher viel, viel großzügiger sind als so manche ihrer Politiker.

DIE FURCHE: In Oberösterreich verspüren ÖVP und SPÖ wegen der bevorstehenden Landtagswahlen Druck bezüglich der Aufnahmeproblematik. ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer bemüht den Stehsatz, man müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen. So bietet man den Wechselwählern doch auch kein Gegenangebot zur FPÖ.

Yilmaz: Man muss erklären, nicht zündeln und auch nicht zaudern. Es gibt super Integrations-Projekte, und die Leute sind trotzdem dagegen - aber nach dem Projekt sind sie dann plötzlich froh darüber.

Rädler: Man kann als Politiker nicht dem reinen Populismus nachhecheln, aber das tun leider viele Bürgermeister aller Parteien, die sich nicht trauen, die ihre humanitäre Aufgabe vergessen. Als Bürgermeister muss ich immer zehn, 20 Jahre vorausschauen und die Menschen mitnehmen - auch mitnehmen zum Nachdenken.

Ertlschweiger: Es gibt kein Patentrezept, wo SPÖ oder ÖVP die Schublade aufmachen und sagen: "Okay, wir haben täglich 350 Asylanträge, das lösen wir so." Wir sind alle gefordert. Und wir wären als Politiker gut beraten, den Leuten die Vorurteile zu nehmen. DIE FURCHE: Es gibt auch sehr solidarische Vorzeigegemeinden. Wie kann man so eine positive Dynamik fördern?

Rädler: Es geht nicht darum, die Leute zu verstehen, wie Pühringer sagt, sondern darum, sie drauf aufmerksam zu machen, auf welches Elend wir hinsteuern, wenn wir nichts unternehmen. Die Lösung kann nur lauten: Mehr Verständnis und mehr Toleranz. Und wir müssen jetzt im Kleinen anfangen. Wichtig ist, den Leuten durch Zusammenführungen bei Pfarrfesten oder Heurigen die Ängste zu nehmen.

Yilmaz: Die FPÖ ist ja auch deshalb gegen die Unterbringung in kleinen Einheiten, weil die Flüchtlinge Freunde finden, die sie dann nicht mehr weglassen wollen, wenn sie abgeschoben werden sollen, wie es bei der ÖVP-Bürgermeisterin in Vorarlberg der Fall war, wo sich 150 Leite für die 20 Flüchtlinge stark gemacht haben -und die Frau wird keine Wahlen verlieren.

DIE FURCHE: Heuer werden laut Innenministerium 70.000 Asylanträge erwartet, aber nur etwa 30.000 positiv beantwortet. Wie viele Flüchtlinge verkraftet Österreich?

Yilmaz: Vergleichen wir doch mit der letzten Flüchtlingswelle, dann sind es noch immer 60.000 weniger! Viele ziehen auch weiter.

Rädler: Die Flüchtlinge machen jetzt 0,4 Prozent der Bevölkerung im Land aus. Die Frage muss lauten: Wie bringe ich die Bevölkerung dort hin, dass sie anerkennt, dass Kriegsflüchtlinge aufgenommen werden? Wir hatten 180.000 Flüchtlinge 1956 während der Ungarn-Krise und 160.000 während der Tschechien-Krise 1968,90.000 während der Bosnien-Krise. Es war nicht so ein Thema wie heute, weil eine Partei gefehlt hat.

Yilmaz: Und 1956 war Österreich nicht so reich wie heute. Aber wenn die FPÖ jahrzehntelang wissentlich mit den Ängsten spielt ... Die versuchen ja zu suggerieren, sie würden alle Flüchtlinge aufhalten. Das können sie gar nicht. Ein sehr unfaires Spiel.

Ertlschweiger: Entscheidend wird sein, eine Gesamtlösung zu finden. Österreich kann nicht jeden retten, wir sind selbst nur ein kleines Boot. Auch wenn es uns noch sehr gut geht im Vergleich zu anderen.

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