Bürgerkrieg gegen die Schwächeren

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Der Extremismus der Wohlversorgten: Ein Fremder ist in Österreich, wer kein Geld hat - und sei er auch von hier.

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Der Extremismus der Wohlversorgten: Ein Fremder ist in Österreich, wer kein Geld hat - und sei er auch von hier.

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Österreich ist ein reiches Land. Natürlich gibt es auch hier Leute, die ausweglos in der Armut festsitzen: Arbeitslose, ledige Mütter, kinderreiche Familien, Mindestrentner. Aber nicht sie waren es, die bei der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 die FPÖ zur zweitstärksten Partei gemacht haben, nicht sie, die ein berechtigtes Interesse daran haben, daß sich an ihrer soziale Lage und der politischen Situation etwas ändere. Nein, nicht die Benachteiligten haben die FPÖ gewählt, sondern die gutverdienenden Bestien des Anstands, denen ihr eigener Vorteil alles ist; nicht die Armen, sondern jene, die über dem Anblick von Armen, Schwachen, Strauchelnden in Wut geraten: Ihr Haß gilt jedem, der ihren Wohlstand zu gefährden scheint oder sie durch seine bloße Existenz daran erinnert, daß auch sie selber stürzen könnten.

Nach 30 Jahren sozialdemokratischer Regierung, nach über 100 Jahren gewerkschaftlicher Mitbestimmung ist der Zusammenhang zwischen sozialem Wohlstand und politischer Verwahrlosung in Österreich allenthalben offenkundig.

Ausgerechnet in weltberühmten Fremdenverkehrsorten hat die Freiheitliche Partei triumphal gesiegt. In Pörtschach am Wörthersee erreichte sie glatte 50 Prozent der Stimmen, aber auch in Kitzbühel waren die Einwohner entschlossen, sich über die ökonomischen Grundlagen ihrer eigenen Existenz bedenkenlos hinwegzulügen, und wählten zu 35 Prozent FPÖ. Dort, wo ohne ausländische Arbeitnehmer, die in den Hotels putzen, gar nichts mehr ginge, und ohne die ausländischen Gäste, die alljährlich Millionen dalassen, niemals dieser Wohlstand zustande gekommen wäre, ausgerechnet dort setzte sich eine Partei durch, die ihre Fremdenfeindlichkeit im Wahlkampf gar nicht verbarg, sondern stolz plakatierte.

Drastisch erwies sich die politische Verwahrlosung im schmucken Westen Österreichs, in den am Tourismus reich gewordenen und mit Parolen gegen die Ausländer von der FPÖ eroberten Bundesländern Salzburg, Tirol, Vorarlberg. Gutverdienende Angestellte mit weltläufigem Habitus möchten am liebsten den Polizeistaat wieder einführen, nur damit ihnen beim Shopping die gute Laune nicht durch den Anblick von Obdachlosen, Punkern und sonstigem Gesindel gestört wird; voll im Fitness-Kampfanzug adjustierte Proletarier von gestern geifern über die "Sozialschmarotzer", zu denen mancher ihrer früheren Kollegen abgesunken ist; und ihre feschen Kinder tanzen sich in der Disco zu Gypsy-Kings in Trance und ärgern sich darüber, daß schon wieder so viele Zigeuner in den Kaufhauspassagen musizieren und betteln.

Diese soziale Wohlstands-Verwahrlosung hat es in Österreich schon lange gegeben. Bisher war sie aber von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften zuverlässig sowohl gefördert, als auch am tretenden Exzess gehindert worden. Damit die österreichischen Arbeitnehmer jedes Jahr für eine halbe Stunde weniger Arbeit ein bißchen mehr verdienten, haben sie sich nie aus ihrer Vereinzelung herausbequemen und mit Beschäftigten aus anderen Betrieben, Branchen, Regionen solidarisieren müssen. Was sie zurecht erreichten, ist für sie, aber ohne ihr Zutun als Ergebnis geheimer Absprachen erreicht worden: So hat das spezifisch österreichische System der "Sozialpartnerschaft", das dafür sorgte, daß der soziale Frieden erhalten blieb, zugleich dazu beigetragen, daß eine Bevölkerung, der es materiell immer besser ging, immer weiter in ihrem millionenfachen Egoismus verrohte.

Jetzt endlich zählt Österreich zu den reichsten Ländern der Welt - und was regiert, ist der Haß. Nicht indem sie sich zivilisierte, sondern entschieden barbarisierte, ist die Freiheitliche Partei über sich selbst hinausgewachsen - und weit in die österreichische Gesellschaft hineingewachsen. Daß die FPÖ siegt, weil sie ihre eigene Klientel immer weiter barbarisiert, ist bedeutsam, wenn man Österreich verstehen will. Die Alleanza nazionale ist in Italien beispielsweise erst zu Einfluß gekommen, als es ihrem Führer Gianfranco Fini gelang, seine eigene politische Klientel zu zivilisieren. Seine Wähler hat es mit all ihren Zwangsvorstellungen in der italienischen Gesellschaft schon gegeben, bevor er antrat, sie zu mobilisieren, aber erst als Fini ihnen die krudesten Ideen auszureden wußte, wurden sie zur nennenswerten politischen Kraft. Genau umgekehrt führte Umberto Bossi seine Lega Nord zum Erfolg, indem er seine Klientel aus wohlanständigen Gewerbetreibenden und Kleinbürgern konsequent barbarisierte. Während Fini eine extremistische Rechte, die es schon vor ihm gegeben hat, ein wenig zur Mitte führte, hat Bossi seine mittelständische Meute, die vordem gut versteckt in den verschiedensten Parteien ihre Unzufriedenheit nährte, bedenkenlos in den rechten Extremismus geführt. Jörg Haider ähnelt hierin zweifellos eher Bossi als Fini. Daß die FPÖ heute so erfolgreich ist, hängt kaum mehr mit der alten Rechten zusammen. Nein, viel wichtiger ist, daß sie sich aus einer Gesellschaft, in der der soziale Darwinismus das alltägliche Leben von Hunderttausenden bestimmt, immer mehr Leute greift und ihren eigenen Zielen dienstbar macht. Oft wurde nach dem 3. Oktober begütigend gesagt, die meisten Wähler hätten die FPÖ ja nicht wegen, sondern trotz ihres rassistischen Wahlkampfes gewählt. Ich bin hingegen überzeugt, daß viele Wähler politisch nur etwas nachgeholt haben, was sie sozial längst vollzogen hatten; der Darwinismus hat das soziale Leben in den letzten zehn, 15 Jahren in einem Maße zersetzt, daß nun auch in Österreich die offene Feindseligkeit, der alltägliche kleine Bürgerkrieg gegen die Schwächeren an der Tagesordnung steht.

Das kann nur geschehen, wenn die politische Verwahrlosung inmitten des sozialen Wohlstands sich nicht mehr verbergen zu müssen glaubt. Wie sich die Bosse der Wirtschaft kein soziales Blatt mehr vor den Mund nehmen, wenn sie von ihren Zielen sprechen und den Politikern unverhohlen drohen, so braucht auch sonst niemand mehr zu vertuschen, welche sozialpolitische Verrohung er im Sinne führt. Verstört fragen sich die politischen Kommentatoren, wie es nur möglich sei, daß ausgerechnet in einem ökonomisch so gefestigten Land wie Österreich eine rechtsradikale Partei triumphieren konnte. Wer sich darüber wundert, hat noch den überkommenen Rechtsradikalismus mit seinem straßenbeherrschenden Mob vor Augen. Doch gibt es in Europa längst einen Extremismus der wohlanständigen und wohlversorgten Leute, deren neuer, vorwiegend ökonomisch geformter Rassismus alte Strukturen durchaus zerschlagen möchte.

Der rücksichtslose Egoismus, wie ihn in Italien die Lega Nord mit folkloristischem Brimborium als ihre Art von Heimatliebe inszeniert, hat auch anderswo allerhand Traditionen. Natürlich ist einem Land, das vom Tourismus lebt, der alte, in Mythen des Blutes brodelnde Rassismus nicht mehr angemessen; es gibt ihn zwar immer noch, und er schießt in den Reden mancher Politiker und am Stammtisch auch immer wieder hoch, gewissermaßen unbeabsichtigt, ohne Vorsatz, einfach weil er drinnen ist und bei politischem Überdruck oder psychischem Streß nach draußen drängt. Aber dieser alte, im gesellschaftlichen Urschlamm wesende Rassismus ist nicht mehr der einzige im Europa der Union, im Österreich des Wohlstands, und nicht von ihm, so abstoßend er ist, droht heute die größte Gefahr. Vielmehr wird im Norditalien der Lega Nord und im Süden Frankreichs, im Westen Österreichs, in Bayern und in der Schweiz, überall in den reichen Regionen des Alpenraumes ein neues Rassemerkmal zur Unterscheidung der Menschen in gute und schlechte gebraucht: das Rassemerkmal des Geldes. Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, der wird zum Fremden und wäre er auch von hier.

Diese alltägliche Unterscheidung prägt nicht nur die Wählerschaft extremistischer Splitterparteien, sondern längst weite Schichten der Gesellschaft, die zugleich weltoffen und xenophob, modern und reaktionär sind. Die smarten Ausländerfeinde von Pörtschach und Kitzbühel, die sich ihren lifestyle von niemanden gefährden lassen möchten, sind ja keine Rassisten nach alter Art, die noch von der hehren Volksgemeinschaft der Teutschösterreicher oder der Überlegenheit der weißen Rasse schwärmen. Auf der immerwährenden Modeschau ist ihnen die multiethnische Truppe der Models durchaus lieb, und als zahlende Gäste sind ihnen die Gelben aus Japan so willkommen wie die Grünen aus Deutschland. So nationalistisch sie sich gibt, hat auch die FPÖ nie etwas gegen Ausländer gehabt, die dankbar putzen, was sonst niemand mehr zu putzen willens ist, oder folgsam für alles blechen: für das schöne Wetter, die gute Aussicht, die unfreundliche Bedienung. Hingegen mobilisiert sie die Aversion gegen eine wachsende Anzahl von Inländern - wie etwa die sogenannten "Sozialschmarotzer" -, die vorsätzlich aus der eigenen Nation verstossen und zu Fremden im eigenen Land gemacht werden.

Ich erinnere mich, daß vor einigen Jahren dem Sänger Harry Belafonte nach einem umjubelten Konzert der Zutritt in eine Linzer Diskothek verweigert wurde, in der sich im übrigen durchaus seine eigenen Fans befunden haben könnten und womöglich seine eigene Musik gespielt wurde. Weil es kein Student aus Uganda, sondern der berühmte Sänger aus Amerika war, geriet der Fall, daß ein Mensch dunkler Hautfarbe vor der Tür eines Unterhaltungslokals abgewiesen wurde, rasch zum Skandal. Der zerknirschte Besitzer der Diskothek hat sich gegen den ihn kränkenden Vorwurf des Rassismus mit den bemerkenswerten Worten verteidigt, er hätte im Dunklen einfach nicht erkennen können, daß es sich bei dem "Neger" um Harry Belafonte gehandelte habe. Nie und nimmer würde er, in dessen Etablissement ja stundenlang die Musik schwarzer Komponisten, Sänger, Musiker abgespielt werde, einem Menschen seiner Hautfarbe wegen den Zutritt in sein Lokal verweigern. Nicht weil Belafonte ein Schwarzer, sondern weil der "Neger" in der medialen Öffentlichkeit zumeist als Flüchtling, als Asylsuchender, bestensfalls als finanzschwacher afrikanischer Student erscheint, war es zum Lokalverbot gekommen, das in diesem Falle als ein irrtümliches ja nachträglich auch sofort wiederrufen wurde. Hat der "Neger" Geld, ist er keiner mehr und sind ihm gegenüber rassistischen Vorurteile nicht mehr angebracht, sodaß er jener Menschenrechte teilhaftig wird, die nur dem Fremden abgesprochen werden. Insoferne hat der "Neger" keineswegs, wie dies die Filmemacherin und Autorin Ruth Beckermann in einem ansonsten bedenkenswerten Aufsatz meinte, die Nachfolge des "Juden" im österreichischen Rassismus angetreten. Denn der "Jude" wurde gerade mit den Attributen versehen, die dem "Neger" abgesprochen werden, galt jener doch für wohlhabend, mächtig, einflußreich, während sich die zahllosen, von der Obrigkeit zumeist gedeckten Übergriffe der Wiener Polizei gegen Afrikaner gerade dadurch erklären lassen, daß diese gemeinhin eben nicht für reich, mächtig und einflußreich, sondern für arm und wehrlos gehalten werden. Das wichtigste Attribut des Fremden aber ist heute die Armut, sonst wäre er kein Fremder mehr.

Wie es nicht ausreicht, aus der Fremde zu kommen, um ein Fremder zu sein, so ist auch niemand davor geschützt, selbst dort in den Status des Fremden zu stürzen, wo er geboren und aufgewachsen ist. Als 1995 vier Roma aus Oberwart, deren Familien schon seit Generationen in Österreich lebten, einem Bombenattentat zum Opfer fielen, hat ein wohlmeinender Österreicher sein Entsetzen über diese Tat in die rechtschaffenen Worte gefaßt, daß man doch in einem Kulturstaat nicht so mit Ausländern umgehen dürfe. Daß er die Roma in ihrem eigenen Inland als Ausländer empfand, hängt auch damit zusammen, daß die Roma irrigerweise für Fahrende gehalten werden, mehr aber noch damit, daß sie für Bettler und Sozialhilfeempfänger gelten: also für arm oder, wenn sie es doch zu einigem Wohlstand brachten, für kriminell, die folglich uns, die wir weder arm noch kriminell sein wollen, gänzlich fremd sind und Fremde bleiben, wie lange sie im übrigen auch unter uns leben mögen.

Raffgier als Religion Die Wahl vom Oktober letzten Jahres war auch ein Aufstand der Tüchtigen und Gesunden, die nur mehr die Nationalität der Tüchtigen und Gesunden anerkennen. Tatsächlich hat es die gutsituierte Verwahrlosung, die hochanständige Bestialität, den ökonomische Rassismus schon lange gegeben. Neu ist, daß sich das Rowdytum der tüchtigen Leute jetzt auch in Österreich parteipolitisch mobilisiert hat. Von der Lombardei, wo die Lega Nord herzlich grüßen läßt, über die Schweiz, wo ein Milliardär sich als Robin Hood der kleinen Leute geriert, bis nach Bayern, wo es der Ministerpräsident schon gar nicht mehr erwarten kann und dem Nachbarn ungefragt empfiehlt, Haider endlich in die Regierung zu nehmen, zeichnet sich da ein regionales Bündnis von Hightech und Stammtisch, Cyberspace und Hexenglaube, von Konsumgesellschaft und Polizeistaat ab. Was die verschiedenen Parteien, die diesem Bündnis zustreben, eint, ist der zähnefletschende Egoismus derer, die etwas erreicht haben und, mag darüber die ganze Welt in Scherben gehen, nichts davon wieder hergeben möchten. Machen wir uns aber keine Illusionen: diese Parteien haben weder die Raffgier noch den ökonomischen Rassismus erfunden, sie geben ihm nur eine politische Stoßrichtung und eine parlamentarische Fraktion. Und sie sprechen mit rabiaten Parolen etwas aus, was auf rabiate Weise längst wirtschaftliche Praxis, beruflicher Alltag und soziale Gepflogenheit geworden ist. Sie sind das rüde Echo einer Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten die Raffgier zur Religion gemacht hat und in der Sozialdemokraten, die ihre wirtschaftspolitische Kompetenz beweisen möchten, begeistert von Shareholder Value sprechen und Zeitungsyuppies gnadenlos fordern, endlich die faulen Leute von der sozialen Hängematte zu holen.

Dieser Beitrag ist eine vom Autor stark gekürzte Fassung eines Textes, der demnächst in dem Sammelband "Republik der Courage. Wider die Verhaiderung Österreichs" (Aufbau-Verlag Berlin) erscheinen wird.

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