Bunter Drogentrip in die Poesie

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Selim Özdogans irisierender Roman "DZ" erzählt flächendeckende Überwachungssysteme und zeigt, dass die Literatur auf Bewusstseinsreisen schickt, neue Perspektiven eröffnet, süchtig machen kann.

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Selim Özdogans irisierender Roman "DZ" erzählt flächendeckende Überwachungssysteme und zeigt, dass die Literatur auf Bewusstseinsreisen schickt, neue Perspektiven eröffnet, süchtig machen kann.

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Selim Özdogan ist kein Unbekannter im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Der 1971 geborene Autor debütierte 1995 mit dem Roman "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist". Seither wurde sein Werk durchaus wohlwollend aufgenommen, 1999 erhielt der Deutsche mit türkischen Wurzeln den Adelbert-von-Chamisso-Preis, der an Deutsch schreibende Schriftsteller nicht deutscher Muttersprache verliehen wird.

Mit seinem neuen Roman "DZ" hat Özdogan einen äußerst vielschichtigen Text vorgelegt. In einer unbestimmten Zukunft spielend erzählt "DZ" die Geschichte der zwei Brüder Damian und Ziggy, die abwechselnd als Ich-Erzähler auftreten. Damian ist in die DZ ausgewandert, ein Land in Südostasien, das Drogen legalisiert und zum Hauptwirtschaftszweig erhoben hat, wofür es vom Rest der einen rigiden Anti-Drogen-Kurs fahrenden Welt stigmatisiert wird. Als Diana, die Mutter der beiden, unheilbar erkrankt, versucht Ziggy, seinen jüngeren Bruder zu finden. Sein Trip durch diverse Drogen-Foren im Internet wird zur Ausbruchsphantasie aus seinem geregelten, systemkonformen Leben als Wissenschaftler und Familienvater. Mit Zoë, Damians aus Afrika stammenden Freundin, stimmt später noch eine dritte, spezifisch weibliche Stimme in den Chor der Erzähler ein.

Die Freiheit als Illusion

Die uns vertraute Welt ist zwar noch als solche kenntlich, wenn auch deutlich verfremdet. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind untergegangen, das öffentliche Klima in Europa ist geprägt von einer Atmosphäre der Angst und Unterdrückung. Bücher existieren nur nach als antiquarische Sammlerstücke, das Internet suggeriert Anonymität, wo es in Wahrheit als äußerst effizientes Instrument eines flächendeckenden Überwachungsapparates fungiert. Die Gegenüberstellung zweier Systeme birgt die Gefahr schematischer Schwarz-Weiß-Malerei. Die DZ wird aber keineswegs als positive Gegenutopie ins Feld geführt.

Freiheit ist auch hier nur eine Illusion, die ihre Verwirklichung in Abstraktionen finden kann, in der Sprache, in den Gedanken, aber niemals in politischen Systemen, deren Zwänge sich nur durch den Grad der Transparenz unterscheiden. "Ja, wir durften Drogen nehmen, ja, sie waren legal, ja, wir durften frei entscheiden." In Wahrheit verfügen drei große Pharmakonzerne über die Macht. Die Regeln des Marktes bestimmen das Leben in der DZ gleich wie im Rest der Welt: "Doch wir waren nicht freier. Keinen Deut."

Utopie und Kunstmärchen

"DZ" steckt voller Überraschungen und unerwarteter Wendungen. Die vielleicht stärkste Szene des Romans lässt ein kafkaesk anmutendes Grauen einbrechen, ein Grauen, das schon immer da, dem Leser aber nicht bewusst war. "DZ" beschreibt die Wunden, die einem das Leben zufügt, die verschiedenen Formen von Schmerz und die unterschiedlichen Arten, damit umzugehen. Drogen sind weder die Ursache allen Übels noch die Lösung. Konsequenterweise verweigert der in allen Farben schillernde Text (ein Lob an die Covergestaltung, in der das Wesen des Textes schön gespiegelt wird) die Zuordnung zu einem Genre: Der Roman changiert behände zwischen Utopie und Kunstmärchen, zwischen Familiengeschichte und Mythos, Thriller und Drama. Özdogan schert sich nicht um beschränkende Genregrenzen, und so kann der Leser sein intuitives Textsortenwissen schnell beiseitelegen und sich dem Sprachfluss anvertrauen. Özdogan ist ein versierter und stilsicherer Erzähler. Die Beschreibung von Drogentrips ist ein gewagtes Unterfangen, das Özdogan virtuos meistert, ohne dabei ins Schlingern zu kommen. Seine sprachlichen Bilder sind stimmig und tief. Da versteht einer sein Handwerk. Özdogan schafft das seltene Kunstwerk, Form und Inhalt so zu verbinden, dass sie sich gegenseitig befruchten.

Auch wenn bewusstseinsverändernde Substanzen ein zentrales Thema sind, ist "DZ" nicht vorrangig ein Drogenroman, sondern einer über die Magie der Sprache und die Potentiale der Literatur. Die Droge "wmk" malt Wörter in die Luft, lässt sie spielerisch einzigartige Verbindungen eingehen. Wer "wmk" genommen hat, versteht plötzlich alle Sprachen. Klang, Rhythmus, Melodie: Was Sprache zu leisten imstande ist, wird durch die Droge visualisiert. "Glaubst du an parallele Universen?", fragt die geheimnisvolle Celia, die in halluzinatorischen Drogenerfahrungen genauso zuhause ist wie in Kinderträumen. "Man nennt sie Literatur", beantwortet sie ihre Frage selbst. Nicht zuletzt ihretwegen lässt sich "DZ" auch als Hommage an Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" lesen. Alice's bizarre Erfahrungen im Kaninchenloch, einmal schrumpft sie, dann wächst sie wieder, wurden von vielen als Beschreibung eines Drogentrips interpretiert. Dabei wird etwas übersehen, wofür Özdogan in seinem Roman so schöne Bilder findet: Die Literatur schickt uns immer auf Bewusstseinsreisen, eröffnet uns neue Perspektiven, kann uns süchtig machen. "Die Sprache zauberte, doch wir hatten uns längst an ihre Wunder gewöhnt." Man muss keine Drogen nehmen, um sie wiederzuentdecken. Selim Özdogans irisierendes Kunstwerk erinnert uns auch so daran. Ganz ohne unerwünschte Nebenwirkungen.

"'DZ' beschreibt die Wunden, die einem das Leben zufügt, die verschiedenen Formen von Schmerz und die unterschiedlichen Arten, damit umzugehen."

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