"Bush ist kein Argument für Anti-Amerikanismus"

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In den USA positioniert sich John Kerry als Gegenkandidat zu George W. Bush. Wäre mit einem Präsidenten-Wechsel aber auch schon aller Anti-Amerikanismus wieder vergessen? Die Expertenrunde bei der Internationalen Sommerakademie auf Burg Schlaining zeigt sich diesbezüglich großteils skeptisch.

Die Furche: Trägt George W. Bush die Schuld am Anti-Amerikanismus in der Welt und würde mit einem Präsidenten John Kerry alles anders, besser werden?

Doron Rabinovici: Bush ist kein Argument für Anti-Amerikanismus, so wie Anti-Amerikanismus kein Argument für Bush ist. Was ist Anti-Amerikanismus? Wie unterscheidet er sich von Kritik an einer US-Regierung? Das ist gar nicht so schwer: Für jemanden, der anti-amerikanische Ressentiments hat, ist Bush die Entsprechung der USA. Bill Clinton war für so jemanden nur eine Maske. Wie Bush und nur so sind die USA. Das ist der Anti-Amerikanismus: Der freut sich klammheimlich, dass er Bush als wahre Entsprechung seines Ressentiments hat.

Erich Reiter: Ich erlebe in meiner Umgebung auch eine gewisse Freude, dass die Amerikaner im Eck sind, dass es ihnen schlecht geht, dass sie einen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten haben. Wenn Kerry kommt, sehen wir die USA vielleicht wieder anders - aber sie wird kaum anders sein, als sie heute ist. Außenpolitische Analysen haben ergeben, dass von Clinton zu Bush fast keine Veränderung der US-Politik stattgefunden hat. Der Ton war ein anderer, er war verbindlicher, freundlicher und er kann sicher wieder verbindlicher und freundlicher werden, wenn ein anderer Präsident kommt.

Peter Gerlich: Ich bin als Amerikafan sozialisiert worden, und ich war ein begeisterter Freund Amerikas - bis vor kurzer Zeit. Aber jetzt, da muss ich Reiter widersprechen, hat eine schlimme Clique die Macht übernommen, gestärkt durch das Trauma des 11. September. Clinton hat mit seinen Rüstungsausgaben die Grundlagen für den Irak-Krieg gelegt. Doch diese neue Linie, die unter Bush Platz greift, hat in der internationalen Politik jede Ehrlichkeit verloren. Ein präventiver Angriff widerspricht einfach dem Völkerrecht. Und auch die Folterungen in irakischen Gefängnissen sind nicht schwer zu erklären - dahinter steckt eine Strategie, die von ganz oben ausgegeben wird.

Gudrun Harrer: Die Veränderungen in der US-Sicherheitsdoktrin haben nicht mit dem 9/11 und auch nicht mit dem Amtsantritt von Bush angefangen, sondern schon in den 90er-Jahren. Deshalb warne ich davor, zu glauben, mit Kerry würde alles anders.

Peter Pilz: Dem muss ich widersprechen: Ich sehe keine sicherheitspolitische Kontinuität von Clinton zu Bush und von Bush zum nächsten Präsidenten. Für mich überwiegen eindeutig die Unterschiede, auch wenn es gewisse Grundhaltungen bei jedem Präsidenten gibt, z. B. was das internationale Recht betrifft. Entscheidend ist aber der Bruch in der sicherheitspolitischen Entwicklung, der mit Bush eingetreten ist: Die Anmaßung, man könne in eine nationale Sicherheitsdoktrin alles hineinschreiben, was einem passt - bis hin zum taktischen Einsatz kleiner Atomwaffen.

Reiter: In der Administration Clinton wurden die bunkerbrechenden Atomwaffen schon angedacht und geplant, denn alles was unter Bush passiert ist, hat natürlich Vorlaufzeiten.

Pilz: Nein, das hat es in dieser Art vorher nicht gegeben. Und die Amtszeit Clintons war auch keine Zeit der Hochrüstung. Clinton I war ein Sparkurs, auch im militärischen Bereich. Und das gibt ja auch Hoffnung, weil es den Handlungsspielraum eines neuen US-Präsidenten beschreibt, der wieder Möglichkeiten hat, in die andere Richtung zu drehen.

Rabinovici: Ich hoffe sehr, dass es einen anderen Präsidenten geben wird, aber ich bin mir nicht sicher, ob dann die gegenwärtige Entwicklung aufhört. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich etwas Grundlegendes geändert. Während des Kalten Krieges haben viele in Westeuropa akzeptiert, wenn die USA Völkerrecht gebrochen haben, für, wie sie meinten, ein besseres Ziel. Das wurde damals in Kauf genommen - heute nicht mehr. Schon zu anderen Zeiten gab es Folterungen von US-Soldaten. Die Reaktionen darauf aus Europa waren anders. Was hat sich geändert? Es hat sich die Interessenlage geändert. Zwischen EU und Amerika gibt es heute Interessendivergenzen.

Reiter: In Europa würde die Amerika-Kritik objektiver ablaufen, wenn Europa selbst stärker positioniert wäre. Ich glaube, dass in diesem latenten Minderwertigkeits- und Schwächegefühl eine besondere Wurzel der Amerikafeindlichkeit in Europa liegt. In Österreich mag die Debatte auch insofern etwas anders sein, als dass jetzt auch wieder Erinnerungen der Weltkriegsgeneration an die Bombenangriffe hochkommen.

Harrer: Für mich gibt es keinen Zweifel, dass die Invasion im Irak an tiefliegende Gefühle vieler Menschen bei uns im Land appelliert hat. Auch mir wurde gesagt: "Brauchst ja nur an die Bombentoten denken, die nach wie vor unter den Häusern in Wien begraben liegen" - also, die Verbindung wird sofort wieder hergestellt. Eine unzulässige Verbindung zu

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