Caligula als Archetyp für Diktatoren

19451960198020002020

Zwei unterschiedliche Inszenierungen stehen am Beginn der Theatersaison in Salzburg: Das Landestheater zeigt einen verknappten "Caligula" von Camus, das Schauspielhaus hält mit einem gelungenen, unverbogenen "Goldenen Vlies" von Grillparzer dagegen.

19451960198020002020

Zwei unterschiedliche Inszenierungen stehen am Beginn der Theatersaison in Salzburg: Das Landestheater zeigt einen verknappten "Caligula" von Camus, das Schauspielhaus hält mit einem gelungenen, unverbogenen "Goldenen Vlies" von Grillparzer dagegen.

Werbung
Werbung
Werbung

Was sich seine Untertanen alles gefallen lassen, bevor sie ihn umbringen - das ist der Teststreifen Kaiser Caligulas auf seine "grenzenlose Freiheit", in die er sich nach dem Tod seiner Schwestergeliebten hineinphilosophiert. So ist das in dem Drama "Caligula" von Albert Camus, mit dem das Landestheater Salzburg seine Spielzeit begonnen hat.

Das Schauspielhaus hält mit Franz Grillparzers "Goldenem Vlies" dagegen, der Trilogie von der Unverträglichkeit zweier grundverschiedener Kulturen und ihrer Menschen. Nach dem Mord am "Gastfreund" zeigt sich in den "Argonauten" zunächst, wie die Liebe scheinbar alle Widerstände und Gegensätzlichkeiten überbrücken und überwinden kann, selbst unter bedrohlichen Umständen, bis es in der "Medea" zur Explosion kommt.

Im ursprünglichen Text mutiert Caligula nach dem Tod Drusillas vom ursprünglich eher liebenswerten Kaiser zum Berserker und Wüterich. Die neue Freiheit ist die Freiheit zum Zerstören und Töten. Warum? Weil das Unmögliche möglich gemacht werden muss, so lautet der kategorische Imperativ des Diktators. Dieses Verlangen nach dem Unmöglichen betrifft z. B. den Besitz des Mondes. In der Person des Cherea verfügt er über seinen Antipoden, der ihn zuletzt, mit Caligulas Willen, töten wird. So weit das Stück im Camus'schen Text.

In den "Argonauten" und der "Medea" driften die Partner schließlich immer weiter auseinander, kräftig angeheizt vom drohenden, schmeichelnden und schleimigen Aietes, dem König der Kolcher, und von der Amme Medeas, Gora, als stockkonservative Gefolgsfrau des Königs. Das goldene Widderfell zerrüttet alle Stränge einerseits von Hinneigung und andererseits von Staatsund Familienraison.

Nicht der Weisheit letzter Schluss

Aus dem Text des Camus wird am Salzburger Landestheater ein "Caligula" zu fünf Personen, was ja durchaus möglich sein muss. Aber die Figur des Cherea zu streichen, heißt, einen unentbehrlichen Pfeiler aus dem Stück zu entfernen. Das war kein guter Einfall der Regisseure John von Düffel und Marike Moiteaux, denn auf diese Weise wird die Geschichte sehr bald ein in sich laufender Gag der Verbrechen, der von den 90 Minuten der Aufführung etwa eine Stunde um des 29-jährigen Caligulas neue Amoral kreist. Dass es da gelegentlich fad wird, ist nicht Camus anzulasten, der, selbst Schauspieler und Regisseur, genau um das Wirksame im Theater wusste.

Wenn man dann noch das Groteske -etwa den Mummenschanz Caligulas als Göttin Venus -auf ein bisschen Lippenstift und Nagellack reduziert, bleibt nur - gegen das Stück und für eine gegenwärtige Interpretation -Caligula als Urbild, als Archetyp zeitgenössischer pseudodemokratischer Präsidenten und Staatenlenker mit ihrem beispiellosen Führungsstil zu verstehen.

Das Salzburger Landestheater hat mit Ben Becker einen Caligula verpflichtet, der sich so lange in seiner arroganten Macht sonnt, bis er einsieht, dass das von ihm verursachte Chaos nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann: "Ich habe nicht den Weg eingeschlagen, den ich hätte einschlagen sollen ... Meine Freiheit ist nicht die richtige."

Ben Becker ist eineinhalb Stunden lang absolut präsent, einsam, auf seine grotesken, todbringenden Einfälle reduziert, immer im Scheinwerferlicht. Dagegen sind die vier anderen Personen, wiewohl eigenständig, doch kaum mehr als Stichwortbringer denn als Akteure: Nikola Rudle (Caesonia), Tim Oberließen (Scipio), Elisa Afie Agbaglah (Helicon) und Christoph Wieschke (Patricius). Das sparsame Bühnenbild und die Kostüme stammen von Eva Musil. Besonders gefeiert wurde, natürlich, der Titelheld.

Die Grillparzer'sche Trilogie im Schauspielhaus hat Christoph Batscheider als Regisseur in aller Behutsamkeit gekürzt, nichts gewaltsam verbogen und Grillparzers Sprache beibehalten. Seine Medea, Kristina Kahlert, - die sich bei der ersten Premiere verletzte, worauf die Aufführung abgebrochen werden musste -ist die Zauberin und große Liebende, bis sich Jason von ihr abwendet. Dann aber entbrennt ihr Hass gegen ihn, zunächst verhalten, bis sie, gleichsam in Flammen stehend, ihre Kinder tötet, um Jason zu treffen - der Archetyp einer großen Unversöhnlichen. Dass Jason, Simon Jaritz, ihr in Sprache und Darstellung nicht ebenbürtig ist, tut der Inszenierung keinen Abbruch.

Eine sehr schöne Studie des Aietes mit aller Durchtriebenheit, Habgier und auch Kinderliebe gibt Marcus Marotte. Ute Hamm als Gora zeigt mit sparsamen Mitteln, wie einflussreich diese Amme mit ihrer Verpflichtung auf ihre Nationalität als Kolcherin ist.

Caligula Landestheater Salzburg 25., 27. Okt., 7., 8., 13., 20. Nov.

Goldenes Vlies Schauspielhaus Salzburg 12., 15., 16., 17., 19., 21., 23., 24. Okt.

"Caligula"

Ben Becker als Berserker Caligula am Landestheater Salzburg: einsam und stets im Scheinwerferlicht (links).

"Das Goldene Vlies"

Die Grillparzer'sche Trilogie im Schauspielhaus Salzburg hat Christoph Batscheider als Regisseur in aller Behutsamkeit gekürzt. Als Medea Kristina Kahlert, Jason ist Simon Jaritz (rechts).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung