Charisma mit und ohne Ideen

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Mit einer Tanzinszenierung von Mahlers „Der Abschied“ beim Wiener OsterKlang Festival im Theater an der Wien versucht sich die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker. Peter Sellars ritualisiert Bachs Matthäuspassion bei den Salzburger Osterfestspielen.

Für Daniel Barenboim eignet sich Mahler nicht als Tanzvorlage. Deshalb schlug er Anne Teresa de Keersmaeker vor, Ravels „Daphnis et Chloé“ zu choreografieren. Sie hatte sich längst in das Finale von Mahlers „Lied von der Erde“, „Der Abschied“, verliebt. Anfangs machte ihr Sorgen, dass Mahler dieses Werk für großes Orchester geschrieben hat. Bald stieß sie auf Schönbergs Kammermusikadaption. Mit dem Ictus Ensemble unter Georges-Elie Octors und der unklar artikulierenden Mezzosopranistin Sara Fulgoni meinte sie, die entsprechenden Partner gefunden zu haben. Jetzt war ihr in Kooperation mit Opernhäusern und Festivals in Brüssel, London, Paris und Dresden kreiertes „3Abschied“ im Theater an der Wien zu sehen.

Ein Missverständnis. Nach einigen Takten aus der Mahler-Einspielung der Wiener Philharmoniker unter Bruno Walter und mit Kathleen Ferrier schilderte die belgische Choreografin Barenboims Bedenken, erläuterte ihre Begeisterung für das Stück, suchte mit unterschiedlich überzeugenden Gesten die musikalischen Bewegungsabläufe zu unterstreichen. Ihr Partner Jérôme Bel ließ anschließend die Musiker, frei nach Haydns „Abschiedssymphonie“, einfach sterben. Schließlich versuchte sich Keersmaeker, farblos assistiert vom Pianisten Jean-Luc Fafchamps, noch als Sängerin. Da war es um Mahler und seine Botschaft geschehen. Charisma alleine nützt nichts, es bedarf auch professionell vorgetragener Ideen.

Perfekt einstudierte Choristen

Solche sind Peter Sellars bei seiner „Ritualisierung“ von Bachs Matthäuspassion im Großen Festspielhaus in Salzburg nicht abzusprechen. Holzwürfel, auf denen die Choristen Platz nehmen, bevölkern ebenso die Bühne wie, inmitten, ein Quader als Sinnbild für den Sarg Jesu. Sellars deutet diesen Bach als Begräbniszeremonie mit Rückblendungen auf Jesu Leben und Wirken.

Mit dem links vorne und rechts hinten auf der Bühne platzierten Chor, dem links und rechts postierten Orchester machte er die doppelchörige wie doppelorchestrale Werkanlage deutlich. Einzig Jesus (hervorragend Christian Gerhaher) bewegte sich nicht von seinem Platz. Dessen Gefühlswelt übertrug Sellers dem Evangelisten (exzellent Mark Padmore) und führte ihn zu stringenten emotionalen Interaktionen mit den übrigen, schauspielerisch eingesetzten Protagonisten, darunter Magdalena Kozena, Camilla Tilling, Thomas Quasthoff.

Die vorzüglichen Berliner Philharmoniker und perfekt einstudierten Choristen (Rundfunkchor Berlin, Salzburger Festspiele Kinderchor) unter dem den Erkenntnissen der Originalklangbewegung stets aufgeschlossenen Sir Simon Rattle sorgten für das ideale Fundament für diese von stets vorwärts drängender Attitüde bestimmte Deutung.

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