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Zwei Kurztexte des Kärntner Schriftstellers Egyd Gstättner als Vorabdruck aus dem neuen Prosaband „Jubel Trubel Österreich“, der im Frühjahr 2009 erscheinen wird.

Frau Wegscheiders Tante Hemma ist steinalt, und ohne Hörgerät hört sie so gut wie nichts, aber das ist ihr doch zu Ohren gekommen, daß der österreichische Schmarren zum Weltkulturerbe erhoben werden soll. Tante Hemma ist von dieser Idee begeistert, und sie ist davon überzeugt, daß die Kulturnation Österreich in keiner anderen Disziplin derartige Höchstleistungen vollbracht hat wie in der Küchenkultur.

„Charme, nicht Schmarren!“, rief Frau Wegscheider ihrer Tante in die Ohrmuschel hinein. „Der Charme soll zum Kulturgut erhoben werden!“

„Ja eben!“, antwortete die. Ob Grießschmarren, Semmelschmarren oder Kaiserschmarren, ob mit oder ohne Rosinen, ob mit Apfelmus, Zwetschkenröster oder Kirschkompott, ob mit Zucker oder Zimt: Sie könne einen Schmarren zubereiten, dem man ohne falsche Bescheidenheit verführerische Anmut im Gaumen attestieren müsse. Dagegen seien – unter uns gesagt – die meisten Erzeugnisse heutiger Kulturschaffender im Grund geistig wertlose Produkte! So wie Josef Haslinger einen Thriller mit dem Titel Opernball geschrieben hat, würde sie, hätte sie das Talent dazu, einen Thriller mit dem Titel Kaiserschmarren schreiben: Den österreichischen Roman schlechthin. Wie die warmen Semmeln …

„Charme, nicht Schmarren, Tante!“

„Ja eben! Einmal habe ich in München im Paulanerbräu einen Kaiserschmarren bestellt – eine kulinarische Bankrotterklärung! Angesengte Gummifrittaten! Österreich kann man einfach aus gastronomischen Gründen nicht verlassen, und nur aus dem Mehlspeisengrund besuchen uns die Menschen aus aller Welt. Können nicht Sie als Schriftsteller anlässlich des heurigen 10-, 50-, 60-Jahr-Jubiläums eine große Rede zum Thema ‚Aller Schmarren ist Österreich untertan‘ schreiben? Oder: ‚Österreich – das Reich, wo der Schmarren nicht untergeht!‘ Starten Sie eine Schmarrenoffensive für Österreich! Die Kehrseite des Weltkulturerbes sind freilich Übergewicht, Blutfette, Infarkt, Schlaganfall und Exitus. Daher auch die stehende Wendung: ‚Komm, süßer Tod!‘“

„Tante, was redest du für einen Schmarren zusammen?“

„Nicht Schmarren, Kind, Charme!“

Ich hatte die alte Dame die ganze Zeit im Verdacht, ein ausgekochtes Luder zu sein. Also schlug ich daheim im Duden nach und fand unter dem Stichwort Charme „verführerische Anmut“, unter Schmarren hingegen „geistig wertloses Produkt“.

Charme und Kultur

Ein Nachtrag zum Nationalthema Charme: Ich finde es gut, daß im Weltkulturerbe das Wort Kultur vorkommt, sodaß man es herausoperieren kann, wenn man es braucht. Daher ist mir auch das Weltkulturerbe Charme als Bruder der Ironie recht: Beide versuchen ja, freundlich etwas Unfreundliches zu sagen – und möglichst so, daß der Betroffene gar nichts merkt.

Wie letztens herausgearbeitet bedeutet Charme „verführerische Anmut“. Kulturgeschichtlich weisen die Vektoren demnach in Richtung Frauenkultur und bildende Kunst. Es geht also um Lidschatten, Lipgloss, Bodyglitter, vielleicht auch Bodypainting. Mit diesem Vorwissen ausgestattet betrete ich als überzeugter Österreicher, überzeugter Europäer, überzeugter Kulturmann jubiläumstrunken und doch forschenden Auges meinen Kulturnationssupermarkt, wo die Ware – fit for the future! – durchwegs zweisprachig angepriesen wird. Zwischen Funktionslaufsocken (performance socks) und Zahnputzzeitmesser (tooth brushing timer) finde ich schließlich das fieberhaft gesuchte Erbe der Weltkultur um 5,99 Euro: Die Mädchenkulturtasche (Girls’ toilet bag) in trendigem Design (GB: in trendy design) für einen individuellen Look (GB: for an individual look) – und wundere mich so nebenbei, a) wie gut ich Englisch kann, b) wie gut ich Deutsch kann und c) wie ähnlich Deutsch und Englisch bei näherer Betrachtung eigentlich sind. Als Kulturmann bin ich freilich Sprachentalent.

Außerdem lehrt uns, liebe Leser, meine Recherche im Kulturnationsendverbraucherparadies, daß „Kultur“ nicht vom lateinischen colo 3, colui, cultus (bebauen, pflegen, wahren, hochhalten), sondern vom englischen toilet kommt. Hoffentlich merkt’s die Kultur nicht so bald. Weil sich meine Charmeoffensive leider gleich bei der ersten praktischen Bewährungsprobe in den Niederungen der Etymologie verheddert hat, schlendere ich unauffällig weiter zur Tiefkühlkostabteilung und nehme mir eine Packung guten, alten, österreichischen Kaiserschmarrens. Der ist „von Ernährungswissenschaftlern getestet“, allerdings noch nicht ins Englische übersetzt. Mein Vorschlag: Emperor’s nonsense.

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