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Zwei Geburtstage: Geschichte und Zukunft des Nationalen Sylvia M. Fatsch

Palastmuseums in Taipeh.

Er ist klein, zart, zeitlos. Seine Augen lächeln bubenhaft. Dr. Shih erzählt, dass er noch fünf Jahre dienen wolle; fünf hat er schon gedient. Dann will er sich wieder schreibend der chinesischen Kunstgeschichte widmen und seiner Leidenschaft, der Kalligrafie. Dr. Shih, Direktor des Nationalen Palastmuseums in Taipeh, 54 Jahre alt, Princeton-Absolvent mit beeindruckender Publikationsliste und makellosem Englisch, gerät in Feuer, wenn er von der Zukunft "seines" Museums erzählt: Die moderne Technik mache es möglich, die ganze Welt teilhaben zu lassen an der bedeutendsten Sammlung chinesischer Kunst aus sechs Jahrtausenden. Die Website in acht Sprachen (www.npm.gov.tw) habe kürzlich höchste Auszeichnungen erhalten. Neben Museumsinformationen bietet sie Multimedia Module: ein digitales Museum, online-games - die ersten der Welt, die kindergerecht Museumsobjekte schmackhaft machen, denn im Nationalen Palastmuseum haben Fachleute eine bisher einzigartige Technik entwickelt, mit deren Hilfe der Internet-Besucher mehr sieht als der Museumsbesucher. Man kennt doch die phantastischen chinesischen, durchbrochen geschnitzten Elfenbeinkugeln, in denen sich weitere, kleinere befinden: in Taipeh ist man mit winzigen Kameras in deren Inneres vorgedrungen. Der virtuelle Museumsbesucher kann Gegenstände drehen und wenden, nachdem mit gigantischem Aufwand eine photographische 3-D-Qualität erzeugt wurde. In sieben Sprachen gibt es "3 D-Discs", die einzelne Themen chinesischer Kunst vorstellen.

Museum für die ganze Welt

Ein Museum der Superlative öffnet sich der Welt: 4.000 Jahre alte Bronzen (Korn- und Weingefäße, Glocken und Waffen, Spiegel mit frühen Schriftzeichen); die kostbarsten Keramik- und Porzellanstücke der Welt (im 18. Jahrhundert arbeiteten 100.000 Künstler und Lehrlinge in Porzellan-Werkstätten, leisteten bei jedem einzelnen Gegenstand 72 Arbeitsgänge); Jadegegenstände, die eine ununterbrochene Tradition dieser Steinbearbeitung seit der Jungsteinzeit belegen - geheimnisvoll, symbolgeladen; Lack- und Emailarbeiten, Stickereien, Schreibutensilien, Münzen, Gemälde, Kalligrafien, Fächer, uralte Bücher, buddhistische Ritualobjekte, Dokumente zur Geschichte Chinas, private kaiserliche Bibliotheken und Archive, Edikte, Erlässe, Annalen, Biografien, Worte und Taten der Kaiser, aufgezeichnet von eigenen Tagebuchschreibern: 650.000 Objekte. Die künstlerischen Hervorbringungen Chinas strahlen auf den ersten Blick Ruhe, Harmonie und schlichte Eleganz aus; erst dem zweiten Blick erschließt sich das handwerkliche Können, die Detail-Phantasie, die zurückgenommene Vollendung.

Erbe der Kaiser von China

1000 Jahre Sammeltätigkeit chinesischer Kaiser kam 1911 zu einem abrupten Ende. In der Revolution von 1911/12 wurde der letzte Kaiser von China, ein Kind, abgesetzt, doch durfte er in der Verbotenen Stadt bleiben und bekam eine reiche Apanage. P'u-i verließ erst 1925 den Palastbezirk; am 10. Oktober 1925 wurde das reiche Erbe als "Palastmuseum" in der Verbotenen Stadt geöffnet - der erste Geburtstag vor 80 Jahren. Bis 1936 erlebte das Museum seine Goldene Zeit in Festland-China, denn Hunderte Publikationen enthüllten den gebildeten Chinesen ihre unendlich reiche Vergangenheit. Doch 1937 fielen die Japaner in Nordchina (Mandschurei) ein, und die chinesische Regierung entschied sich zur Evakuierung der einst kaiserlichen Schätze. 20.000 große Kisten gingen auf eine Irrfahrt in den Süden und weiter in den Südwesten Chinas. Von Peking nach Shanghai, von Shanghai nach Nanking. Zehn weitere Stationen folgten. Trotz des Krieges schickten die Verantwortlichen kostbare Stücke zur "International Exhibition of Chinese Art" nach London, publizierten und setzten ihre archäologische Arbeit fort.

Als 1945 die japanische Besetzung zu Ende war, kehrte kein Friede in China ein. Während der furchtbaren Kämpfe zwischen den Kommunisten und Nationalisten entschieden letztere, 3.000 Kisten mit den prächtigsten Werken von dem, was ursprünglich aus Peking abtransportiert worden war, nach Taiwan in Sicherheit zu bringen. Bedenkt man, welchen Hass Mao in der Volksrepublik China während der Kulturrevolution (1966-1976) gegen die eigene Vergangenheit und ihre künstlerischen Hervorbringungen entfachte, kann diese Tat gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Kisten wurden in Taiwan bombensicher gelagert. (Wo der Rest geblieben ist, war trotz eifriger Recherchen nicht zu eruieren.)

Der Neuanfang in Taipeh

Der zweite Geburtstag: Vor genau 40 Jahren konnte in Taipeh ein eigenes Museum eröffnet werden, das derzeit großzügig erweitert wird. Aus dem "Museum auf der Flucht" hat sich inzwischen ein weltweit führendes Forschungsinstitut entwickelt, das eng mit den großen Museen der Welt zusammenarbeitet, in Taiwan Zweigmuseen eröffnet hat, E-learning-Projekte forciert und seit Juli 2004 368 ausgebildete Freiwillige, auch Ausländer, als "guides" beschäftigt, und zwar 365 Tage im Jahr. Diese Freiwilligen gehen auch in Schulen und sprechen bei Abendveranstaltungen. Seit 2002 gibt es einen "Lernzug", der mit Replikas über die Insel fährt, damit die Leute wenigstens durch Nachbildungen die Schönheit ihrer Kultur erleben können. Replikas werden auch in Schulen ausgestellt. Seit 2003 offeriert das Museum eigene Kurse für Kunsterzieher an Schulen und lädt heutige Künstler ein, sich von den Schätzen der Vergangenheit inspirieren zu lassen, indem alte Techniken vermittelt werden, um neue Gegenstände in modernem Design zu schaffen.

Seit 1993 bietet das Nationale Palastmuseum auch Ausstellungen westlicher Kunst: Monet war eine eigene Schau gewidmet, es folgte "Von Poussin bis Cézanne: 300 Jahre französische Malerei", 2004 "Ein Jahrhundert deutscher Genius", während sich Berlin und Bonn über eine Ausstellung aus Taiwan freuen konnten. Wann wird Wien in den Genuss einer Schau aus Taipeh kommen? Verhandlungen sind bereits im Gang.

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