Christ-Demokratie, quo vadis?

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Die Bezugnahme der ÖVP auf "christdemokratische Werte" ist wohlfeil. Aber was verbirgt sich dahinter, hat das Christliche in der Partei noch Substanz und Kraft? Und was ist diesbezüglich vom neuen Obmann Sebastian Kurz (Bild) zu erwarten?

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Die Bezugnahme der ÖVP auf "christdemokratische Werte" ist wohlfeil. Aber was verbirgt sich dahinter, hat das Christliche in der Partei noch Substanz und Kraft? Und was ist diesbezüglich vom neuen Obmann Sebastian Kurz (Bild) zu erwarten?

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Die neue Volkspartei überträgt ihrem neuen Obmann weitreichende personelle und inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten. Letztere betreffen selbstredend die Identität der Partei. Bei passender Gelegenheit wird immer wieder der "christdemokratische Charakter" der ÖVP herausgestrichen. Da stellen sich Fragen: Wo ist das Christliche in der Pragmatik und Programmatik? Wo ist das Christliche in der Lebensgestaltung der Akteure? Was bedeuten die christlichen Normen aus der Heiligen Schrift und der Verkündigung im politischen Alltag der ÖVP? Mit der Anwesenheit von Klerikern bei Polit-Veranstaltungen kann es wohl nicht getan sein, und das zwanghafte Einbauen von Politikern in die Liturgie von Dankgottesdiensten rechtfertigt wohl noch kein selbstgefälliges Verweilen in gelebter Christ-Demokratie. Oder ist Christdemokratie zum inhaltsleeren Vexierbild verkommen, als Begriff zwar verfügbar, aber für das konkrete politische Tun irrelevant?

Christliche Themen wie Solidarität, Gerechtigkeit und Gnade sowie Personalität bleiben aktuell. Demut - nicht im Sinne von Katzbuckeln - und Respekt vor dem transzendentalen Sein formen Persönlichkeiten, die erkennbar sind.

Katholisch verfasste Christdemokratien finden sich vermehrt in der Krise, während etwa die protestantisch ausgerichtete CDU durch strategische Stärke und christliche Erkennbarkeit beeindruckt. In der Orthodoxie gibt es harte, ja gefühlskalte politische Standpunkte, doch für die Akteure ist Religion ein wichtiger Faktor, welcher auch deren Handlungssouveränität und mentale Stärke positiv beeinflusst. Christdemokratie bedeutet auch, ja zentral Moral und deren Einforderung, wie auch Orientierung am Transzendenten.

Starke Relativierungen

Die Christdemokratie hat dynamische Wechselwirkungen zwischen Kirchen und Politik hervorgerufen, zum Nutzen beider Seiten. In der Politik fanden christdemokratische Grundsätze Gehör, metapolitische Aspekte der Kohärenz einer Gesellschaft wie Familienqualität, Anständigkeit, wertschätzender Umgang konnten in klarer Ableitung aus dem genialen Konzept des Christentums eingebracht werden. Im Gegenzug bekamen Kirchen handlungsstarke Gläubige, welche Gemeinschaft stärkten.

Christdemokratie fordert Bekenntnis zum und Orientierung am Christentum, was im Sinne einer erfolgreichen abrahamitischen Ökumene auf die drei Buchreligionen ausgeweitet werden kann. Christdemokratie muss aber primär die politische Heimat für Christen bleiben. Das politische Angebot ist groß, und wer mit dem Christentum nichts am Hut hat, der kann sich anderweitig orientieren.

Wenn wir die Entwicklung der ÖVP der letzten 20 Jahre anschauen, sehen wir, dass es zu starken Relativierungen gekommen ist. Liberal zu sein galt auch in ÖVP-Kreisen als schick, selbst wenn Liberalität nur darin bestand, mit der katholischen Ehemoral nicht zurechtzukommen. Dass dabei Liberalismus in ungehöriger Weise verkürzt wurde und dessen Stärken dadurch in Österreich kaum zur Wirkung kamen, ist ein anderes Thema.

Anständigkeit und christliches Verhalten wurde dann vermutet, wenn das Strafrecht nicht strapaziert wurde. Bei den zahlreichen Korruptionsaffären akzeptierte die ÖVP kein Wort der Kritik mit Verweis auf eine noch nicht erfolgte Verurteilung. Wie wird hier Anständigkeit und christliches Verhalten definiert? Die ÖVP hat einen Ethik-Rat, der kürzlich anlässlich des Doktoratsproblems eines steirischen Provinzpolitikers nicht aktiviert wurde mit der Begründung, es liege nichts Strafrechtliches vor. Ist es ausreichend, das Strafrecht grundzulegen - und haben die Zehn Gebote mit den etwas höheren Ansprüchen für Christdemokraten keine Relevanz?

Familie vs. Bedarfsträger-System

In gesellschaftspolitischen Kernbereichen baute die ÖVP vermehrt auf den Zeitgeist. So kamen in der Familienpolitik Persönlichkeiten in die Auslage, welche in ihrer Einstellung für verschiedenste Parteien einsetzbar wären. In inakzeptabler Ignoranz der eigenen Frauenorganisationen wurden hippe Zeitgeistfrauen rekrutiert, die für alles und damit nichts standen. Erinnerlich ist hier das Statement einer ÖVP-Familienstaatssekretärin: "Warum sollte irgendjemand mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen, wenn sich das finanziell nicht auszahlt?" Familienpolitik nur noch als Budgetproblem zu sehen, dazu bedarf es freilich keiner Christdemokratie, da reicht auch eine Behörde zur Betreuung von Bedarfsträger-Systemen, wie Familien in der sozialdemokratischen Verwaltungssprache bezeichnet werden.

Auch Bildung ist ein Beispiel eines Politik-Bereiches, welcher Gefahr läuft, in einem Evaluationsmeer unterzugehen. Ohne Herzensbildung, wie sie religiös nahegelegt wird, bleibt jedes Bildungskonzept Makulatur. Wir haben dann Menschen, die von allem den Preis und von nichts den Wert kennen und im Übrigen sehr bescheiden sind in ihrer Bildungsstärke.

"... so wahr mir Gott helfe"?

Die ÖVP hat nun einen Bundesparteiobmann, der seit zehn Jahren in einer Lebenspartnerschaft lebt. Die (christliche) Ehe scheint kein Thema zu sein. Ludwig Schleritzko wurde am 19. April 2017 als Landesrat in St. Pölten angelobt. Auf den Gottesbezug beim Amtseid verzichtete er, begleitet wurde er von einer Lebenspartnerin, nicht von einer Ehefrau. Es stellt sich die Frage, warum Menschen sich für die christdemokratische ÖVP entscheiden - sind dort die Karriereaussichten besser? Um richtig verstanden zu werden: Lebenspartnerschaften, säkulare Schwurformeln, das ist korrekt - die Frage stellt sich nur, warum sich so Deklarierende veranlasst fühlen, Christ-Demokrat zu sein. Spitzen wir die Frage zu: Kann man Christdemokrat und im Alltag demonstrativ Gottlos oder Gott-frei sein, indem man die Regeln christlicher Lebensund Glaubenspraxis nicht einmal ignoriert? Heißt es Christdemokratie oder Freundeskreis der Christen?

Was die Programmatik anbelangt, so verfügt die ÖVP über ein Grundsatzprogramm aus dem Jahre 2015. Bezüge auf das Christentum finden sich dort, aber von einem Programm, das christliches Denken atmet, keine Spur. Die christlichen Erwähnungen haben keine Relevanz, sie erfüllen den Zweck, um bei Computer-Suchprogrammen auch unter dem Namen Christdemokratie gefunden zu werden.

Was nun sichtbar wird, nämlich das Auseinanderfallen von Bekenntnis und praktizierter Lebensführung, ist ja schon über Jahrzehnte aufgebaut worden. Persönliches Fehlverhalten wie Lügen (und das ohne Reue und Entschuldigung) oder abwertendes Verhalten und Hochmut gegenüber Mitmenschen wurden akzeptiert oder gar als Zeichen von Leadership kultiviert. In der konkreten Politik fehlt es an Mitmenschlichkeit und Liebe, dafür wurden Hartherzigkeit und Schnoddrigkeit geradezu erhöht. Doch wählen dürfen sie schon, die braven Kirchgänger, und deren Stimmen hätte man allzugerne.

Die Kraft des Geistes

"Wie man die Rebe bindet, dass Traube wird und Wein, so muss des Menschen Wille an Gott gebunden sein": Diese einfachen Worte aus der Lebenspraxis eines gläubigen Perchtoldsdorfer Weinhauers haben moderne Christdemokraten in die Welt der Institutionen in Politik und Wirtschaft zu tragen. Wer sich Christ nennt, hat sich zu bekennen. Gerade die ÖVP hat in ihrer 72-jährigen Geschichte Erfolgsbeispiele zu vermelden. Julius Raab war ein gläubiger Mann, für ihn war das Gebet unverzichtbar, und seine religiöse Verankerung hat ihm Mut in schwierigen Situationen gegeben und den wichtigen Staatsvertrag ermöglicht.

Christdemokraten haben sich ihrer Gedanken und Sehnsüchte nicht zu schämen, sie haben ein Anrecht auf Christen, die ihnen vorangehen. Ein Papst aus Polen hat Ende der siebziger Jahre Millionen Menschen Mut gemacht, mentale Stärke ausgestrahlt und zu Pfingsten ausgerufen: "Sende aus Deinen Geist! Und erneuere das Angesicht dieser Erde." Die Erde Polens und des Ostens wandelte sich tatsächlich! Christdemokratie hätte noch viel zu bieten. Ob hippe Gott-Freie im Namen der Christdemokratie liefern werden, ist eine andere Frage. Oder lautet die Antwort: Christdemokratie, das war einmal?

Der Autor ist Politikberater und Publizist, lebt in Perchtoldsdorf und war von 1992 bis 1996 Direktor der Politischen Akademie der ÖVP.

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